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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

29. 5. 2016 - 16:00

Mixed Emotions

Das Spring Festival Graz ist zu Ende.

Wenn es nicht so richtig brennt. Die Tendenzen des Eröffnungsabends des Spring Festivals setzten sich leider das gesamte Wochenende über fort. Eine Abfolge von Menschen hinter Pulten. Wer sind sie? Der Publikumszuspruch war dann auch – man muss es so sagen – in den meisten Fällen bescheiden.

Das an sich wunderbare und mehr als bloß begrüßenswerte Spring Festival braucht mehr Abwechslung, mehr Ausreißer und Querschläger, Namen mit Strahlkraft. Neben topsoliden Techno- und House-DJs möglicherweise auch Acts, die vielleicht ein bisschen im Pop fischen, mehr Live-Performance und – freilich im Rahmen des Elektronischen – Bandformate, die der Sache Würze geben.

DJ Sneak

Stefan Leitner

DJ Sneak

Nun hat das Spring auch heuer sicherlich große und größere Namen im Programm geführt, Drum’n’Bass-Popstar Roni Size oder Über-Houser DJ Sneak beispielsweise, und auch nicht wenige sehr gute Sets - etwa die von Ellen Allien, Ben Klock, Techno-Legende Kenny Larkin und Minusmann Carlo Ruetz - und elektrisierende Glücksmomente gebracht – oft jedoch herrschte eine leise Aura von Austauschbarkeit und Indifferenz. Man wird vielleicht auch die Preispolitik überdenken wollen.

Der Höhepunkt des gesamten Festivals war dann auch eine Ausnahmeerscheinung, ein Rutscher aus dem Rahmen, eine Performance, die mit Fun auf dem Dancefloor nichts zu tun hatte. Aber doch mit Energie, umso mehr, vielleicht gar kosmischer, und die wiederum dank der Macht der Repetition zum Leben erwachte. Trance, Mantra, Hypnose.

Samstagnacht performte der englische Produzent und Musiker James Holden gemeinsam mit dem ebenfalls englischen Tabla-Spieler Camilo Tirado im Dom im Berg zur besten Zeit, dann, wenn normalerweise schon der Schweiß spritzt, eine gut 45-minütige Meditation zur Geschichte der Minimal Music.

Ellen Allien

Clara Wildberger

Ellen Allien

Vor gut zehn Jahren ist James Holden durch melodiöse, poppige, gar schön an-getrancete Eigenproduktionen und sein Label Border Community zu einigem verdienten Ruhm gelangt – um sich danach Schritt für Schritt immer mehr in außerweltlichere, nicht an Funktionalität interessierte Zonen der Musik zu begeben. 2013 hat Holden das – diesmal aber wirklich – fantastische Album „The Inheritors“ – man soll es wieder- oder nachhören – veröffentlicht, auf dem er sich an frei fließenden Krautrockneudeutungen, Gamelan-Bohrungen und entrückter Folk-Elektronik versuchte. Mittlerweile sind noch ganz andere Türen offen.

Crowd Spring

Clara Wildberger

Anfang dieses Jahres haben Holden und Tirado unter dem schon gut naturmystisch verspukten Titel „Outdoor Museum of Fractals“ eine Auftragsarbeit verwirklicht, die ausdrücklich als Verbeugung vor dem Werk des großen amerikanischen Minimal-Music-Komponisten Terry Riley, insbesondere dessen umfassender Beschäftigung mit klassischer indischer Musik, angelegt ist. Dieses prächtige Manifest der süßen Monotonie wurde beim Springfestival gegeben.

Synthesizer, Tablas, ein bisschen Elektronik, zwei Männer, die sich im Schneidersitz sitzend zulächelten und das Publikum einlullten. Kleine Verschiebungen im Gefüge, vage Steigerungen, ein sanftes Wogen, ein Auf- und Abschwellen. Eine Bassdrum kam nicht. Keine Sensationen, keine Erlösung, bloß ein konstantes Gefühl hochwohliger Anspannung, die keine billigen Stimulanzen braucht. Erleuchtung, das Entdecken der Weltformel und die Möglichkeit neuer Wahrnehmungen.

Kenny Larkin

Clara Wildberger

Kenny Larkin

Dass es aber eben nicht um die Prominenz gehen muss, sondern auch bloß um Auftritte, Performances, die etwas wagen und den Trott erschüttern, zeigte danach Avalon Emerson mit ihrem Set, angesichts dessen an dieser Stelle kaum andere Worte stehen können als dieses hier: geil.

Kennt ja aber kein Mensch die junge Frau, trotz einer Handvoll feiner 12“s voller gut kaputtgeschossenem Outsider-House. Bei Avalon Emerson waren die Übergänge oft ruppig und egal, es gab giftigen Bergwerks-Techno, Acid, Stubenhocker-House, House-House, experimentellen Shit, Chaos, Hits und Antipop. Er ruckelte und rockte und bleepte, ächzte, quietsche und glänzte, und endlich war die Welt wieder unsicher.