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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

28. 5. 2016 - 13:37

Chaotische Mischung

Der bunte Team-Shooter "Overwatch" konfrontiert uns mit einer steilen Lernkurve. Dennoch wird das Game als leichtfüßige Unterhaltung vermarktet.

Wenn das Computerspielstudio Blizzard Entertainment ein neues Spiel am Start hat, dann kann man davon ausgehen, dass es eines der populärsten Games der nächsten Monate und Jahre werden wird. Damit das auch verlässlich immer so ist, wird Marketing und Promotion im ganz großen Stil betrieben.

Beim neuen First-Person-Shooter "Overwatch" wird das gerade bis zur Perfektion durchexerziert. Es gibt "Overwatch"-Kurzfilme, "Overwatch"-Comics, "Overwatch"-Heldenporträts und natürlich jede Menge "Overwatch"-Promotion, die auch vor den teuersten Entertainment-Größen nicht Halt macht.

Promotionsmaschine

Die Promotion anlässlich der Spielveröffentlichung ist aber nur die Spitze des Eisberges. Bereits Monate bevor "Overwatch" erschienen ist, ist jede Menge darüber geschrieben, gesprochen und publiziert worden. Dabei ging es kaum um das Spiel an sich, sondern um die Präsentation und das Drumherum: Haben die weiblichen Figuren zu gleichförmige Modelmaße und werden zu aufreizend dargestellt? In welcher Weise sollen die Figuren hochgelevelt werden können? Warum dürfen Youtuber und Journalist_innen schon vorab die Beta spielen und Videos uploaden und ich darf nur zusehen?

Unabhängig von diesen Aufmerksamkeit erzeugenden Vorab-Diskussionen ist "Overwatch" spielerisch und von der Präsentation her so angelegt, dass von vornherein möglichst viele Zielgruppe angesprochen werden sollen. Streng genommen hat das Spiel ein Science-Fiction-Setting, doch das hält Blizzard Entertainment nicht davon ab, Figuren und Elemente aus allen möglichen Settings und Zeiten zu inkorporieren: Wilder Westen, Ferner Osten, teuflische Untergründe, himmlische Obergründe.

Overwatch

Blizzard Entertainment

Der visuelle Einfluss von japanische Popkultur auf "Overwatch" ist unübersehbar.

Jede und jeder findet in "Overwatch" unter Garantie einen Charakter, eine Map, einen lustigen One-Liner, der gefällt und einen persönlichen Einstieg ins Spiel bietet. Kurioses Paradoxon: Obwohl durch die oben genannten Comics und Clips viele Mini-Geschichten der Helden und ihrer Herkunft erzählt werden, hütet sich "Overwatch" davor, die Story in den Mittelpunkt zu stellen. Es gibt auch quasi keine relevante Haupterzählung, sondern einen riesigen Fleckerlteppich an individuellen Heldengeschichten, die zusammenhangslos in eine Welt gezwängt werden.

Aber versuchen wir uns trotzdem mal am großen Ganzen: Wir befinden uns in der Mitte des 21. Jahrhunderts. Vor 30 Jahren hat – ein bisschen "Terminator"-mäßig – ein blutiger Krieg zwischen Maschinen und Menschen stattgefunden. Daraufhin hat die UNO eine Art Elitekämpfertruppe namens "Overwatch" zusammengestellt, die mit vereinten und vor allem unterschiedlichsten Kräften die Roboterfeinde zurückgeschlagen hat. Nachdem das passiert ist, ist "Overwatch" obsolet geworden und in Verruf geraten – bis Gewalt und Kriminalität über Hand genommen haben und sich die Profitruppe selbst wieder in den Dienst gestellt hat.

Overwatch

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21 Heldinnen und Helden gibt es in "Overwatch" und jede Figur hat eine bestimmte Waffe, zwei Fähigkeiten und eine Spezialfähigkeit. Die Figuren und ihre Fähigkeiten sind höchst unterschiedlich: Da gibt's etwa einen Cowboy, der Gegner betäubt, ein Mädchen, das Eisberge zaubert, einen antiken Riesenroboter mit Minigun oder einen Ninja, der Drachen beschwört. Jede Figur gehört einer von vier Klassen an (Angriff, Defensive, Tank, Unterstützung), das heißt, manche haben etwa bessere Angriffsfähigkeiten, die anderen stecken dafür mehr Schaden ein. "Overwatch" ist ein strikter Team-Shooter, das heißt, wir treten immer in Partien 6 gegen 6 an.



"Overwatch" ist für Windows, PS4 und Xbox One erschienen und kostet 60 Euro.

Im Spiel kann man "Loot Boxes" gewinnen oder sie kaufen, in denen kosmetische Gegenstände wie Siegerposen oder Skins drinnen sind.

Das alles ist ein ziemlich heftiger Einstieg in ein Spiel: 21 verschiedene Figuren - alle von Anfang an spielbar - mit jeweils mehreren verschiedenen Fähigkeiten in vier unterschiedlichen Klassen. Multiplayer-Partien, bei denen immer zwölf Spieler und Spielerinnen gleichzeitig herumwuseln. Obwohl "Overwatch" sehr einladend präsentiert ist - in einem bunten, Comic-artigen Stil – ist hier Chaos vorprogrammiert, vor allem auch deshalb, weil sich das Game sehr schnell spielt.

Teamarbeit ist alles, wenn etwa bestimmte Orte verteidigt oder Eskortmissionen durchgeführt werden müssen, wie es bei vielen "Overwatch"-Partien der Fall ist. Das bedeutet, dass man zuerst mal viel lernen muss: Welche Figur kann was, wie sehen die Maps genau aus, wie arbeite ich mit meinen Teammates gut zusammen und wie wird effizient kommuniziert. Die Workification lässt grüßen. So einfach das Reinspringen in eine Partie ist, so groß ist die Ratlosigkeit zu Beginn und meistens auch danach. Zwar gibt es ein Tutorial, das erklärt uns aber hauptsächlich, wie man in einem Shooter herumläuft und wie man schießt. Von den taktischen (Un)Tiefen wird erst mal nichts verraten - da muss man sich schon einige der unzähligen Community-Videos ansehen. Ein Schelm, wer hier an Berechnung denkt.

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"Overwatch" ist eine Mischung aus Team-Shooter und einem MOBA wie "League of Legends". Wer damit wenig oder keine Erfahrung hat, wird sich sehr schwer tun, einen Einstieg zu finden. Die Lernkurve ist extrem hoch – außer, es macht einem nichts aus, wenn man mehr oder weniger planlos irgendwie drauflos spielt, in der Hoffnung, dass einem zu einem späteren Zeitpunkt mal der Knopf aufgeht.

Entwickler Blizzard Entertainment muss sich aber keine Sorgen um zu wenig Aufmerksamkeit machen, denn Team-Shooter und MOBAs gehören zu den derzeit populärsten Spielegattungen. "Overwatch" ist damit ein Hardcore-Game, das aber von der Präsentation her so tut, als wäre es ein gemütlicher Zeitvertreib. Das ist aus Marketing-Sicht verständlich, aus Konsumentenperspektive aber ärgerlich.