Erstellt am: 28. 5. 2016 - 08:08 Uhr
The DAO: Crowdfunding-Rekord und Zukunftsvision
Im März 2013 warnte US-Präsident Barack Obama vor den vermeintlichen Gefahren der Verschlüsselung von Smartphones und sagte dabei den Satz: "Everybody's walking around with a Swiss bank account in their pocket. So there has to be some concession, for a need to get into that information somehow." Der Sicherheitsexperte und Autor Andreas Antonopoulos kommentierte das so: Obama wisse es wohl noch nicht, aber in der Tasche könne man heute nicht nur ein Schweizer Bankkonto tragen, sondern auch eine ganze Schweizer Bank. Existierende Smartphone-Apps können Milliarden von Kryptowährungs-Konten erstellen und verwalten, Geld in Sekundenschnelle an User weltweit verschicken sowie Kredite vergeben und verwalten. Banken, Börsen und der ganze Finanzsektor müssen sich darauf einstellen, das einige Zeilen Programmcode in Zukunft ganze Geschäftsbereiche ersetzen werden - Code, den möglicherweise Teenager in ihren Kinderzimmern programmieren. Im Jahr 2009 hat sich mit der Erfindung von Bitcoin die Welt verändert. Nur wenige Menschen haben es damals bemerkt.
Bitcoin wird oft missverstanden, indem es auf seine Anwendungsmöglichkeit als digitales Geld reduziert wird. Tatsächlich handelt es sich um ein Internetprotokoll zur Übertragung und Verwaltung von Wert. Bitcoin löst somit ein Problem, das bis ins Jahr 2009 als unlösbar galt - und das auf unerwartet elegante Weise. Die Übertragung von Wert erfolgt nicht nur schnell und grenzenlos, sondern direkt von User zu User, verschlüsselt und in einem dezentralisierten Netzwerk, das keinen "single point of failure" kennt und weder abgeschaltet noch zensiert werden kann. Die Erfindung, die Bitcoin möglich macht - die Blockchain-Technologie - hat nun auch zu jenem Aufsehen geführt, das "The DAO" zum bisher erfolgreichsten durch Crowdfunding finanzierten Projekt gemacht hat.
The DAO
"The DAO" folgt in seiner Namensgebung dem schon etwas älteren Akronym DAO, das für dezentrale autonome Organisation steht. Das Konzept existiert seit 2013. Vereinfacht gesagt beschreibt es eine Struktur, deren geschäftliche Regeln durch Computerprogramme festgelegt werden, sogenannte Smart Contracts. Weil Smart Contracts in einer Blockchain, also in einem durch Verschlüsselung abgesicherten Peer-to-Peer-Netzwerk, abgelegt werden, sind sie von außen nicht manipulierbar. Und weil Blockchain-Technologie sich so gut für die Übertragung von Wert eignet, können diese Smart Contracts - also Computerprogramme - heutzutage selbständig Geld versenden und in Empfang nehmen. Bitcoin ist programmierbares Geld.
Seit 2013 wurden mehrere dezentrale autonome Organisationen gestartet - Experimente, deren jeweiliger Ausgang noch ungewiss ist. Dass der jüngste Versuch - eben "The DAO" - jetzt so viel Interesse erzeugt und den Crowdfunding-Rekord gebrochen hat, liegt unter anderem auch an der Popularität von Ethereum, dem nach Bitcoin zweitwichtigsten Blockchain-Netzwerk.
Ethereum unterscheidet sich von Bitcoin im wesentlichen dadurch, dass es komplexere Programmierung ermöglicht. Während Bitcoin mit maximaler Sicherheit glänzt (seine Blockchain ist das rechenstärkste verschlüsselte Netzwerk, das die Menschheit bisher erschaffen hat), sticht Ethereum durch eine universell einsetzbare Programmiersprache hervor - sie verfügt also über sogenannte Turing-Vollständigkeit. Das heißt: Jedes erdenkliche Computerprogramm - und somit jeder erdenkliche Smart Contract - kann in der Ethereum-Blockchain erstellt und abgelegt werden. Kryptographie-Liebhaber, Software-Entwickler und progressive Fintech-Experten lieben Ethereum dafür - und "The DAO" ist die erste dezentrale autonome Organisation, die Ethereum und dessen Turing-Vollständigkeit nutzt. Daraus erklärt sich also die Teilnahme Hunderttausender Ethereum- und Bitcoin-Nutzer an der Crowdfunding-Kampagne.
Ethereum Foundation
"The DAO" investiert gesammeltes Kapital in Startup-Unternehmen und Produkte, um so einen Ertrag für die Mitglieder der Organisation zu erzielen. Die Mitglieder sind jene User, die das Projekt durch Crowdfunding unterstützt und dafür Anteile an der Organisation erhalten haben. Diese Anteile sind keine Wertpapiere, sondern kryptographische Tokens, die in einem Smart Contract in der Ethereum-Blockchain abgelegt sind. Im selben Smart Contract wählen die Mitglieder mittels ihrer Tokens bei Abstimmungen, welche Richtung die Organisation einschlägt, welche Startups sie finanziert, welche Produkte sie kauft oder welche Agenturen sie beauftragt.
Die Mitglieder der Organisation können außerdem eigene Vorschläge für Projekte einreichen, die von "The DAO" finanziert werden sollen. Dafür schreibt man selbst einen Smart Contract in die Blockchain - ein sogenanntes Proposal, über das dann abgestimmt wird. Für diese Verträge gibt es Vorlagen und sie regeln, dass "The DAO" in ein Startup investiert und weitere Zahlungen an zu erreichende Ziele gebunden sind. Wenn ein Ziel erreicht wird, leistet der Smart Contract die Überweisungen automatisch - denn "The DAO" ist eben eine Organisation, deren Struktur, Regeln und Zahlungsvorgänge mittels Programmcode festgelegt sind.
Bisher wurden Proposals von drei Startups in "The DAO" eingereicht: Die Idee hinter Slock ist, eine Verleih-Plattform zu bauen, die das Internet of Things mit der Ehtereum-Blockchain verbindet: User können eine Anzeige für Verleihgegenstände in der Blockchain ablegen. Leihvorgänge werden darin dokumentiert, das Pfand für eine Leihgabe mittels Kryptowährung abgewickelt - alles über einen Smart Contract. Das zweite Proposal stammt von einem Startup-Uternehmen names Mobotiq. Darin geht es um selbstfahrende Autos, deren Mietgebühr und Pfand ebenfalls auf der Ehtereum-Blockchain abgewickelt werden. Ein drittes spannendes Proposal namens "DAMN" (Decentralized Autonomous Arbitration and Mediation Network) beschreibt eine Struktur, in der Rechtsstreitigkeiten auf Basis der "UN Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards" (die sogenannte "New York Convention") gelöst werden können - mittels Smart Contracts anstatt einer Heerschaar an Rechtsanwälten.
mobotiq
Wie vorhin schon erwähnt ist "The DAO" nicht der erste Versuch einer dezentralisierten autonomen Organisation. Einer der prominentesten Zweifler am aktuellen Experiment ist deshalb auch Daniel Larimer, Gründer des eher erfolglosen Bitcoin-Crowdfunding-Projekts BitShares. In seinem Blog schreibt er: "Smart contracts cannot fix dumb people" und beschreibt mögliche Probleme, die auf "The DAO" zukommen könnten. Die Theorie, gemeinsam zu entscheiden, welche Projekte unterstützt werden, so Larimer, werde sich der Realität von individuellem Egoismus sowie politischen und wirtschaftlichen Interessen stellen müssen.
Andere Kritiker mahnen, dass die Ethereum-Plattform zwar grandios konzipiert, aber noch sehr jung und unerprobt sei. Auch Christoph Jentzsch, einer der Erfinder und Programmierer von "The DAO", räumt ein, dass er nicht damit gerechnet habe, dass das Projekt die jetzige Größe annehmen würde. Rückblickend betrachtet hätte er sich mehr Zeit für Tests gewünscht, bevor Menschen aus aller Welt 132 Millionen US-Dollar investieren.
Spannend wird auch, wie dezentrale autonome Organisationen zukünftig in regulatorischer und rechtlicher Hinsicht eingeordnet werden. Wo etwa ist der Gerichtsstand einer Organisation, die keinen Chef, keine herkömmliche Firmenstruktur und keinen Firmensitz hat? Wie auch schon im Fall von Bitcoin zeigt sich angesichts von Ethereum und "The DAO", dass bestehende Gesetze und Regulierungen an die neuen Technologien angepasst werden müssen. Eines ist aber klar: Blockchains, Smart Contracts und dezentralisierte autonome Organisationen sind Erfindungen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen - und sie haben bereits begonnen, das Internet und die Welt zu verändern.