Erstellt am: 26. 5. 2016 - 16:29 Uhr
Wir jagen die Monotonie
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Durch die Geschichtsschreibung der elektronischen Tanzmusik und der so genannten Dance Culture zieht sich der Mythos vom unbedingten Wunsch nach Unity, nach Gleichmachung und geiler Anonymität der frühen Jahre.
Der Dancefloor als Utopia, in dem sich die Grenzen zwischen allen Beteiligten auflösen sollten, in der Dunkelheit, im Schweiß, im Rausch, sich umarmen und küssen, in einem Raum, in dem vor allem auch der DJ noch kein Superstar sein sollte, sondern Teil der Celebration. Mag das ein Gedanke gewesen sein, aus dem in der Mittwochnacht die große Eröffnungsparty des Grazer Spring Festivals in der nach wie vor großen Helmut-List-Halle mitgeboren wurde?
Stefan Leitner
Nach einem hochgemütlichen frühabendlichen Open-Air-Get-Together im Grazer Joanneumsviertel, wo die Zentrale des Festivals liegt, mit Schallplattenentertainment, ersten wärmenden Getränken, einem Konzert der österreichischen Elektronik-Pop-Band Ages und frühzeitigem Abbruch per Regen-Überraschung interessierte sich die folgende Nacht in der Helmut-List-Halle nämlich kaum für punktuelle Sensationen und Knalleffekte.
Vielmehr stand sie vornehmlich im Zeichen eines konstanten Grooves, der Macht der Repetition. Wer da in der imposant mit Visuals bespielten Halle nämlich gerade so schraubte und drehte, war oft auch egal – man konnte es vielleicht auch manchmal gar nicht so genau sehen. Man hätte im Programmheft nachlesen können und sich darauf vorbereiten – oder man geht halt einfach auf ein Rave, so sagte man früher.
Stefan Leitner
Was nun aber nicht heißen soll, dass das Programm egal gewesen wäre – bloß eben – mit Ausnahmen – kaum von Starpower, Crossover-Appeal oder gar argem Avantgarde-Charakter durchsetzt. DJ, Live-Set, Live-Set, DJ, DJ, beat goes on.
Ob da nun nämlich der Supertyp RNDM von den Hamburger Gourmet-Gold-House-Labels DIAL und LAID auflegt oder ein lokaler DJ wird nicht rasend viele Menschen im Publikum gejuckt haben.
Subtiler Höhepunkt der Mittwochnacht: Die Live-Performance des Hamburger Musikers und Produzenten Stimming. Hauptsächlich ist der Mann beim Hamburger Label Diynamic zuhause, ist aber auch mit DJ Kozes Querdenker-House-Label Pampa Records verbandelt – und stellte im Rahmen der ersten Nacht des Spring Festivals ein feinsinniges Liebhaber-Booking dar.
Auf seiner aktuellen, tatsächlich sehr guten Platten „Alpe Lusia“ errichtet Stimming auf dem Fundament von House eine seltsame, vertrackte und zärtliche Wunderwelt aus Elektronika, Field Recordings, Glockenklingklang und kammermusikalischen Tupfern. In der Live-Darbietung passt er sich freilich der Situation „Club“ bzw. „Großraumhallentechnoparty“ an, beim Spring gelang Stimming eine doch feine Verquickung von Druck auf dem Dancefloor und abseitigerem Experimentierwillen.
Stefan Leitner
Dass jedoch hinter den für die davor und danach spielenden DJs aufgebauten Turntables und CD-Playern Stimmings Maschinenpark, seine Geräte und Kisten gar nicht zu sehen waren, und der Künstler für das Publikum quasi im Nichts fingerte, muss wohl leider als gewieft ausgeklügeltes Gedankenexperiment gelesen werden, als erneute Infragestellung und Zersetzung der Systeme Live/DJ/Starkult/Gleichgültigkeit.
Ebenfalls sehr gut: Das Live-Set von Recondite und dann doch, er, der Star-DJ. Ben Klock, Berliner Berghain-Botschafter, in Aussehen und Auftreten betont Vermittler von unflashiger, stilsicherer Schlichtheit, in seinem Handwerk meisterlicher Verweber. In Ben Klocks Händen wird aus prächtiger Stumpfheit, Minimalismus und harter Bestrafung feingliedrige Kunst. So auch beim Spring Festival. Man wogte und wippte, man schwitzte, erstmals wurde gejohlt, gekreischt und gepfiffen. Irgendwann war die Nacht vorüber.
Stefan Leitner
Stefan Leitner
FM4 am Spring Festival
Wir melden uns natürlich permanent On Air und Online vom Springfestival.
Am Freitag, 27.5., sendet FM4 eine LaBoum Deluxe-Spezialausgabe live aus Graz mit vielen Livegästen!
Außerdem hosten wir am gleichen Abend auch die Bühne im Dom im Berg mit Kolinsky Konspiracy live, Slack Hippy, Austrian Apparel live, Carlo Ruetz (minus, supdub | DE), Ellen Allien (bpitch control | DE) und Kenny Larkin (Warp rec. | US). Visuals von Fruit Media.