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Pia Reiser

Filmflimmern

27. 5. 2016 - 11:01

Dancing in the (Sing) Street

"Sing Street" ist eine unwiderstehliche, synthiepop-angetriebene Liebeserklärung an die Popkultur der 1980er Jahre.

Wenn eine akustische Gitarre ungefähr gleich viele Szenen hat wie eine der Hauptfiguren, dann handelt es sich wahrscheinlich um einen Film von John Carney. Nach dem low budget Überraschungshit "Once" - mit Glen Hansard von "The Frames" - und "Begin Again" mit Keira Knightley als Singer/Songwriterin, beginnt auch Carneys aktueller - und bester - Film "Sing Street" mit Geklampfe - nur, um die Gitarre dann gegen andere Instrumente einzutauschen.

Im rezessionsgebeutelten Dublin des Jahres 1985 vertont Teenager Connor (herausragend: Ferdia Walsh-Peelo in seiner ersten Rolle) den gerade durchs Haus tönenden Streit seiner Eltern. Mich überfällt kurz die Befürchtung, dass hier wieder mit Freude die zahlreichen, möglichen Miseren des Aufwachsens in möglichst großen Eskalationsszenarien erzählt werden. Also gewalttätiges, liebloses Elternhaus, Alkohol, Prügel und dann das gleiche nochmal wiederholt in der Institution Schule. Aber Carney, der auch das Drehbuch geschrieben hat, dreht in seinem Film nicht alles auf Anschlag. Er kreiert kein weißes Rauschen des Leidens für seine Hauptfigur, aus der dann Popkultur der Notausgang bzw. das Kaninchenloch in eine Parallelwelt wird.

Ferdia Walsh-Peelo und Jack Reynor in "Sing Street"

constantin

Connors Eltern streiten zwar, das heißt aber nicht, dass man sich nicht zusammen "Top of the Pops" anschauen kann. Vater Robert meint zwar lapidar nach einem Blick auf Duran Duran, dass dass keine Beatles sind, umso euphorisierter gibt der älteste Sohn Brendan (Jack Reynor, sowas wie ein halbirischer Chris Pratt) ein Impulsreferat über Lady Dis Lieblingsband und vor allem über die Wichtigkeit der Musikvideos. Connor lauscht und nickt. Ebenfalls Lauschen und Nicken steht an Connors neuer Schule an der Tagesordnung, aus Geldmangel muss er an eine Schule wechseln, die von christian brothers geführt wird. Dort geht's natürlich weder christlich noch brüderlich zu.

Der Schulhof ist eine einzige Prügelmasse, der obligatorische Bully mit kurzgeschorenen Haaren und Bomberjacke (im Jahr 1980 funktioniert die Bomberjacke noch als eindeutig zuschreibbares Kleidungsstück) reibt sich bei der Ankunft des Neuen schon die Hände. Doch Connor nimmt das alles mit fast stoischer Gelassenheit, gibt es doch wichtigeres. Raphina zum Beispiel, das schöne Mädchen mit den großen Ohrringen, und seine Band, die er erfunden hat, um Raphina zu beeindrucken.

constantin

Und so wird "Sing Street" zu einer liebevollen Würdigung der Popkultur der 1980er Jahre. Inspiriert von The Jam, The Cure, generell den Bands, die man später dem New Romaticism zuschreiben wird, aber auch der verzerrten Stimme der Buggles bei "Video killed the Radio Star" formen Connor und seine herrlich verschrobenen Bandkollegen die beste Band, der man seit langem auf der Leinwand beim euphorisierten Gepose zuschauen durfte. Streberhaft veranlagte Popkultur-Querverweissucher werden in jedem Parka, in jedem Button, in jeder Seidenhemdmasche und jedem Riff eine Anlehnung und Bedeutung finden. Viel schöner aber ist es - ähnlich wie in "Hail Caesar" der Coen Brothers - die Referenzen erst gar nicht zu zerpflücken, sondern diese Band als einen Pars-pro-toto-Fleckerlteppich zu sehen, der einen Zeitgeist skizziert, während er ihn umarmt.

Analysiert man hier zu sehr, könnte man vor allem eventuell den herausragenden Songs von Connors Band nicht genug Aufmerksamkeit schenken, was schade wäre. Oft ist das, was neu entsteht, ja viel mehr als die Summe seiner Referenzen. Schon allein die Kostüme, die beim Videodreh für "The Riddle of the Model" getragen werden, sind eine Hommage-Explosion einerseits und etwas komplett Neues andererseits. Reines Nachmachen, das lernt Connor von Brendan, hat keinen Wert in der Musik.

Band in dem film "Sing street"

constantin

Inzwischen ist seit den tatsächlichen 1980er Jahren offensichtlich auch genug Zeit vergangen, dass man dieses Jahrzehnt mit all seinen modemäßigen Wahnsinnigkeiten auch unironisch inszenieren kann. (Und, ich meine, das abscheulich hässlichste Jahrzehnt - rein optisch, musikalisch und filmmäßig - sind immer noch die 1990er Jahre - discuss!). Nach den diesjährigen Filmen "Eddie the Eagle", "X-Men: Apocalypse" und auch Richard Linklaters "Everybody wants some!!" sind die Mode und die Musik der 1980er Jahre nicht mehr nur ein fauler Witz in einem Film.

Constantin

"Sing Street" wird zu einem Manifest für die Bedeutung von Popkultur - nur diesmal nicht wie in so vielen anderen Filmen als Flucht aus der Realität, sondern viel besser, als weapon in the war against reality, wie es in "Alice in Wonderland" heißt. Es ist kein Eskapismus, sondern im Gegenteil die Bereicherung der Welt, die einen tatgtäglich umgibt. Im besten Fall kann man dann auch dem Bully - angereichert mit der Selbstsicherheit, die als Frontmann einer Band meistens automatisch einhergeht, schon mal verbal den Wind aus den angriffslustigen Segeln nehmen. Überhaupt ist es herrlich zu sehen, wie Carneys Film der repressiven christlichen Schule und ihren Schikanen und auch den Bullies nicht diese Macht und diesen Platz im Narrativ einräumt, wie das sonst der Fall ist. Und - das hat ja auch schon Morrissey bewiesen - auch äußerst fragwürdige Erziehungsmethoden und brutale Strafen an Schulen können sich in Songs verarbeiten lassen.

constantin

Mit den Brüdern Brendan und Connor erzählt "Sing Street" auch davon, wie Popkultur diese beiden Archetypen braucht, um weiterzuexistieren: die einen, die analysieren, kritisieren und verordnen, die zur Musik tanzen und kiffen und die anderen, die aus all den Einflüssen etwas Neues schaffen. Connor bezeichnet sich als Futuristen, er will alles, bloß nicht zurückblicken - das gilt in dem Fall für ganz Dublin. Da richtet man den Blick am liebsten am Meer stehend nach vorne, Richtung Großbritannien, und träumt davon, eines Tages auch nach London zu sehen, dorthin, wo nicht nur die Subkultur pulsiert, sondern auch noch bessere Jobs zu finden sind. Ohne Romantisierung von Armut zu betreiben oder aber die Probleme seiner Figuren einfach nur als Drehbuch-Kniff zu verwenden, gelingt es Carney völlig unzynisch, auch davon zu erzählen, wie große Kunst - oder eben große Songs - in Situationen entstehen, in denen grad vielleicht nicht das Glück oberhand hat.

constantin

Finding happiness in sadness versucht Connor - inspiriert von The Cure - seiner Band den Ansatz zum Songwriting zu erklären. Wenn Connor dann irgendwann auch noch Augen-Make-up trägt oder für einen Auftritt ein Kleid anzieht, dann wird er endgültig zu einer der einnehmendsten und souveränsten Teenagerfiguren, die man auf der Leinwand so trifft. Wer auch nur den Hauch an Interesse - oder Liebe - für die Popkultur der 1980er Jahre in sich trägt, sollte sich "Sing Street" auf keinen Fall entgehen lassen. Mehr noch als eine Coming-of-Age- oder Liebesgeschichte ist er vor allem auch eine wunderbare Geschichte über die Beziehung zwischen zwei Brüdern.