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Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

25. 5. 2016 - 17:30

Der Mann hinter dem Merkel-Plan

Der Österreicher Gerald Knaus hat mit einer internationalen Gruppe gleichgesinnter WissenschaftlerInnen einen politischen Thinktank gegründet. Am Donnerstag ist Gerald Knaus im FM4 Doppelzimmer zu Gast.

Ich habe das erste Mal vor ungefähr drei Monaten im FALTER über Gerald Knaus gelesen. Das Interview mit dem Politikberater, der einst auszog, um mehr Klarheit in die Welt zu bringen, las sich wie ein Politthriller.

FM4 Doppelzimmer mit Gerald Knaus

Am 26. Mai von 13 bis 15 Uhr ist Gerald Knaus im FM4 Doppelzimmer zu Gast. Das Gespräch wurde am 19. April 2016 aufgezeichnet.

Doppelzimmer
    FM4 Doppelzimmer mit Gerald Knaus - Extended Version (ohne Musik)

    Im letzten Herbst, als Europa ein großer und scheinbar nie enden wollen Strom an Menschen entgegen floss, Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien flohen, wo sie vor kurzer Zeit noch ein Geschäft betrieben, in die Schule gingen, Freunde hatten und Europa ein Ferienziel war, begann Knaus mit seinem Team über eine Lösung nachzudenken.

    Das ist seine Spezialität: in Krisen, für die es oft keine Referenzen gibt und somit die Daten und Fakten als Grundlage für politische Entscheidungen fehlen, Konzepte zu erarbeiten und anzubieten. Gerald Knaus ist Leiter der ESI, einem unabhängig agierenden Thinktank, der sich Europäische Stabilitätsinitiative nennt. Die ESI entwickelt Konzepte für krisengeschüttelte Regionen und politische Ausnahmesituationen. Und die PolitikerInnen hören tatsächlich zu.

    Eine Haufen WissenschaftlerInnen und ForscherInnen, die in NGOs, in der Weltbank, an Universitäten gearbeitet haben und in einem Netzwerk verstreut über Europa in kleinen Büros sammeln, auswerten, sich austauschen und schließlich zu einem Schluss kommen, wie es gehen könnte. Das erste Mal haben sie das kurz nach ihrer Gründung in Sarajewo nach dem Bosnienkrieg getan. Und sie haben schnell Gehör gefunden. Al Gore hat sie damals zu sich ins Büro geholt, nachdem man ihm von den Vorschlägen der ESI-Leute erzählt hat, die im Internet und auf diversen Foren kursierten.

    Gerald Knaus

    Pamela Russmann

    Seither ist viel Zeit vergangen. Gerald Knaus hat geheiratet und lebte einige Jahre mit seiner Frau, die ebenfalls für ESI arbeitet, und seinen drei Töchtern in der Türkei. Für ihn sind die Schnittstellen mit Europa, wie die Ukraine oder eben die Türkei, immer die
    Orte gewesen, an denen er am liebsten forscht und lebt.

    Die Universität in Oxford hat er verlassen ohne seinen Doktor zu machen, weil er lieber in der Ukraine Wirtschaft unterrichten wollte als auf einen akademischen Titel hinzuarbeiten. Damals traf der Kapitalismus auf den Kommunismus und die Weltordnung wurde neu geschrieben.

    Die gute Kenntnis über der politischen Verhältnisse in der Türkei hat Knaus im vergangenen Herbst geholfen, den sogenannten "Merkel-Plan" zu entwerfen. Denn für Knaus war schnell klar: Die Flüchtlingskrise kann nicht ohne die Türkei und Griechenland gelöst werden, und das einzige Land, das wiederum der Türkei politisch etwas anzubieten hat ist Deutschland. Zudem hat sich Angela Merkel als einzige europäische Politikerin erwiesen, die von Beginn an eine offensive Haltung in der Flüchtlingsfrage hatte und bis heute hat.

    Merkel wusste nichts von dem Merkel-Plan, bis ihre Berater ihr das Konzept von Knaus und seinem Team auf den Tisch gelegt haben. Kurze Zeit später hat die Kanzlerin den Lösungsvorschlag aus der Denkfabrik von Gerald Knaus erstmals im Fernsehen als die Linie der Bundesregierung präsentiert.

    Seit 15.Mai ist der EU-Türkei-Deal in Kraft. Er ist bei Menschenrechtsorganisationen umstritten und es ist nicht klar, ob der Pakt nicht in den nächsten Wochen platzen wird, wenn sich die Türkei und die EU über offene Punkte der Vereinbarung nicht einigen können.

    Gerald Knaus vom Trinktank ESI mit Elisabeth Scharang auf dem Weg ins FM4 Doppelzimmer

    Pamela Russmann

    Ich wollte wissen, wer dieser Mann ist, der in der europäischen Politik mit seinen Expertisen auffällt und den ich in Österreich bisher nie wahrgenommen habe. Warum interessiert sich die österreichische Politik nicht für helle Köpfe, die bei der Europäischen Stabilitätsinitiative arbeiten und forschen? Und wie kommt jemand dazu, einen politisch unabhängigen Thinktank zu gründen?

    Seit Knaus als Kopf des Merkel-Plans einer größeren Öffentlichkeit bekannt ist, sieht man ihn auch regelmäßig in österreichischen Medien. "Im ORF muss ich immer klarstellen, dass ich kein 'Dr.' bin. Die gehen automatisch davon aus, dass wenn jemand in Oxford studiert hat, er ein Dr. ist", grinst Knaus.

    In einem langen Gespräch erzählt er, warum er ein Jahr vor der Matura die Schule geschmissen und lieber alleine im Kaffeehaus gelernt hat, warum er sich so für politische Zusammenhänge interessiert und begeistern kann und dass seine älteste Tochter durch die vielen Umzüge der Familie inzwischen fünf Sprachen nahezu fließend spricht.