Erstellt am: 22. 5. 2016 - 10:31 Uhr
Vorsicht, der "Jugo-Schriftsteller" stellt Fallen!
Man sieht sie nur mehr selten - diese old-school Straßenmusiker, die mehrere Instrumente umgehängt haben und mit jedem Bein noch mal zwei Trommeln und Glocken bedienen.
Saša Stanišić könnte einer von ihnen sein. Nur, dass er nicht musiziert, sondern schreibt.
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Nach seinen mehrfach ausgezeichneten Romanen "Wie der Soldat das Grammofon repariert", der mittlerweile in 31 Sprachen übersetzt wurde, und "Vor dem Fest" jetzt also der erste Erzählband "Fallensteller". Darin stellt er gleichzeitig Fallen, verzaubert, jongliert mit Fantasie, Melancholie und Komik, wirft mit Glitter um sich und spielt nebenbei lässig und lustig mit Sprache. Da "mittagspäuseln schwedische Arbeiternehmer", "Der Koch hat etwas Gelbes zum Frühstück gepuddingt" oder man ist "zu verkatert und vollkaskoversichert, um darüber ernsthaft in Stress zu geraten".
Saša Stanišić spielt wie ein freches furchtloses Füchslein mit der deutschen Sprache. Gelernt hat er sie als 14-Jähriger, nachdem er mit seinen Eltern 1992 aus Bosnien Herzegowina flüchten musste und in Heidelberg landete. "Die soziale Einrichtung, die sich für unsere Integration am stärksten einsetzte, war eine abgerockte ARAL-Tankstelle." erzählt er in dem Sammelband "Wie wir leben wollen. Texte für Solidarität und Freiheit."
Etliche seiner Charaktere und Begebenheiten dürften ihre Wurzeln "der ARAL" und seiner genauen Beobachtungsgabe verdanken. Aber wie heißt es in einer Erzählung: "Damit dir Seltsames auffällt, musst du dich für das Normale interessieren, sonst weißt du ja nicht, worin die Abweichung besteht."
Luchterhand
Saša Stanišić hat ein feines Gespür für die Abweichungen.
In jeder der neun Erzählungen wird eine Falle gestellt, fallen welche, sind in Fallen geraten oder richten sich Gefallene wieder auf. Meist sind es sensible, schüchterne, schwache Protagonisten. Sei es der unscheinbare alte Mann, der im Gemeindesaal in seinen 15 minutes of fame alle verzaubern will oder der Junge, dem im Ferienlager, in das er nie wollte, ein Wolf begegnet.
Wölfe spielen auch in der Titelgebenden längsten Erzählung, "Fallensteller", eine wichtige Rolle. Eines Nachts taucht in der Uckermark ein merkwürdiger schwarz gekleideter Fallensteller auf, der gleichermaßen Tiere wie Menschen beunruhigt. Nicht irgendwo in der Uckermark, sondern in Fürstenfelde – dem Dorf, in dem Saša Stanišić’ letzter Roman "Vor dem Fest" spielt.
Der Roman wurde 2014 mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet, was Saša Stanišić gekonnt in das Erzählte einfügt: "Nachdem der Schriftsteller hier gewesen ist, der mit dem Buch über uns. Lada hat ihm ja damals alles gezeigt, so und so läuft es hier und so läuft es dort. Alleine hat der Typ sich höchstens mal zum Bäcker getraut, um nicht zu verhungern. Ein Jugo war das. Aber ein verweichlichter Jugo, ganz ungewöhnlich. Jugo-Schriftsteller halt. Später sind dann 'Literatur-Touristen' hergeradelt 'auf den Spuren des Buchs'. Kamen bei Ulli vorbei, wollten Fotos machen. Musst du dir mal vorstellen! Pichelst schön in aller Ruhe deine Molle, plötzlich latscht ein Lesezirkel aus Lübeck in die Garage."
Tatsächlich gäbe es diese "Literatur-Touristen", wundert sich Saša Stanišić lachend in einem Interview. Immer wieder macht er sich in kleinen Andeutungen über den Literatur- und Kunstbetrieb lustig – und über sich selbst.
So lässt er den finnischen Gott der Reise Tapio erzählen: "Sein neuester Versepos nennt sich Wie der Hausmann das Grammophon repariert und besteht aus lyrischen Versatzstücken von Gebrauchsanweisungen uralter Grammophone und modernster mp3-Player, die er unterwegs gesammelt hat. 'Ich habe fünfhundert Geräte in Gedichten installiert', erklärt er, und dass das bei Kritikern gar nicht gut angekommen sei. Er habe aber ein zu reges Liebesleben gehabt, um sich über Kritiker aufzuregen."
Katja Sämann
Extra Pluspunkte gibt es schon für die Titel der Erzählungen: "Die große Illusion am Säge-, Holz- und Hobelwerk Klingenreiter Import Export", "Die immens schönen tragischen blöden glückseligen deutschen Flüsse" oder "Mo klaut ein surrealistische Gemälde einer syrischen Surrealistin und will es seinem Vater verkaufen, bzw. egal wem".
Manche dieser Erzählungen sind bereits vor Jahren erschienen, drei sind mehrteilig. Neben dem "Fallensteller" auch die über Georg Horvath, ein Justiziar, der sich sein Leben lang den Umständen angepasst hat und sich jetzt auf einer Geschäftsreise nach Brasilien befindet. Am Flughafen steigt er wegen einer Namensverwechslung ins falsche Taxi. Selbst als er das bemerkt, hat er kein Bedürfnis, in die andere – richtige, aber doch falsche Welt umzusteigen. Stattdessen sinniert er über Sprache. "Auch als Justiziar muss er präzise sein und seine Texte unmissverständlich aufsetzen, es sei denn, er stellt der Gegenseite eine Falle."
Privat aber ist Georg Horvath gern poetisch. Es gibt sogar einen Gedichtband von ihm – aus Liebeskummer hat er unter Pseudonym einmal eine gescheiterte Beziehung in Worten verarbeitet. Die Lektorin meinte damals allerdings, es seien Kriegsgedichte und hat den Buchtitel "Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht" vorgeschlagen.
Am Berührendsten ist wohl die letzte Erzählung "In diesem Gewässer versinkt alles". Ein Anfang 30-Jähriger genießt mit zwei Frauen das Leben in Paris, während sein Großvater in Bosnien im Sterben liegt. "Dass jemand, der abwesend ist, in einem Augenblick derart anwesend sein kann, anwesender als anwesend."
Wie unterschiedlich die Szenarien und Charaktere auch sind - Saša Stanišić öffnet unterschiedlichste, in sich stimmige Welten. Mitunter erinnern die an Alice Munro, Wolf Haas oder Austrofred. Eine merkwürdige Mischung – und doch.
Fraglich, ob Saša Stanišić ein guter Straßenmusikant wäre. Zum Glück schreibt er. Denn das kann er. Und zwar mit den Mitteln, mit denen der "Fallensteller" arbeitet und die Erzählung endet: "Wir wissen, auf so einen bist du nie vorbereitet, mit seinem Gepäck voll Allerlei: Sprache, Mut und Zauberei."