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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

21. 5. 2016 - 16:14

Der Monat der Überforderung

Der Mai bringt den Drang mit sich, endlich wieder rauszugehen. Das Pfingstwochenende in Berlin brachte den polarisierenden "Karneval der Kulturen". Und Songcontest war ja auch noch.

Der Mai ist ja seit alters her der Monat der Überforderung - die Natur grünt und blüht wie verrückt drauf los und vor allem der winterbleiche Städter denkt, er muss jetzt unbedingt raus ins Grüne. Die Außen-Gastronomie eröffnet die Saison; gerade am langen Pfingstwochenende braut sich da einiges zusammen.

Lieber Song Contest schauen

In Berlin finden ja an Pfingsten traditionell immer mehrere Großveranstaltungen statt. Zum Glück war es dieses Jahr kalt und regnerisch und so konnte man den Samstag Abend schon mal gemütlich zu Hause bleiben und wie jedes Jahr im Mai den European Song Contest am Fernseher verfolgen.

Das Interesse am ESC war dieses Jahr eher gering, kaum einer nahm davon Notiz, aber wer seit 40 Jahren "Grand Prix Eurovision de la Chanson" schaut, wird nicht plötzlich damit aufhören, nur weil keiner drüber redet.

songcontest germany

JONATHAN NACKSTRAND / AFP / picturedesk.com

Jamie-Lee holt für Deutschland den letzten Platz beim Song Contest 2016

Was soll man zum diesjährigen europäischen Sängerwettstreit sagen? Dank des neuen Punktevergabesystems wissen wir nun nicht genau, wer alles Deutschland keinen Punkt gegeben hat. Vermutlich alle. Man munkelt, beim Publikumsvoting habe es Mitleidspunkte aus Österreich und der Schweiz gegeben, man weiß, dass es einen einzigen Jurypunkt aus Georgien gab.

Was soll's, einer muss halt letzter sein - auch wenn der Song von Jamie-Lee gar nicht so schlecht war und zwischen all dem Emotionsgedöns doch ganz erfrischend rüber kam. In der Fehlerdiskussion einigte man sich darauf, dass beim internationalen Publikum aller Altersschichten ein Manga-Mädchen aus Deutschland eher auf Unverständnis gestoßen war.

Multikulti-Spektakel

Das ganze Pfingstwochenende stand ja unter dem Zeichen des "Karnevals der Kulturen", ein Straßenumzug, den die alteingesessenen BerlinerInnen eher kritisch sehen.
Das allzu gut gelaunte Multikulti-Spektakel ist auch nur alkoholisiert und mit starken Nerven zu ertragen. Aus dem improvisierten Straßenkarneval nach Londoner Vorbild war in den letzten Jahren eine tourismusfördernde Großveranstaltung geworden.

Karneval der Kulturen 2014

RAINER JENSEN / EPA / picturedesk.com

Die hippen BerlinerInnen finden auch die Darbietungen ganz schrecklich: Kreuzberger Ökos, die einen auf Brazil oder Senegal machen! Bleiche Studienrätinnen beim Bauchtanz! Weiße Sambagruppen!

Der gesamte Karneval der Kulturen sei doch eh bloß Oktoberfest mit Federschmuck und ein exotistisches Vergnügen, weil man sich an der "Fremdheit" der anderen ergötzt.

Die nicht hippe, aber erfahrene Berlinerin bleibt dieser Veranstaltung traditionell fern, nicht weil sie was gegen weiße Sambatrommler und Bauchtänzerinnen aus Lehrberufen hat, sondern weil es unerträglich voll ist, weil sich mittags schon Hunderttausende durch die Straßen wälzen und bald besoffen sind, weil sie schon früh am Tag wässrigen Caipirinha saufen, den sie auch wieder an allen Ecken und Enden des Straßenfestes ausscheiden müssen.

Rückeroberung?

Die Karnevalsverfechter wiederum sehen im Pfingstumzug ein Volksfest, das in seiner geglückten Diversität einfach zu Berlin passt. Die Wahrheit liegt wohl, wie so oft, irgendwo dazwischen.
Angeblich hatte der diesjährige Umzug wieder den Charme der frühen Jahre, die BerlinerInnen hätten sich den Karneval zurückerobert.

TeilnehmerInnen Karneval der Kulturen 2016

MAURIZIO GAMBARINI / AFP / picturedesk.com

TeilnehmerInnen beim "Karneval der Kulturen" am 15. Mai 2016 in Berlin vor ihrer Performance

Das Berliner Regionalfernsehen übertrug das Spektakel live, manches war folkloristisch, manches witzig. So wie die Teilnehmergruppe des Städtepartnerschaftsvereins Kreuzberg-San Rafael del Sur (Nicaragua), die mit zwei fußkraftbetriebenen Pappvehikeln, einem Bus aus San Rafael und einem Berlin U-Bahnwagen durch die Straßen tanzte. Oder junge BerlinerInnen von der "Sri Lanka Association", die zuerst sehr traditionell, dann im Berliner Electro-Style auf der Straße volkstanzten.

"Antänzer"

Die ungute Nachricht kam einen Tag später. Zwei junge Frauen sind nach Polizeiangaben beim Karneval der Kulturen aus einer Gruppe von etwa zehn jungen Männern heraus sexuell belästigt und bestohlen worden. Ein Passant mischte sich ein und filmte den Vorfall, darauf hin konnten ein 14-Jähriger und zwei 17-Jährige, alle in Berlin geboren, vorübergehend festgenommen werden.

Im Laufe der Woche gingen weitere Anzeigen ein. In den meisten Fällen hatten es die "Antänzer" "nur" auf Bargeld und Handys abgesehen, in einigen Fällen kam es zu sexuellen Belästigungen. Bei den sogenannten "Antänzern" geht man ja in Deutschland schnell von Tätern aus Nordafrika aus, allerdings scheint es inzwischen schon jugendliche Berliner "Trittbrettfahrer" zu geben.

Seit der letzten Silvesternacht in Köln ist in Deutschland sexuelle Belästigung von Frauen Thema, es soll jetzt endlich auch das deutsche Sexualstrafrecht reformiert werden. Das ist gut und höchste Zeit, schlecht daran ist, dass sexuelle Belästigung nur Empörung hervorruft, wenn die Täter aus Nordafrika oder dem arabischen Raum kommen. Dass man einem Männermob, gleich welcher Nationalität, alles zutrauen muss, dass weiß nicht nur die Berlinerin allzu gut.

In diesem einzigen Punkt ist das Zuhausebleiben keine Lösung. Frauen sollten sich verstärkt im öffentlichen Raum zeigen und Plätze besetzen - mehrere An-tanz- Aktionen von Frauen sind im Sommer auch am verfemten Kriminalität- Nachtleben- Hotspot Kottbusser Tor geplant. Wir werden berichten.