Erstellt am: 20. 5. 2016 - 11:32 Uhr
Folk-Rock-Party mit Mumford & Sons
Die Hoffnung nähren, und nicht die Sorgen und die Ängste. Wer dies tun will, braucht Energie und Begeisterung, auch Ausstrahlung. Charisma nennt man letzteres Gerne. Die (österreichische) Politik wünscht sich Begeisterung und Energie herbei, damit die Hoffnung lebt. Marcus Mumford und seine Band haben es - alles was es braucht, um zu reussieren und viele viele Menschen in seinen Bann zu ziehen. Wir sprechen hier nicht von einem Rattenfänger, sondern wahrhaftigen Künstlern und Menschen.
Klingt pathetisch, aber spätestens als es goldenes Licht auf die Bühne regnete und die Handylichter wie Weihnachtsspritzkerzen die Halle erleuchteten, erfüllte sich auch mein Herz mit wohligem Pathos. Ich geb´s ja zu, mein Herz war leicht wütend - sorgenvoll und ängstlich an diesem Abend; voller banaler Sorgen, die mich nicht routinierte Stadthallengängerin erfüllten: Würde ich einen Parkplatz für das Auto finden? Würde mein Sitzplatz denn auch ein guter sein? Würde ich gut sehen können?
Franz Reiterer
Und so ging ich noch immer im Kreis in der Stadthalle, von einem beziehungsweise einer freundlichen OrdnerIn zum und zur nächsten geschickt, auf der Suche nach dem Rock´n´Roll-Sitzplatz. Mumford & Sons spielten da längst ihren ersten Song, als ich endlich fündig wurde. Die Party war schon in Gange: "Little Lion Man", der erste Hit aus ihrem Debutalbum, das schon wieder fast sieben Jahre alt ist, war bereits angestimmt.
Nachhören:
Interview mit den Mumford & Sons in der FM4 Homebase im 7-Tage-Player.
Folk-Rock-Party, unten wo die stehenden Fans sind und auch oben bei den Sitzenden. Schenkelklopfen und viel zu gute Laune rund um mich herum. Ich fühlte mich etwas verloren, falsch am Platz - denke an das großartige Konzert der Band vor zwei oder drei Sommern in Wiesen. Nicht in einer Halle zu sein, sondern Mumford & Sons bei einem Festival sehen zu können, wünsche ich mir nun, während rings um mich vor Freude gepfiffen, geschrien, geklatscht und eben auch schenkelgeklopft wird. Ein Volksfest, das mich aber erst noch etwas nervt.
Mumford & Sons sind inzwischen beim Titelsong ihres aktuellen Albums angekommen: "Wilder Mind". Mein zorniges Herz ist nun etwas besänftigt, die große, so natürliche Stimme von Marcus Mumford, es ist gut hier zu sein. Bei "Lover Of The Light" - vom zweiten Album der Band - sitzt Marcus Mumford nun am Schlagzeug, während er singt - etwas, das er sich nicht nehmen läßt. Winston Marshall spielt nun sein Banjo wieder, jenes Instrument, das soviel zum Sound von Mumford & Sons beigetragen hat, bevor diese Indiefolker zur Rockband wurden.
Großer zeitgenössischer Gitarrenpop
"Tompkins Square Park" steht an, mein Lieblingssong vom aktuellen Album "Wilder Mind". "Meet me in Tompkins Square Park", singt Marcus Mumford, in diesem New York City-Song der englischen Band. Es folgt "Believe", ebenfalls von "Wilder Mind", jener Lichtermeer-Moment. Ach, Zeit den schrillen Pfiffen vom Nachbarsitz, die nach jedem Song direkt in mein Ohr ergehen, zu entgehen, denn am Rand, da ist noch ein Plätzchen frei.
"I will never be your chosen one", singt Marcus Mumford nun, ganz ohne Koketterie, nämlich den Song "Broken Crown" vom Album "Babel". Sehr schön. Weniger Party jetzt, viel Raum für großen zeitgenössischen Gitarrenpop. Es folgen die Songs "Ghosts That We Knew" vom "Babel"-Album und der Titelsong vom ersten Album, "Sigh No More", mit den flotten Fingern von Ted Dwaine an seinem Kontrabass, welcher auch mit dabei ist und seit dem "Wilder Mind"-Album zum Glück nicht komplett eingemottet wurde. Ted wechselt zwischen Kontrabass und der elektrischen Bassgitarre.
Franz Reiterer
Marcus: "Wanna dance?" Aber klar doch. Alle auf den Rängen stehen auf. Stampfen, daß die Ränge wackeln - zum Hit "The Cave" vom ersten Album. Marcus Mumford ist nun in der Menge. Wo ist er gerade? Wo geht er dann hin? Warum tut er (sich) das (an)? Weil er eben Freude hat. Dann setzt er sich wieder an das Schlagzeug. Sehr elektrisch nun alles, trotz Kontrabass. Rock. Metal? Ja, das klingt nach Rock, richtigem Rock. Einer der Band war ja als Teenager in einer Metalband. Ich tippe auf Ted Dwaine? Oder doch Winston Marshall? First we take the Stadthalle, and then we´ll take, nun ja, das Ernst-Happel-Stadion vielleicht? Heute Abend ist es ja besetzt mit AC/DC und Axl Rose, aber irgendwann dann mal könnte dieses Stadion auf eine Band wie Mumford & Sons warten.
Eine kleine Nachtmusik
Respekt, wie Mumford & Sons diesen Abend schaukeln. Aber irgendwann muss selbst ein Marcus Mumford zu etwas Ruhe mahnen: Eine kleine Nachtmusik, wie er sagt, steht an: "And it´s only gonna work, if we all go quiet." Da sind sie nun nicht mehr auf der Bühne, sondern dort, wo das Mischpult in der Halle steht, in der Mitte. Ich schiele von meinem Sesselchen runter - ach das Sitzen da oben irgendwo, gut für den Notizblock, aber insgesamt, hmm -, wie die Band da also nun eine Akustikeinlage gibt: "Timshel" vom ersten Album und "Cold Arms" vom aktuellen Longplayer. "As brothers we will stand", singen nun diese vier Folk-Brüder, die längst Rockstars sind. Es ist ergreifend. They mean it.
Dann sind Mumford & Sons wieder zurück vorne auf der Bühne, mit "Hot Gates" vom aktuellen Album - und einem neuen Song, der schon jetzt nach Hit klingt, aber nicht von der "Johannesburg"-EP ist, die im Juni erscheint, und die zusammen mit dem westafrikanischen Star Baaba Maal, einer südafrikanischen Band und dem Londoner Trio The Very Best entstanden ist. Das würde nicht passen, wenn keiner von den anderen Mitwirkenden dabei sei, meinte Keyboarder Ben Lovett im FM4-Interview vor dem Konzert. Aber spätestens bei der Homecoming-Show von Mumford & Sons heuer in London, werden diese Gäste dann mit dabei sein.
You Really Got Me
Der Gast des Stadthallen-Abends von Mumford & Sons ist ein gewisser Bill Ryder-Jones. Er spielte bei der Liverpooler Band The Coral und veröffentlichte kürzlich ein erstes Soloalbum. Der dünne, kompromisslos wirkende Mann mit der verhuschten Stone Roses-Frisur gibt Mumford & Sons - in England ja manchmal kritisiert ihrer "Bürgerlichkeit" wegen - eine Art Street Credibility. Marcus Mumford schüttelt das Tambourin und alle singen zusammen "You Really Got Me" von den Kinks, jener großer Britpop-Vorläuferband rund um Ray Davies. Ein toller Moment. Dass alle tanzen, auch auf den Rängen, muss wohl nicht extra erwähnt werden.
Es folgt noch "I Will Wait" - vom zweiten Album der Band - mit Marcus Mumford an der akustischen Gitarre, und dann noch ein Rocksong: war es "The Wolf" vom aktuellen Album? Da husch ich nämlich bereits hinaus zur Stadthalle, bevor sich die mir noch immer etwas Angst machenden Menschenmassen in Bewegung setzen. Die Hoffnung nähren, und nicht die Sorgen und die Ängste. Mein Herz ist nun viel leichter. Energie, Begeisterung, und nicht eine Minute Langeweile - Mumford & Sons haben es auf uns übertragen, und das ist etwas Großes, oder jedenfalls etwas, das nicht zu unterschätzen ist. Aber vielleicht war der Bundeskanzler ja ohnehin auch hier, soll ja ein "Britpop"-Fan sein, hab ich gelesen.