Erstellt am: 20. 5. 2016 - 16:30 Uhr
FM4 Videopremiere & Albumtalk: Giantree
"Vivid" tanzt in den Fußstapfen des Debütalbums "We All Yell", im Rahmen des neuen Albums "Match Cut" aber gleichzeitig ein bisschen aus der Reihe. Straight outta Indiehausen kommt der Song, die kleine Schwester von "Time Loops", dem wunderbaren Superhit der Band, an dem niemand so richtig vorbeigekommen ist. Doppelt interessant ist der neue Song nun, weil der Inhalt im Kontrast zum beschwingt-lieblichen Zuckerwattepopsound steht.
Erzählt wird in "Vivid" nämlich vom Granteln, vom Unzufrieden- und Hin- und Hergerissensein. Das klingt gar zu wienerisch? Nein, oder nicht nur. Weil außerdem geht es, erzählt Sängerin Ada Joachimsthaler, auch darum, dass die persönliche Komponente die Sicht auf die Dinge natürlich am maßgeblichsten beeinflusst. Was für den einen ein warmer Sommerregen ist, ersetze für den anderen nur die warme Dusche. Oder umgekehrt. Jeder interpretiert Zustände, Gefühle, Eindrücke anders. Giantree erzählen, dass etwas so oder so ist, fragen aber nicht, wieso. Ohne Mysterien wär’s ja doch ein bisschen zu langweilig.
Dass man ein Eisstanitzel als Protagonisten einsetzen kann, ohne einen kindlichen Werbespot zu drehen, sei mit dem dazugehörigen Videoclip nun bewiesen. Immerhin hat es mit der tropfend-leckeren Tüte auch was ganz anderes auf sich. Wer genau hinsieht, wird merken, dass genau die köstliche Süßigkeit es ist, die die zwei Hauptdarsteller verändert. Eine zerrissene Geschichte, die nicht ganz den Anfang, nicht ganz das Ende, sondern eher Fragmente einer lose zusammenhängenden Erzählung zeigt. Ein Flackern zwischen Schwarz, Weiß und Farbe. Einerseits als schöner Kunstgriff, andererseits gerne auch zur allgemeinen Verwirrung. Es ist nie ganz klar, ob jetzt ein Rückblick gemeint ist, welche Zeitzone, ob Realität oder nicht. Gegenwart, Zukunft. Vergangenheit. Nirvana.
Was ist denn jetzt aber ein Match Cut?
Der Begriff an sich kommt aus der Filmproduktion und ist eine Technik im Filmschnitt. Zwei Handlungen werden im Schnitt so zusammengefügt, dass der Zuseher sie als zusammengehörig empfindet. Wenn in der zweiten Single, "Age Is In The Heart" die Zeile "There is no way out" gesungen wird, sieht man im dazugehörigen Video die rotierende Weltkugel, dann eine sich drehende Schallplatte, danach einen sich ebenso drehenden Uhrzeiger. Was, wenn die Batterie der Uhr ausgeht? Geht die der Welt dann auch einmal aus?
Bei Giantree hatten hier allen voran natürlich auch die Videoproduzenten viel mitzureden, die Idee des absichtlich Zufälligen zieht sich aber nicht nur durch die Visualisierung der Songs, sondern bis hin zum Albumcover und dem gesamten neuen Artwork.
"Manche hören eher auf die Lyrics, manche eher auf die Melodie. Manche nehmen einen Song gesamt wahr, wieder andere konzentrieren sich mehr auf die Bilder im Video. Die visuellen Schmankerl sollen daher nicht nur unsere Ideen unterstreichen, sondern dementsprechend durchaus auch alleine für sich stehen können."
Und das beinahe Wichtigste, das auch im neuen Video zu "Vivid" betont wird: Es soll Raum bleiben für freie Interpretation. "Metaphern sind schon ganz ok", so Bassistin Franzi Kleinschmidt. "Wir arbeiten sehr gerne damit. Es soll aber auf keinen Fall so sein, dass vorgefertigt ist, was man sich zu einem Song, zu einem Video denken soll. Was jeder für sich selbst mitbringt und gedanklich hineinsteckt, bleibt eigentlich das Spannendste".
Martin Prechelmacher
Auf die Frage, wie sich Giantree dem zweiten Album – nach dem großen Erfolg des Erstlings – angenähert haben, kommt die sympathische Antwort: "Schon ein bisschen angespannt." Ada fügt hinzu, sie haben sich wirklich sehr lange Zeit gelassen, alle auch so auf den Punkt zu bringen, wie sie es sich vorgestellt haben - "Nicht mehr ganz so unbescholten."
Die gesuchte Perfektion ist dann oft eh nur der Weg zurück zum Einfachsten. Das zweite Album soll noch strenger strukturiert, ausgefeilter, durchdachter sein. Die Soundarrangements, wenn es sein muss, werden da auch fünfmal umgedreht. Und dann, wenn die Köpfe rauchen, die Seiten gerissen sind, die Ohren nach Ruhe schreien, ist oft die Ausgangsidee das gefälligste Endprodukt.
Auch die Arbeitsweise hat sich diesmal geändert, es war ein gestückelter Prozess. Alle Bandmitglieder sind da gern auch einmal getrennt ins Studio gegangen, haben je ihre Parts eingespielt, eingesungen. Von der Jamsession des Debuts zur kreativen Puzzle-Zusammensetzung in der Folge.
Was sich nicht geändert hat, ist die Veränderung. Die dichten Keyboardparts, der dahinsausende, harmonische Duettgesang, die choral-verliebten Passagen finden sich zwar wieder auf "Match Cut". Aber: tausche analog, im Vergleich zum Debüt in großen Teilen, gegen elektronisch. Das Album ist außerdem intensiver, dünkler, komplexer - ja, erwachsener geworden.
Die Einflüsse sind anders als vor ein paar Jahren, die Bands, die man sich anhört, zumindest teilweise auch verschieden. Aber wenn ein Bandmitglied Geburtstag hat, ist das obligatorische Geschenk nach wie vor eine Konzertkarte – bzw. fünf. Bandausflüge zu Elbow, den Klaxons, The Naked & Famous. Und am liebsten, so schwärmt Ada, wenn sie an die letzten Monate zurückdenkt, zu den Foals.
monkey
Match Cut von Giantree erscheint via monkey.music.
"Bands live zu sehen ist wie ein Lebenselixier. Man lernt ja nichts dazu, wenn man sich nicht ansieht, was um einen herum passiert."
Age Is In The Heart
Nicht nur die Band, sondern natürlich auch die Protagonisten sind älter geworden, kurz hört man Ada sogar seufzen. Sie fühlen sich auf keinen Fall alt, nein. Sich im Bewusstsein der immer laufenden Sanduhr das Unbeschwerte behalten, um das geht es unter anderem im Song, auf "Match Cut". Was in zehn Jahren sein wird, überlegen sich Giantree definitiv jetzt noch nicht. Dass man kein großes Haus, großes Boot, großes Hausboot braucht, steht fest.
Dann doch lieber einen großen Bass, große Verstärker und am liebsten: die größte Bühne.
Match: Cut. Welt, Uhr, Schallplatte. Noten, Musik, Konzert, Festival, Mitsingen. Laut, laut mitsingen.
Age is in the music.