Erstellt am: 18. 5. 2016 - 16:27 Uhr
"Eine Zeitkapsel an Erinnerungen"
Weitere Buchempfehlungen auf fm4.orf.at/buch
Den Iran kennt Shida Bazyar selbst nicht wirklich. Doch das Land war seit ihrer Geburt präsent, zuhause sprachen ihre Eltern Persisch. 1979, elf Jahre vor ihrem Geburtsjahr, lässt Shida Bazyar die Geschichte ihres ersten Buchs beginnen. "Nachts ist es leise in Teheran" ist eine fiktive Familiengeschichte, die vom Iran nach Deutschland und in die Gegenwart führt. Wer bislang wenig über die jüngere Geschichte des Irans wusste, erfährt einiges in diesem detailreichen Roman. Revolutionen interessieren Shida Bazyar, die in Hildesheim Literarisches Schreiben studiert hat.
Joachim Gern
Das Private ist politisch, so lautet ein Slogan der Frauenbewegung in den 1970er Jahren. Und auch auf das Geschehen im Iran 1979 trifft der Satz zu. "Küsse und Süßigkeiten auf den Straßen, und man merkte gar nicht den Übergang von eben noch still nebeneinander zu Hause und plötzlich Teil der Menge, Teil der tosenden, grölenden Menge. Teil der Bewegung, Teil des Kampfes, und wir schleuderten unsere Fäuste gen Himmel."
Shida Bazyar schickt Behsad und Nahid als erste Hauptfiguren in Geschehnisse, die sich im Rückblick von historischer Dimension erweisen. Behsad und Nahid werden für eine kommunistische Revolution kämpfen, sie werden sich verlieben und Eltern werden.
Es sind die Details, über die Shida Bazyar vieles vermittelt. "Der Rasierboykott war beim Militär unser erstes gemeinsames kollektives Aufbegehren gegen die Autorität. Jetzt, nach der Revolution, kämmen wir unsere Haare nicht, waschen unsere Haare nicht, wollen alles, nur nicht so aussehen wie die vom Schah gewünschte amerikanisierte Jugend. Rasieren tun wir uns zwar so schlecht wie möglich, aber wir rasieren uns, um nicht auszusehen wie die bärtigen Gläubigen.“
Im März 1979 stimmen die Iraner zu 98 Prozent für die Islamische Republik. Für viele bedeutet das vor allem die Erlösung von der Diktatur des Schahs. Doch als die Macht an den Kleriker Ruhollah Khomeini geht, werden Oppositionelle verfolgt. Nicht nur Behsads Bart muss weg: “Als er ihn abrasierte, um nicht wiedererkannt zu werden, lief Morad vor ihm weg. Einem Einjährigen kann man nicht erklären, dass man die Eltern als Kommunisten kennt und sie deshalb unter falschem Namen in der Wohnung eines anderen unterkommen müssen.“
Kiepenheuer & Witsch
Das Paar flieht nach Deutschland. Dort haben die neuen, politisch doch auch links gesinnten Bekannten all ihr Wissen über den Iran aus Betty Mahmoodys Bestseller „Nicht ohne meine Tochter“ und das Bild des Schahs und seiner gut gekleideten Frau vor Augen. Die Einladung, mit zur örtlichen Frauengruppe zu kommen, beschämt Nahid. Im Exil über Gemüse und Luftverschmutzung zu sprechen, das möchte sie nicht. Das Wort „Exil“ verbindet sie mit einem Zustand, als wäre man eingefroren und würde trotzdem versuchen, sich zu bewegen.
Shida Bazyar erzählt in einem fort. Langweilig wird das nicht. 1979, 1989, 1999 und 2009: In vier Teilen und gleichsam vier Erzählungen aus der Perspektive jeweils eines Familienmitglieds entwickelt sich die Geschichte über zwei Generationen.
In eine Zeitkapsel an Erinnerungen, die sie eigentlich nicht brauchen, würde er sie werfen, heißt es an einer Stelle über einen Freund. "Nachts ist es leise in Teheran" birgt vier Zeitkapseln, mit denen man sich mühelos konfrontieren kann und die sich doch lohnen.
„Mein Kopf ist wie die Sammlung an Videokassetten in dem großen Kaufhaus: Ich kann einzelne Videos aussuchen und sie mir ansehen.“