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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

16. 5. 2016 - 16:50

Alles unter einem Dach

Digitalism lassen am neuen Album "Mirage" die Genregrenzen verschwimmen. Unser Artist of the Week.

FM4 Artist Of The Week

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Digitalism finden sehr schöne Worte, um ihre eigenen Songs zu beschreiben. Über "Battlecry" zum Beispiel, vom neuen Album "Mirage": "Wenn der Song ein Poster wär, das würde man sich dann wie ein Pin-Up-Poster im Zimmer aufhängen, während man eine Zigarette raucht." Ein Aufruf zur Liebe sei die Single, ein Schlachtruf für Amor, der mit erhobenem Pfeil und Bogen auf einem Pferd reitend in ein Tal galoppiert. Mit der zentralen Zeile: "I feel the love inside / This is a battlecry".

Einfach einzuordnen war das Duo aus Hamburg in seinem zwölfjährigen Bestehen dabei noch nie. Einflüsse haben Digitalism viele, schaffen es aber gleichzeitig, nicht wie eine Kopie ihrer Vorbilder zu klingen. Sondern schaffen es, verschiedenste Genres zusammenzumischen und als zugängliche Dancetracks neu aufzubereiten.

Digitalism

Digitalism

"Gerade die Mischung aus Indie-Musik und Drummachines statt Live-Drums fanden wir immer sehr attraktiv. Das haben New Order viel gemacht früher oder andere Synthie-Bands. Oder jetzt auch Future Islands", sagt Jens Moelle, der neben İsmail Tüfekçi eine Häfte von Digitalism ist.

Elektronische Beats beeinflusst vom Rhythmus echter Schlagzeuge, Synthesizer, die der Akkordfolge von Gitarren folgen. Die Indie-Einflüsse, die sind auch auf "Battlecry" gleich klar. Da singt niemand anderer als Anthony Rossomando die Leadvocals, seines Zeichens Gründungsmitglied der Dirty Pretty Things mit Carl Barât.

Aber nicht nur die Gitarrenmusik trägt zum Sound von "Mirage" bei. Auch der Hip-Hop wird mit dem Track "The Ism" in den Genremix geworfen: "Das ist ein Novum", sagt Jens. "Unser Busfahrer von der US-Tour vor zwei Jahren hat gemeint, er kann rappen, er würde uns gern mal ein paar Sachen zeigen. Gegen Ende der Tour haben wir dann gesagt: Ja, dann mach doch jetzt mal. Und er kam da mit diesem Freestyle an. Tennessee Tony nennt er sich. Wir haben die Sounddatei wiedergefunden und haben einfach angefangen, wild rumzuschnippeln und zu arbeiten. Und das war eigentlich durch das ganze Album, den ganzen Prozess verteilt so. Wir haben uns nicht selbst zensiert, sondern wir haben einfach drauflos gemacht."

Diese kreative Freiheit zeigt sich dann auch in der Länge des Albums. Über 70 Minuten dauern die fünfzehn Lieder auf "Mirage" insgesamt: "Dadurch, dass wir so viel Platz hatten zum Austoben, dadurch ist es so interessant und unterschiedlich geworden. Wenn wir jetzt gesagt hätten, wir machen jetzt nur 20 Minuten, eine EP oder sowas, dann kann man auch gar nicht so abschweifen. Und dann entstehen so ganz überraschende Geschichten, wie sie da auf dem Album sind."

Der Titeltrack "Mirage" ist so eine überraschende Geschichte. In zwei Teile geteilt baut der sich langsam über zwölf Minuten auf, mit soundtrackhaften 80er-Arpeggios und atmosphärischen Padsounds, bis gegen Ende des Tracks die noisigen Bässe und kalt-klirrenden Drumsounds für das Finale sorgen. Fast eine musikalische Zeitreise durch die elektronische Musik, was Digitalism hier präsentieren.

Albumcover von Mirage

Digitalism

"Mirage" von Digitalism ist auf Magnetism Recording Co. erschienen.

Auch in der Produktion des Albums hat sich die Band so viel Freiraum gegeben, wie sie wollte: "Uns ging's diesmal eher um die Inhalte und weniger ums Sounddesign. Es ging um schnelles Ausarbeiten und nicht monatelanges Rumschrauben. Wir haben viel altes Equipment, wir bereiten aber auch viele Ideen mit dem Laptop vor. Aber im Prinzip ist unser Credo mit dieser aktuellen Platte eigentlich so, dass man auch für 8.000 Euro irgendwelche alten Sammler-Drum-Machines kaufen kann. Aber am Ende geht's um die musikalischen Inhalte und gar nicht darum, wo dieser Kickdrumsound herkommt oder welcher Bass-Synthesizer das ist. Das ist eher Nebensache."

Damit liefern Digitalism ein Album für jede Lebenslage ab. Da schwelgt man in melancholischen Padsounds, fordert mit wuchtigen Beats zum Tanzen auf und macht sogar eine kurze Exkursion in Richtung Hip-Hop. Womit die Band aus Hamburg einmal mehr ihr ganz besonderes Talent demonstriert: Vielschichtige Genresprünge in zugängliche Tanzmusik zu verpacken. Oder wie es Jens treffend ausdrückt: "Da ist irgendwie einfach alles unter einem Dach."