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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

14. 5. 2016 - 12:10

Wechseljuicer und Flexitarier

Ganz Berlin und halb Facebook sprachen letzte Woche über ein herrlich durchgeknalltes Interview mit der Verlegerin und Kunsthistorikerin Angelika Taschen.

Die Leser wussten nicht, ob sie hysterisch auflachen, den Kopf an die Wand schlagen oder weinen sollten - für die einen war der Text ein famoses Stück absurder Literatur, für die anderen die schlimmste Lesefolter, ein Ausbund an Dekadenz und Selbstgefälligkeit, ein einziges schamloses Marken- und Namedropping.

Wir sind an dieser Stelle hier ja immer um Ausgleich bemüht und fragen uns: Steckt nicht viel Neid und Bitternis in dieser Debatte? Stammen viele der hämischen Kommentare nicht vielleicht von Menschen, die frustriert sind, weil sie nicht annähernd so superreich, supergebildet ( Dissertation in Kunstgeschichte über "Bühne und Bildende Kunst im Futurismus") wie die Frau Taschen sind?

Weil sie nicht die Selbstdisziplin und das Know-How haben so gesundheitsbewusst wie die Lifestyle-Queen zu leben? Weil sie einfach niemals so hip und trendy sein werden, weil sie nicht so viele Künstler und tolle Leute kennen, mit denen sie beim Abendessen über den Eros griechischer Statuen zu diskutieren wissen, weil sie sich noch niemals von berühmten Architekten zu schwarzen Wänden in ihren großzügigen Designerlofts verführen haben lassen?

Es ist bitter, aber es ist halt so - nicht jeder kann laufend tolle Kunstprojekte planen, Charity-Events besprechen, Stilfibeln schreiben und als Lifestyle -Päpstin durchs Leben gehen. Aber dieses Interview kann doch auch für uns allzu normale Berlinerinnen total lehrreich sein. Denn hier werden wir über das echte, wahre Berlin aufgeklärt, zu dem wir sonst ja gar keinen Zugang haben. Wir haben zum Beispiel, anders als Frau Taschen, keine Ahnung, was man so isst und trinkt und wo man einkauft:

Das ganze Interview
www.welt.de

Taschen: "Ich bin Wechseljuicer und Flexitarier und ernähre mich fast nur von Märkten: Gewürze wie Zatar oder Sumach für meine Ottolenghi-Gerichte finde ich bei meinem Araber auf der Potsdamerstraße, in der Nähe von Murkudis. Immer samstags, nach Yoga, geht's auf den Kollwitzmarkt: Da ist eine Tofumanufaktur aus Kreuzberg, ein ganz toller Bäcker, der Frankenlaibe backt, Slow-Food-Brot, das kann man eine Woche aufheben, es wird nicht trocken, weil es so gut gebacken ist."

Ich hingegen ernähre mich, wie viele meiner Bekannten, fast nur von Super-Märkten und kenne höchstens ein paar Wechselbeerer. Aber auch wir normale Berlinerinnen werden mal irgendwo eingeladen und es quält uns die Frage: Was bring man mit? Auf "Granatapfelseife von Ortiga, eine schöne Zahnpasta von Marvis (Jasmin-Mint für Sie/ Lakritz für Ihn)" wären wir doch ohne Frau Taschen niemals gekommen!

Auch die Urfrage "Wie ist die Berlinerin?" kann die Kosmopolitin ("Ich bin 2004 von Hollywood Hills nach Berlin gezogen.") beantworten:

Taschen: “Berlin ist unkonventionell, tradierte Geschlechterrollenbilder sieht man genug in Hamburg oder München. Die Berlinerin ist keine Trophy-Frau, die sich auf irgendein Weibchen sein müssen einlassen will. Sie pflegt gekonnten Anti-Style, der mittlerweile von Detroit bis Tokio kopiert wird: Nicht zu glossy, zu high fancy.“

Gut, dass Angelika Taschen nicht nur das Loblied auf unsere Stadt singt, sondern den Finger in die Berliner Wunde zu legen weiß:

Taschen: "Als ich 2004 von den Hollywood Hills nach Berlin-Mitte zog, gab es nirgends etwas Vernünftiges zu essen. Bis in meiner Ecke der erste Coffeeshop, das "Bonanza" aufmachte, vergingen gefühlt Jahre. Es war das erste Café mit echtem Cappuccino (nicht den auf Knopfdruck), bevor später dann "The Barn" oder "Die Röststätte" eröffneten, wo man heute frisch geröstete und auch mal exklusive Bohnen wie Blue Mountain aus Jamaika oder Kona aus Hawaii mit diesem Duft der Macadamianuss bekommt. Für kalt gepresste Säfte, Smoothies, Matcha Lattes mit Mandelmilch, überhaupt für Schuster, Reinigung, Schraubenzieher muss man in Mitte trotzdem oft noch ins Auto steigen. Die Öffnungszeiten sind auch noch schwierig. "Sunrise Yoga" beginnt um neun – um die Uhrzeit hat man in L. A. bereits Yoga, Joggen und zwei Frühstücks-Meetings hinter sich gebracht."

Um die Uhrzeit habe ich in Kreuzberg noch zwei Mal geträumt und meinen Cappuccino auf Knopfdruck in Ikea-Leinen genommen - denkt da schuldbewusst die normale Berlinerin.

Zu guter Letzt noch ein paar unschätzbare Smalltalk-Zipps von Frau Taschen - ideale Gesprächs-Opener für Galerie-Eröffnungen, Literaten-Treffen, Frauenabende:

Taschen: "Auf welchen Partys vom Gallery Weekend warst du? Fährst du auch nach Basel? Hast du noch ein Zimmer im "Spielweg" bekommen? Man erzählt sich gern, wie lange man schon keinen Alkohol mehr getrunken hat – und wann man sich erlaubt, endlich wieder anzufangen. Ob man auch was in der Uckermark kauft oder doch lieber in Sizilien. Wer mit wem flirtet; wer welche Flüchtlinge aufnimmt. Man spricht über Flüchtlingshilfe allgemein wie die Vermittlungsagentur "Be an angel" oder das Frauennetzwerk "Wir machen das". Und unbedingt über immer wieder neue Therapieformen: Somatic Experiencing oder, davon habe ich neulich gehört: Die Alexander-Technik, ein von Tänzern entwickeltes Körperhaltungstraining."