Erstellt am: 13. 5. 2016 - 12:03 Uhr
Funknetz für alle - ohne Abmahnungen und Klagen
Kein EU-Mitgliedstaat hat weniger öffentliche WLANs als Deutschland: Auf 10.000 Einwohner kommen gerade einmal zwei Zugangspunkte, während es beispielsweise in Schweden zehn sind. Ein Grund für die WLAN-Wüste Deutschland ist die sogenannte "Störerhaftung" im Telekommunikationsgesetz: Private Internetuser haften für rechtswidriges Verhalten anderer User in ihrem Netzwerk. In Städten wie Berlin und Hamburg trauen sich viele Kaffeehaus-Besitzer, Vereine und Privatpersonen deshalb bisher kaum, offene WLANs zu betreiben.
Thomas Käfer, Funkfeuer
Dafür bietet sich in Deutschland ein besseres Geschäftsfeld für Abmahnanwälte als anderswo: Ganze Kanzleien leben seit Jahren davon, Internet-Anschlussinhaber mit kostenpflichtigen Abmahnungen zu überziehen, ohne genau nachweisen zu müssen, wer über deren Anschluss angeblich das Urheberrecht verletzt hat. Gegen die Störerhaftung rebelliert hat in Deutschland seit über zehn Jahren die Initative Freifunk: Sie betreibt ein offenes Netz aus Internet-Funkverbindungen.
Zur Freude von Freifunk und vieler privater Internetuser hat jetzt die Deutsche Bundesregierung beschlossen: Die Störerhaftung soll endlich abgeschafft werden.
In Österreich gäbe es nichts Vergleichbares, sagt Matthias Subik von Funkfeuer, der österreichischen Schwesterorganisation von Freifunk. Die bisherige Situation in Deutschland sei ein einzigartiges Paradoxon: „In den 90er-Jahren wurden auf amerikanischen Druck die Internet-Serviceprovider von der Haftung ausgenommen. Die Provider sind den Telefonfirmen gleichgestellt. Die Telefonfirma weiß nicht, was über ihr Netz gemacht wird, also weiß es auch der Internet-Provider nicht. Jetzt haben wir in Deutschland den Fall, dass die privaten Internetuser eine Störerhaftungs-Klage bekommen können, aber die Provider nicht. Das heißt: Die Deutsche Telekom, die mit ihren Hotspots am Bahnhof genau das gleiche tut – Internet sogar verkauft, also ein gewerbliches Interesse daran hat – ist haftungsfrei. Da gibt es keine Störerhaftung.“
In Zukunft soll also in Deutschland auch der private Betreiber eines WLAN-Hotspots nicht mehr Gefahr laufen, wegen des Surfverhaltens anderer Nutzer abgemahnt oder verklagt zu werden. Ein Grund für das Nachgeben der deutschen Regierung ist wohl ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH): Dort hatte ein privater WLAN-User (und Aktivist der Piratenpartei) Beschwerde eingelegt, weil er abgemahnt wurde. Über sein frei zugängliches WLAN war ein Album der Band Wir sind Helden zum kostenlosen Download angeboten worden. Der Generalanwalt des EuGH schreibt in seinem Schlussplädoyer, dass der User nicht haftbar gemacht werden sollte, ansonsten könnte das zu einem Nachteil für die Gesellschaft werden, der durch Vorteile für Rechteinhaber nicht aufgewogen werde. Meistens folgt der EuGH in seinen Urteilen den Empfehlungen des Generalanwalts.
Matthias Subik hält es prinzipiell für "eine tolle Idee", das eigene WLAN offen zu lassen. Er habe das selbst auch jahrelang gemacht, aber: "In den letzten Jahren ist es halt schwierig geworden, denn es gibt eine Menge an Sicherheitsattacken, die übers lokale Netzwerk funktionieren. Das heißt, man muss im Moment eigentlich sein WLAN verschlüsseln, damit nicht irgendein Blödsinn von einem fremden Computer in den eigenen Computer rüberschwappt – also z.B. Viren, Ransomware usw. Das heißt: Ja, man sollte sein WLAN verschlüsseln. Aber: Nein, man muss sein Passwort nicht bewachen. Man kann jedem, den man in die Wohnung einlädt auch in sein WLAN lassen."
Thomas Käfer, Funkfeuer
Der Verein Funkfeuer arbeitet in Österreich seit über zehn Jahren daran, eine noch umfassendere Vision vom freien Netz für alle umzusetzen: Unter dem Motto "Wir sind das Netz" stellen User ihre WLAN-Router für den Datentransfer der anderen Teilnehmer zur Verfügung. Funkfeuer erweitert sein Netz kontinuierlich. Aktuell gibt es über 300 Knoten in Wien, Graz, Wels, Klosterneuburg, in der Weststeiermark und im Waldviertel. Wichtig ist Matthias Subik dabei auch der soziale Aspekt des Mesh Networking: "Wir glauben, dass die Leute viel mehr darüber lernen, wie das Ganze funktioniert, wenn sie sich mal selber angeschlossen haben. Das heißt, wenn sie zu einem unserer Montagstreffs kommen und wir mal erklären: Wie funktioniert das mit dem Router, wie stellt man den auf? Wo dreht man die Antenne hin, damit man mal Empfang hat? Wer ist mein Gegenüber und wie lerne ich den kennen? Welche technischen Parameter muss ich mit ihm ausmachen? Dieser ganze Lernvorgang ist für uns ein Teil des Erforschens dieser Netze. Dass dabei auch noch ein tolles Internet für alle herauskommt, das nicht gefiltert wird und nicht gescreent wird, ist ein toller Bonus.“
Ein freies, offenes Internet, das dezentral über Funk organisiert ist und mehr Anonymität bietet – das ist die Vision von Funkfeuer und ihrer deutschen Schwesterorganisation Freifunk. Wenn die deutsche Bundesregierung jetzt - unter dem Druck des EuGH - die Störerhaftung für private WLAN-Netzwerke aufgeben will, hilft das auch bei der Schaffung von Funk-Computernetzwerken in unserem Nachbarland. Sie haben sich bisher mit VPN-Tunneln geholfen, um Abmahnungen und Klagen zu entgehen. Dieser Umweg kann in Zukunft wegfallen.
Die Abschaffung der Störerhaftung soll jetzt nach dem Willen der deutschen Bundesregierung schnell gehen: Falls der Bundestag die Gesetzesnovelle noch in diesem Monat beschließt, könnte schon ab dem Herbst auch für private deutsche WLAN-Besitzer und Betreiber privater deutscher Funknetzwerke mehr Rechtssicherheit herrschen.