Erstellt am: 13. 5. 2016 - 10:25 Uhr
Kreuzberger Krisen
Berlin dein Gesicht hat Sommersprossen hat Hildegard Knef gesungen, doch für derartig zärtliche Liebeserklärungen an die Stadt ist weder in "Mängelexemplar" noch in "Wie Männer über Frauen reden" Zeit, beide Filme laufen diese Woche in Österreich an, beide Filme lassen ihre Figuren in Kreuzberg durch die Nacht und das Leben stolpern. Im Falle von "Wie Männer über Frauen reden" springt eine Zeile von Peter Fox in meinen Kopf: Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein.
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Dabei, armes Berlin, es kann ja eigentlich nix dafür, dass die Brüder Henrik (Regie) und Carsten (Drehbuch) Regel ihren Film dort angesiedelt haben. Der Film - von den Regisseuren selbst und mit Crowdfunding finanziert - beginnt mit einem knarzenden Voice Over, das beweist, dass, wenn Oliver Korritke vielleicht noch dreimal heiser den Erlkönig gegen den Wind schreit, er endlich eine Stimme wie Martin Semmelrogge hat. Korritke krächzt also aus dem Off also darüber, wie super die Berliner Nächte sind, der Bass wummert, die Shotgläser und die Frauenhintern wackeln und beides begutachten und belächeln DJ (Korritke) und sein bester Freund Frankie (Clubbesitzer) mit besoffener Süffisanz.
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Das Leben als einzige Partynacht mit wechselnden Frauenbekanntschaften, der gelebte Traum von DJ und Frankie er ist nicht neu in der Popkultur, auch nicht die Verlautbarungen, dass die Frauen eigentlich bloß nicht älter als 35 sein sollen, weil dann bestehen sie ohnehin nur mehr aus Orangenhaut und Frustration. Alles also altbekannt, was die beiden zwischen Bier und Tequila in die Nacht rülpsen, interessant nur, wo "Wie Männer über Frauen reden" das Geschehen verortet - in der hipsterisch angehauchten Gegenkultur Berlin Kreuzbergs. Doch auch mit "Titanic"-Abo und Macbook, mit Skatermütze und Pallettenbett kann man reaktionär sein. Stammtisch-Chauvinismus zwischen Milchschaumkaffee und Band-T-Shirt. Berlin, du kannst so hässlich sein.
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Korritke brabbelt von Emanzen in Latzhosen mit Hängebusen, ein Klischeebild, das direkt aus den 1980er-Jahren zu kommen scheint und genau zu der Zeit beginnt auch das, was die deutsche Beziehungskomödie seit jeher definiert: Die Geschichte vom Typus des sich nicht binden wollenden Mannes. 1986 dreht Doris Dörrie "Männer" mit Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht - der Macho und der sensible Künstler, mehr Männertypen gab es medial zu dieser Zeit nicht auszuloten. Mitte der 199er Jahre definierte Til Schweiger dann in "Der bewegte Mann" diesen Typus neu. Weitaus weicher als Lauterbach, aber immer noch Alphatier mit Bindungsangst. Und 2007 war es wieder Schweiger, der mit "Keinohrhasen" diese Leinwandfigur ins neue Jahrtausend transferierte. Der verliebt sich dann auch in das einst so verhasste Mädchen mit der großen Brille und den hässlichen Pyjamas. Zum ersten Kuss kommt es allerdings auch nur, weil sie beschwipst ist und erzählt, dass sie grad keine Unterwäsche trägt und sich von der Kosmetikerin mit heißen Wachs alle Haare hat entfernen lassen. "Alle alle" fragt Schweigers Figur sicherheitshalber nochmal nach, bevor geschmust wird. Das muss Liebe sein.
Der Mann will sich also nicht binden, so will es die deutsche Komödie, damit die Pointenmühle weiterrattert. Als Frankie und seine beste Freundin Tine sich in einander verlieben, ist DJ zur Stelle, um ein Tampon in eine Bierflasche zu stopfen und anhand dessen zu erklären, wie das denn so ist, wenn man mit einer Frau zusammen ist. Quintessenz: Sie saugen sich fest. Auch Tine ist eher von gestern, verwendet seufzend Worte wie "Traumprinz" und sucht einen Mann für dessen Beschreibung sie Adjektive wie "schnuckelig" und "muskulös" auspackt, die Frauen in diesem Film haben das Körperbild, das die Männer über sie verbreiten bereitwillig übernommen und geben ihrem "Arsch höchstens noch fünf gute Jahre".
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Korritke krächzt währenddessen "Alles Schlampen außer Mutti an der Bar" und die Kamera fängt noch ein "Life is a bitch, learn to fuck it"-Graffiti ein. Drehbuchautor Carsten Regel hat in Berliner Clubs Feldforschung für diesen Fillm betrieben, er selbst betreibt seit einigen Jahren eine Bar mit Namen "Muschi Obermaier". Ich hab dann eigentlich keine weiteren Fragen. Der Film ist mehr Totalschaden als Mängelexemplar, während "Mängelexemlar" wiederum eine höchst erfreuliche Angelegenheit ist.
Mängelexemplar
Die Verfilmung von Sarah Kuttners Debütroman aus dem Jahr 2009 ist auch das Debüt von Regisseurin Laura Lackmann. "Mängelexemplar", das ist die Geschichte über eine junge Frau mit Depression in der Sprache der Popkultur. Und tonal ganz weit entfernt von Filmen wie "Wie Männer über Frauen reden". Eher an den Tonfall von "Girls" erinnert der Film stellenweise - beim Sich-selbst-im-Weg-Stehen, bei der scheinbaren Irrationalität im Gefühlsleben, bei der Flucht ins Nachtleben und wenn auf kurzzeitigen Party-Hedonismus ein noch größerer Weltschmerz-Kater folgt.
thimfilm
Regisseurin Lackmann weiß um die Wichtigkeit der ersten Szene. Die packt einen am Schlawittl. Eine junge Frau rennt über eine Brücke und versucht das kleine Mädchen, das auf ihren Schultern sitzt, abzuschütteln und wirft es schließlich über das Brückengeländer. Selbst wenn man den Roman kennt, starrt man gebannt auf die Leinwand. Bravourös meistert "Mängelexemplar" einen gehetzten, atemlosen Auftakt.
Das alles ist natürlich bloß metaphorisch zu verstehen. Karo hat ihr inneres Kind abgeworfen, erklärt sie im Wartezimmer der Therapeutin. Ab dann setzt "Mängelexemplar" statt auf große Bilder auf viele Worte. Ist ja auch eine Romanverfilmung, da muss dann auch ein Voice Over her, das alles noch blumig erklärt, was man ohnehin sieht. Nervt vielleicht ein wenig, ist aber auch konsequent. Schließlich ist die Ruhe, die Leere, der Stillstand das, was Karo am meisten fürchtet. Als sie ihren Job verliert, beginnt die Abwärtsspirale. Beziehungsweise hat die natürlich zuvor bereits begonnen, aber der Jobverlust bringt eine Leerstelle in Karos Leben und wie sich die Wut und Frustration über die Arbeitslosigkeit bei Karo äußern, macht ihr (und ihrer Umgebung) klar, dass da irgendwas aus der Balance gekommen ist.
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Hab ich jetzt eine richtige Depression fragt Karo die Ärztin. Was ist denn schon richtig, meint die. "Mängelexemplar" versucht erst gar nicht etwaige allgemeingültige Aussagen zu Depressionen zu formulieren. Es ist ja auch nicht nur ein Film über eine Frau mit einer Depression, genauso wie die Menschen, die davon betroffen sind, ja immer noch mehr sind als eine Person mit Depression. Und genau das wiederum bildet "Mängelexemplar" sehr gut ab. Karo ist immer wieder mal launisch, laut, egoistisch - aber welche ihrer Verhaltensweisen der Depression anzurechnen sind, das lässt sich nicht so einfach auseinanderdividieren.
Thimfilm
Wer sind wir denn, wenn wir keinen Job und keine Beziehung mehr haben und vielleicht auch noch eine komplizierte Familiengeschichte. Claudia Eisinger ist ideal besetzt als Endzwanzigerin, die den Boden unter den Füßen verliert. Die Nägel sind abgekaut, die Haare unfrisiert, die verheulten Augen schauen fragend ins Leere. Durchaus anstrengend, streng mit sich selbst und den Anderen. Reiß dich mal zusammen, sagen die einen. Du brauchst professionelle Hilfe, empfehlen die Anderen. Die Unterschiede zwischen Liebeskummer und Panikattacke, Traurigkeit und Depression, echter Verzweiflung und Hipster-Weinerlichkeit vermisst "Mängelexemplar" mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und sympathischer Flapsigkeit. Die Fähigkeit das Auf und Ab der Depression, die Gefühlsschwankungen, die Unberechenbarkeit der Launen greifbar zu machen, zählt zu den Stärken des Films. Der Verlauf einer Depression verweigert sich der Drei-Akt-Struktur und so versucht der Film erst gar nicht, hier einen üblichen Geschichtenverlauf zu kreieren.
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"Wie Männer über Frauen reden" und "Mängelexemplar" laufen seit 12. Mai 2106 in den österreichischen Kinos
So ganz nebenbei liefert der Film auch noch eine Zeitgeist-Miniatur des Hipster-Berlins, blickt mit hochgezogenen Augenbrauen auf ironische Schnurrbärte, Berghain-Touristen und Guerilla Gardening. Und so taumelt und strauchelt Karo in Kreuzberg zwischen Liebe, Freundschaft, Tabletten und Therapie hin und her und brüllt ihre Angst auch schon mal in die Welt hinein. Die Depression verschwindet nicht, bloß weil man sich mit Mama wieder besser versteht, schon ein paarmal bei der Therapeutin war oder sich neu verliebt hat. Schon für diese Erzählhaltung ist man dem Film unendlich dankbar. "Mängelexemplar" ist kein verfilmter Pschyrembel-Eintrag, kein Protokoll einer Krankheit und ihrer Behandlung, sondern eine unpeinliche Annäherung an einen Zustand, der zwischen Quaterlife-Crisis, Panikattacke und Depression wabert.