Erstellt am: 11. 5. 2016 - 13:13 Uhr
Was dieses Jahr in Cannes läuft
Heute Abend schaut die gesamte Filmwelt auf diese mit rotem Teppich bezogene Treppe in Cannes, wo bei der Eröffnung des wichtigsten aller Filmfestivals Hollywoodstars, französische Kinodiven und jeder der sonst noch bedeutend ist in dieser Branche seine Minuten im Blitzlichtgewitter nutzt, als Einstimmung auf die kommenden zwölf Tage, in denen erfahrungsgemäß wieder ein Großteil der Filme zu sehen sein wird, die Ende des Jahres auf so mancher Bestenliste auftauchen.
Vor zwei Wochen sah es hier noch ganz anders aus. Nicht nur war der Betonklotz an der Côte d’Azur, der sich so charmant-niedlich Festivalpalais nennt, noch nicht festlich geschmückt, sondern hockte trist neben dem alten Hafen des Küstenorts. Warum ich das weiß? Weil die Polizei hier eine Übung zur Terrorbekämpfung durchführte und dazu ein Video drehte, das online ging. Die Nerven liegen blank nach den Anschlägen in Paris und Brüssel und ein Filmfestival wie Cannes dürfte in den Augen des IS die ultimative Dekadenz repräsentieren. Deshalb also die Sicherheitsvorkehrungen, die vor allem auch die Festivalbesucher beruhigen sollen. Denn was in dem Clip zu sehen ist, erinnert eher an Räuber und Gendarm, bei der sich Dorfpolizisten und Terroristendoubles über die Treppen des Festivalpalais jagen und mit ihren Pistolen aufeinander schießen.
Eröffnet wird das Festival heute Abend mit Woody Allens Ensemblekomödie "Café Society" mit Kristen Stewart, Steve Carrell und Blake Lively. Im Vorfeld sorgte das bei der internationalen Presse für einiges Murren und Gähnen, denn es ist bereits das dritte Mal, dass dem New Yorker Regisseur die Ehre zuteil wird, das Festival zu eröffnen. Mit seinen 80 Jahren gehört er zu den dienstältesten Croisette-Fahrern.
Cannes
Auch ohne Film aus Österreich gibt es in diesem Jahr immerhin einen österreichischen Hauptdarsteller. Peter Simonischek spielt in Maren Ades Wettbewerbsbeitrag "Toni Erdmann" den sozialromantischen Alt-68er Wilfried, der überraschend seine Tochter Ines (Sandra Hüller), eine knallharte Unternehmensberaterin in Bukarest besucht. Ines ist von ihm und seinen lauen Witzen nur genervt und es kommt zum Eklat zwischen den beiden. Erst als er sich in die Kunstfigur Toni Erdmann verwandelt und kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, kommen sie sich wieder näher. Es ist Ades dritter Spielfilm, nachdem sie 2009 mit dem Beziehungsdrama "Alle anderen" im Wettbewerb der Berlinale den Großen Preis der Jury und Birgit Minichmayr einen Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin erhielt.
Die aus Karlsruhe stammende Wahlberlinerin Maren Ade ist damit eine von drei Regisseurinnen im Rennen um die Goldene Palme: die Französin Nicola Garcia kommt mit "Mal des pierres", die Britin Andrea Arnold stellt "American Honey" vor. Drei aus 21 Beiträgen, das sind nicht mal 15 Prozent. Die Domäne der Damen bleibt in Cannes ganz offensichtlich die Leinwand – und der Rote Teppich. Und auch da will das Festival an einer im vergangenen Jahr eingeführten Etiquette festhalten: Flachschuhverbot (für Frauen) und Selfieverbot (für alle) sollen den Glamour der Veranstaltung sicherstellen.
Cannes
Auch sonst lässt Cannes die cineastischen Muskeln spielen. Man setzt auf große Regienamen und Stars galore. Der Wettbewerb liest sich einmal mehr wie das Who is Who des Weltkinos. Spaniens Kinogott Pedro Almodóvar stellt sein neues Frauendrama "Julieta" vor, der iranische Oscar-Gewinner Asghar Farhadi ("Eine Trennung") das Drama "Forushande", die zweifachen Palmen-Könige Jean-Pierre und Luc Dardenne aus Belgien kommen mit "La fille unconnue". Sie sind, wie auch ihr Landsmann Bruno Dumont, der Brite Ken Loach, der Däne Nicolas Winding Refn, der Niederländer Paul Verhoeven und der Frankokanadier Xavier Dolan allesamt langjährige Cannes-Veteranen, die erneut an die Croisette eingeladen wurden. Nur drei Regisseure im Wettbewerb sind erstmals in Cannes, Maren Ade ist eine davon.
Gut vertreten ist auch Hollywood, allerdings außer Konkurrenz. Steven Spielberg kommt mit seinem Fantasyfilm "The Big Friendly Giant", Jodie Foster stellt ihre vierte Regiearbeit "Money Monster" mit den Megastars George Clooney und Julia Roberts vor und Ryan Gosling und Russell Crowe liefern sich in der Komödie "The Nice Guys" einen Schlagabtausch. Jeff Nichols, gerade vor drei Monaten mit "Midnight Special" auf der Berlinale, hat mit dem Rassendrama "Loving" bereits einen weiteren Film fertig. Und Jim Jarmusch gibt es gleich im Doppelpack: mit der Liebesgeschichte "Paterson" und der Iggy Pop-Doku "Gimme Danger". Interessant dürfte es am Roten Teppich werden, wenn Hollywoodstar Sean Penn mit seiner langerwarteten neuen Regiearbeit "The Last Face" kommt. Die Hauptrolle darin spielt Charlize Theron, mit der er zurzeit der Dreharbeiten noch liiert war. Es wird ihr erster öffentlicher Auftritt seit der Trennung.
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Selbst in den Nebensektionen finden sich Oscargewinner und genügend bekannte Regienamen, die auf anderen Festivals locker das gesamte Hauptprogramm füllen würden. "Taxi Driver"-Autor Paul Schrader stellt den Thriller "Dog Eat Dog" mit Nicolas Cage und Willem Dafoe vor. Pablo Larraín kommt mit seinem Biopic "Neruda" über den chilenischen Dichter und Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda. Aus Chile stammt auch Mitternachtskino-Kultregisseur Alejandro Jodorowsky ("El Topo"), der sich sein neues Werk "Endless Poetry" mit 87 Jahren von 3500 Fans per Kickstarter finanziert hat. Und Laura Poitras widmet sich nach dem oscarprämierten Dokumentarfilm "Citizenfour" über den Whistleblower Edward Snowden in "Risk" nun dem Wikileaksgründer Julian Assange.
Der Jury um Präsident George Miller, der im vergangenen Jahr mit seinem furiosen "Mad Max" selbst das Festival eröffnet hatte, werden die Entscheidungen zur Preisverleihung am 22. Mai nicht leicht fallen. Für ein Jurymitglied zumindest, Vanessa Paradis, Sängerin und Ex-Frau von Johnny Depp, dürfte die persönliche Gewinnerin schon feststehen. Mit "The Dancer", einem Drama über zwei rivalisierende Cabarat-Tänzerinnen im Paris der Jahrhundertwende, gibt ihre 16-jährige Tochter Lily-Rose Depp ihr Cannes-Debüt als Schauspielerin.