Erstellt am: 11. 5. 2016 - 18:19 Uhr
Andere Feuchtgebiete
Mit großer Begeisterung nehmen die KritikerInnen in deutschen Feuilletons diesen Frühling die Erscheinung eines Buchs auf: "Der Mauerläufer" von Nell Zink heißt es. Neben Juli Zehs großem Roman "Unterleuten" ist es ein weiteres Buch, das Umweltschutz zum Thema macht und obendrein noch Vogelkunde vermittelt.
Niemand geringerer als der Schriftsteller und Hobby-Ornithologe Jonathan Franzen war es, der Nell Zink dazu brachte, ihre Texte mit einer Öffentlichkeit zu teilen. Nell Zink hatte sich schriftlich bei ihm beschwert, dass er bei seiner - erschütternden - Reportage über die Jagd auf Singvögel, die der Fotograf David Guttenfelder begleitete, auf den Balkan vergessen habe. Franzen antwortete, eine Korrespondenz entwickelte sich. Bis dahin hatte Zink nur für sich und ihren Freund geschrieben.
Rowohlt Verlag GmbH
Von Vögeln, vom Vögeln
Jetzt ist ihr Debüt "Der Mauerläufer" auf Deutsch erschienen. Nell Zink ist 52, sie ist am Land in den USA – in Virginia – aufgewachsen, hat in Tel Aviv gelebt, sie hat in Medienwissenschaften promoviert und ist vor einigen Jahren nach Bad Belzig, südlich von Berlin gezogen.
"Der Mauerläufer" hat nur 188 Seiten. Der Anfang ist eine Wucht: "Ich schaute gerade auf die Karte, als Stephen plötzlich ausscherte, gegen den Felsen schrammte und die Fehlgeburt verursachte. Unmittelbar auffällig war nur meine klebrige Stirn." Dieses Drama und diese Intensität kann Zink nicht durchgehend halten, dafür wird die Handlung weniger trist, als man erwarten könnte.
Ein Besuch bei Nell Zink
Es ist das 21. Jahrhundert, der Mensch betrachtet sich abgekoppelt von der Natur, die bestenfalls Umwelt, längst jedoch nicht mehr Mitwelt ist. Und es ist die weibliche Ich-Erzählerin Tiffany, um die es hier geht. Diese Tiffany ist 35 und erscheint tough und selbstbestimmt – auch und gerade wenn sie ein selbst gewähltes Dasein als moderne Hausfrau pflegt, mit gehobenem Taschengeld in Bern und einer Affäre mit Elvis, der in einer Tankstelle arbeitet. Sie hat eben gern guten Sex. "Der schöne Elvis machte sich ans Brüten und Füttern. Er klingelte mit Kaiserbrötchen und Hundemiene an unserer Tür und sagte: »O Tiff, es ist so furchtbar. Meine Exfrau ist schwanger. Ich werde Vater. Sie will nicht abtreiben.«"
Tiffs Ehemann Stephen schien allen eine gute Wahl, er liebt Vögel und will einen aufgelesenen und Rudolf getauften Mauerläufer insgeheim lieber als Haustier behalten. Doch ein anderer Vogel wird Rudolf das Herz zerpicken und auch für manch anderes Herz wird sich kein Happy-End finden. Das macht nichts, denn es ist der trockene, harte Humor, der dieses Buch besonders macht.
Wenn Tiffany Männern einen "fehlenden Ereignishorizont" attestiert, sich selbst mit "schmalen kleinen Lemurenhänden" beschreibt ("Selbst die Evolution meiner opponierbaren Daumen war noch nicht abgeschlossen") oder die Konferenzen von UmweltaktivistInnen besucht, tut sie das mit größtmöglicher emotionaler Distanz.
Nell Zink handelt mit dieser Tiffany als Hauptfigur große Themen ab: Umweltschutz und Lobbyismus, Ehe samt Freiheit und Lust, Umweltschutz und Biophilie. Letztere, die Biophilie, das ist der erstmals von Erich Fromm eingeführte Begriff für die Liebe zu allem Lebendigen.
Zunehmend lebendig, also lebhaft wird Tiffany, parallel dazu legt sie ihren Zynismus ab. Leider viel zu selten hat man es in der Gegenwartsliteratur mit einem klugen, den männlichen Mitstreitern durchaus überlegenen weiblichen Charakter zu tun. Und außerdem lernt man mit "Der Mauerläufer" einiges über diverse gefiederte Freunde. "Ich lernte, dass Hochspannungsleitungen Vögel verbrutzeln. Puff! Weg sind sie."