Erstellt am: 10. 5. 2016 - 15:58 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 10-05-16.
#demokratiepolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
IN Wochenfrist will die SPÖ ihre neue Führungskraft (Parteichef und Kanzler) bestimmen - wie oft in der politischen Praxis gehen Personal- vor Richtungsentscheidungen. Denn bis auf die Frage pro/contra FPÖ wird in dieser kurzen Zeit wohl nichts geklärt werden; und das allein (das bisherige Alleinstellungsmerkmal von Faymann) beantwortet keine Richtungsfrage, sondern bedeutet maximal nur die Klärung einer Option.
DIE Möglichkeiten für eine künftige Ausrichtung der SPÖ sind theoretisch vielfältig, befinden sich praktisch aber innerhalb vergleichsweise enger Grenzen. Denn: nach den nächsten Parlamentswahlen (die eigentlich 2018, wahrscheinlich aber schon 2017 stattfinden, oder gar schon diesen Herbst vom Zaun gebrochen werden) wird sich die FPÖ als sichere Nummer Eins ihren Koalitionspartner aussuchen können - und aller Logik und Wahrscheinlichkeit nach eher mit der VP (Klammer: Wirtschaftsliberalismus) als mit der SP (Klammer: übernommene Wählerschaft) zusammengehen.
DER SPÖ steht also die Opposition bevor, die sie dann entweder so wie zuletzt (Wenderegierung, Gusenbauer) zaghaft oder fundamental angehen kann. Es bleiben also im Optimalfall zwei Jahre Zeit um sich für diese Zeit zu positionieren oder den Turnaround (=Wahlerfolg) zu schaffen, der die FP zu einer anderen Partnerwahl zwingt.
Option 1: Linkspopulismus a la Syriza, Podemos
Sanders in den USA, Corbyn im UK, der Typ mit dem Pferdeschwanz in Spanien, Tsipras in Griechenland, Gysi/Wagenknecht (minus Alt-KP-Belastung) in Deutschland... mögliche Vorbilder gibt's überall, der linke Populismus greift nicht mehr nur im europäischen Süden.
Sollte sich die österreichische Sozialdemokratie daran erinnern, warum sie überhaupt existiert, und über ihre Geschichte, ihre Forderungen, ihre Vertretungsansprüche für die arbeitende Bevölkerung nachdenken, den Internationalismus und die offensive Streitbarkeit mitbedenken und dazu den alten klar erkennbaren Klassenkampf durch einen neuen, auch unschwer zu erkennenden Kampf um Verteilungsgerechtigkeit ersetzen, dann führt an einer Zuspitzung des Parteiprofils eigentlich kein Weg vorbei.
Aber: zu viele SPÖ-Funktionäre haben mittlerweile österreichweit in zu vielen Institutionen zu viel zu verlieren, die Interessenslage der Oberen spricht deutlich gegen eine Radikalisierung. Man müsste auf allzu viele Errungenschaften, die nicht den Menschen, sondern den Parteikadern zugute kommen, verzichten. Mittelwege wie der radikale Pragmatismus, den Häupl im letzten Wiener Wahlkampf anklingen ließ, sind in seiner Nachfolge nicht mehr zu erwarten.
Wahrscheinlichkeit: gering
Umsetzbarkeit: inhaltlich eine einfache Übung, die Widerstand des Partei-Establishments ist aber hoch. Würde die Partei zerreißen.
Erfolgsaussichten: Regierung geht sich damit keine aus, Fundamentalopposition dafür umso besser.
Option 2: eine nationale sozialistische Bewegung
Die andere Möglichkeit der Zuspitzung: die FPÖ dort überholen, wo sie ihren Zulauf hat, also im Bereich Nationalismus. Die Anderen, die Neuen nehmen uns alles weg. Unsere Erträge für unsere Leute. Die Befriedung der hausmeisterlichen Ängste, Nationalismus mit sozialer Grundierung.
Populistische Umverteilungs-Parolen, die sich - mittels gestrichenem Internationalismus - zuerst einmal an den Zuzüglern schadlos halten, aber ihre linke Positionierung betonen, indem in der Folge dann aber auch die Besteuerung von Vermögen (Stichwort: nationaler Schulterschluss) angehen. Der Front Nationale (der Banken verstaatlichen will) zeigt, dass diese wilde ideologische Mixtur nicht nur möglich ist, sondern auch Wähler anspricht.
Wahrscheinlichkeit: gering
Umsetzbarkeit: Würde die Partei wohl in zwei Teile zerreißen.
Erfolgsaussichten: Unberechenbar; also deutlich besser als berechenbares Weiterwursteln.
Option 3: medial-demoskopistisches Verwirrspiel
Das, was aktuell eigentlich eh alle tun, auf eine postdemokratische Spitze treiben: opportunistisches Schönwetter-Hinterhergelaufe, völliger Verzicht auf jede ideologische Basis, den großen Klientelgruppen gezielt nach dem Mund reden, jede Aktion als Reaktion auf Anstöße aus der Bevölkerung verkaufen, angewandter Demoskopismus/Pollismus, dabei die Aktivitäten in den Bereichen Flüchtlinge, Asyl, Sicherheit, Arbeitsmarkt aufblasen und den Rest, der die Massen weniger interessiert, klein halten. Setzt eine genaue Zusammenarbeit mit dem Boulevard (am besten samt Glotze/siehe Schröder) und präzise Planung voraus. Würde innerhalb der aktuellen Koalition dann funktionieren, wenn eine Kurz-VP dasselbe für ihre Klientel durchzieht. Als Regierung hätte man (Achtung, revolutionäres Konzept) nämlich den Vorteil die Stoßrichtung durch aktive Gesetzgebung dauerzubestimmen.
Wahrscheinlichkeit: gering
Umsetzbarkeit: innerhalb unseres herkömmlichen Denkens nicht vorstellbar. Noch nicht vorstellbar.
Erfolgsaussichten: eigentlich hoch. Letztlich arbeiten Orban, Erdogan oder Putin, aber auch Trump und Duterte mit diesen Zutaten.
Option 4: alte Rezepte zeitgemäß tunen, SPÖ 3.0
Genau genommen hat die Kreisky-Ära die einzige Entwicklung der österreichischen Sozialdemokratie gebracht, war also SPÖ 2.0. Seitdem beziehen sich alle, nicht nur die Genossen, sondern auch Grüne und Schwarze, Blaue oder Pinke immer wieder auf Kreisky. Das gilt es zu überwinden und neu zu tunen.
Also: Überschriften wie soziale Gerechtigkeit, internationale Solidarität, nicht Gegner, sondern kritischer Partner der Wirtschaft etc. vom mechanischen ins digitale Zeitalter übertragen. Dafür benötigt es Quasi-Koalitionsangebote an Old-School-Konservative, die noch in Realwirtschafts-Termini denken, sozial verantwortlich denkende Neo-Unternehmer, die solidarische obere Mittelschicht, aber vor allem an die bereits prekär lebenden und aus der Mittelklasse abrutschenden Massen in ihren Abstiegsängsten.
Deren kollektive und in vieler Hinsicht unterschiedliche Erwartungen müsste die SPÖ 3.0 mittels einschneidender Reformpakete erfüllen. Das ist bisher aber nicht nur - wie die Faymann-Gegner es einem teilweise glauben machen wollten - an der Leichtgewichtigkeit der Führung gescheitert, sondern auch an der Komplexität dieser noch nicht ausreichend erforschten neuen digitalen Gesellschaft, die sich noch dazu durch eine ganze Latte von teilweise künstlich herbeigeführten, teilweise seit Jahren zu erwartenden Krisen allzu kräftig hin- und hergeschüttelt wird. Soll heißen: von 2.0 auf 3.0 ist es nicht einfach das nächste Level, sondern ein exponentieller Schritt
Wahrscheinlichkeit: mittelprächtig
Umsetzbarkeit: theoretisch eine einfache Übung, praktisch aber nur unter Aufbietung aller Tricks und Kräfte vermittelbar. Also dann, wenn man nicht Kreisky ist, uranstrengend.
Erfolgsaussichten: womöglich sogar kurzfristig sichtbar.
Option 5: diffuses Weiterwursteln, more of the same
Wahrscheinlichkeit: hoch
Umsetzbarkeit: einfach, Nichtstun reicht.
Erfolgsaussichten: marginal. Erosionsprozess setzt sich bis in den einstelligen Prozentbereich fort.