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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

10. 5. 2016 - 14:46

Theatertipps für Krisenzeiten

Mit ukrainischem Protest-Punk-Kabarett, Rechtsruck-Debatten und Bühnentexten von Whistleblowern machen die Wiener Festwochen heuer Programm für Krisenzeiten.

"Europa wird immer faschistischer, und das mit einer demokratischen Legitimation", sagt der kroatische Regisseur Oliver Frljić. Er gibt damit die Stoßrichtung vor, in die sich die Festwochen dieses Jahr thematisch bewegen.

Nach drei Jahren geht das Intendanten-Intermezzo von Markus Hinterhäuser heuer zu Ende. Er folgte auf Langzeit-Zeremonienmeister Luc Bondy, der im Vorjahr verstarb. Ab 2017 ist Thomas Zierhofer-Kin, der gerade seinen Abschied vom Donaufestival gefeiert hat, für das Kulturzugpferd der Hauptstadt verantwortlich. Er will die Festwochen neu positionieren.

Auf dem Spielplan stehen Krise, Flucht und verschiedene Formen von Identitätspolitik. Dabei ist die künstlerische Leitung von der Aktualität ihrer Programmierung zum Teil selbst überrascht: "Noch vor fünf Jahren dachten alle, Europa bewege sich nach links. Nach der Wirtschaftskrise sind neue Bewegungen wie die Idignados, Syriza oder Podemos entstanden. Anti-Austeritätspolitik stand auf der Tagesordnung. Mit der Flüchtlingskrise hat sich das über Nacht geändert. Europa schwenkt nach rechts und wird immer konservativer", sagt Kuratorin Dessy Gavrilova.

Die von ihr organisierten öffentlichen Debatten zu den Themen Meinungsfreiheit und Rechtsruck in Europa haben durch den Erfolg des FPÖ-Kandidaten im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl sowie durch die Veröffentlichung der Panama Papers oder die Böhmermann-Affäre eine Brisanz erhalten, die im Vorfeld nicht absehbar war.

Festwochen

Mare Mutić

"Unsere Gewalt und eure Gewalt" von Oliver Frljić

Unter diesen Vorzeichen hier also eine Vorschau auf einige der politischsten Produktionen der Wiener Festwochen:

Protestpunk

Im November 2013 spielen sieben kreidegesichtige Frauen in Pelzmänteln mit Piano, Bass und Violine am Maidan-Platz in Kiew auf. Die Dakh Daughters liefern den Soundtrack zur gesellschaftlichen Spaltung in der Ukraine, einem Land, das seit langem zwischen Russland und Westeuropa zerrissen ist. Aufgeflammt ist der schwelende Konflikt zuletzt durch die gewaltsamen Ausschreitungen bei Massendemonstrationen und die darauf folgende russische Annexion der Krim.

Musik, Theater und Performance sind in der ukrainischen Hauptstadt in dieser instabilen Zeit zum wichtigen Ausdrucksmittel geworden. Die Protestperformance der Dakh Daughters, was frei übersetzt Töchter des Theaters Dach (eine Avantegardebühne in Kiew) heißt, sind irgendwo zwischen Tiger Lillies, Pussy Riot und Brechtschem Punk-Kabarett à la Dresden Dolls angesiedelt. Die Band gastiert ab Samstag zum ersten Mal in Wien.

Universelle Gastfreundschaft

Into the City ist ein Format, das Kunst im öffentlichen Raum macht und stark den Dialog mit dem jungen Publikum sucht. Das KuratorInnenteam rund um Wolfgang Schlag hat schon in den letzten Jahren immer wieder ein gutes Gespür für eine zeitgemäße Themensetzung gezeigt. Es ist daher nur konsequent, dass der Fokus heuer auf Flucht in all ihren Facetten liegt.

Jugendliche am Brennerpass. Sie tragen ein Transparent, auf dem steht: Open the borders!

Petra Gerschner

Nach dem Ende der Willkommenskultur und der Verschärfung der Asylgesetzgebung will Into the City einen Beitrag zur aktuellen Debatte leisten. Unter dem Motto "Universal Hospitality" finden in der Alten Post in der Dominikanerbastei Ausstellungen von KünstlerInnen statt, die für eine inklusive, weltoffene Gesellschaft eintreten. Ruth Wodak wird ihr Buch "Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse" präsentierten. Sie hat über Jahre die Grammatik des Rechtspopulismus und die Sprache der FPÖ dokumentiert und analysiert.

Anfang Juni wird es auch ein Offenes Forum geben, in dem Szenarien für eine gemeinsame Zukunft von Schutzsuchenden und der schon ansässigen Gesellschaft erarbeitet werden.
Initiativen aus der Schweiz bis Mazedonien stellen ihre Arbeit vor und stehen für Fragen zur Verfügung.

Aufdeckertheater

Für ihr Stück "Gewöhnliche Menschen" hat die rumänische Theaterregisseurin Gianina Cărbunariu Whistleblower aus Großbritannien, Italien und Rumänien zu verschiedenen Aufdeckungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Finanzen interviewt. Aus dem gesammelten Textmaterial hat sie einen Bühnentext erarbeitet, der die schwierige rechtliche Situation von anonymen InformantInnen aufzeigt: "Es gibt keine Anzeichen Whistleblower zu ermutigen oder sie gar ausreichend zu beschützen", sagt Cărbunariu. Für die moralisch richtige Entscheidung bezahlen diese Menschen oft mit dem Verlust ihrer Karriere. Öffentlicher Anerkennung stehen Anfeindungen im unmittelbaren Umkreis gegenüber.

Szenenfoto "Gewöhnliche Menschen", Stück über Whistleblower
Sechs Whistleblower stehen hinter Mikrophonen auf der Bühne

Adi Bulboaca

Und außerdem

Politischen Anspruch haben sicherlich auch das Stück "Unsere Gewalt und eure Gewalt" vom eingangs erwähnten Regisseur Oliver Frljić, der Kunst wieder mehr als Mittel des Widerstands gegen etablierte Machteliten und Nationalismus verstehen möchte, "Città del Vaticano" von Falk Richter, das die Position der Jungen zu traditionell christlichen Werten in Europa befragt und "MDLSX" mit der italienischen Queer-Performerin Silvia Calderoni.

Ein Blick ins Festwochen-Programm zahlt sich auf jeden Fall aus.