Erstellt am: 9. 5. 2016 - 16:57 Uhr
Waking Up From Shutdown
Eine Woche. Das ist im Internet eine halbe Ewigkeit. Da gibt's jeden Tag irgendeinen neuen Hype. Neue Katzenvideos zum Anschauen, Memes zum Sharen, Musik zum Hören, Neue Lieder, Bands, Filme, Neuigkeiten, für die man eigentlich gar keine Zeit hat. Radiohead haben es aber tatsächlich geschafft, eine ganze Woche popkulturell zu dominieren. Was einiges über den Stellenwert der Band aussagt. Aber noch mehr über deren Zugang zu Musik, Zeitgeist, Digitalisierung und Entertainment. Und jetzt ist es da: "A Moon Shaped Pool", das geniale, umwerfende neunte Album.
Briefe an Fans, Websiten, die sich in Luft auflösen, Tweets, die verschwinden und zwitschernde Vögel: Die Vorwehen vor der Geburt der neuen Platte waren groß. Aber auch notwendig. Wenn Radiohead marketingtechnisch kreativ werden, dann wird das zum Teil der Gesamterfahrung. Das ist der große Build-Up, während dem man Stunden in Fanforen verbringt und Audiospuren rückwärts abspult, um versteckte Botschaften zu finden. Während dem man stündlich, nein, minütlich die Social Media-Präsenz der Band überprüft: Ist es schon da das neue Album? Die neue Single? Das neue Lebenszeichen?
Radioheads Rückkehr ist triumphal, das wussten wir schon letzte Woche, als die überwältigende Sozialkritik "Burn The Witch" released wurde, passenderweise mit naiv-nostalgischem Musikvideo von Chris Hopewell, der schon zu "Hail to the Thief"-Zeiten mit der Band zusammengearbeitet hat.

Radiohead
Ertrinken oder brennen
Der Song zum Sonntag - Radiohead: "Burn the Witch". Weiterlesen...
"Burn The Witch" ist dann auch der Opener von "A Moon Shaped Pool", eines Albums, dessen Tracks mysteriöserweise auch alphabetisch geordnet auf der Platte platziert sind. Der große Bombasttrack mit Streichern, gefolgt von Single Nummer 2, "Daydreaming", dem ruhigen, reduzierten Track. Das ist der Sound von Radiohead am neuen Album: die starken Emotionen, unterschiedlich ausgedrückt. Mal laut, mal leise. Mal traurig, mal euphorisch.
Fast wie ein Best-Of der Karriere präsentiert sich "A Moon Shaped Pool". Da werden elektronisch-experimentelle Sounds von orchestralen Soundtrackstücken abgelöst und klassische Popsongromantik mit simplen Gitarrensongs gemischt. Auf "Desert Island Disk" ensteht, ja darf man es denn sagen, Lagerfeuerstimmung: "Waking, waking up from shutdown. From a thousand years of sleep. Yeah you, you know what I mean", singt Thom Yorke da über sanfte Akustikgitarrenklänge.
No Surprises? Yeah Surprises!
Eine Zusammenfassung der Woche vor dem Release von "A Moon Shaped Pool". Weiterlesen...
Die "Desert Island Disk", das ist die Platte, die man auf eine einsame Insel mitnehmen würde. "A Moon Shaped Pool" würde sich als Album dafür ganz gut anbieten, mit all seiner Diversität, seinen Layern über Layern. Den musikalischen Ebenen, die sich erst beim wiederholten Hören so richtig offenbaren. Das leise Brummen im Hintergrund, das reduzierte Bliepen, die Drums, die mal zwischen organisch und synthetisch wechseln.
Alles bleibt in Bewegung auf "A Moon Shaped Pool". Die Instrumentalisierung, die Stimme, die Emotionen und die Genregrenzen. Da werden nach dem wärmenden "Desert Island Disk" langsam die kühlen Post-Punk-Drums von "Ful Stop" hereingefadet, wenn Thom lamentiert: "This is a foul tasting medicine. A foul tasting medicine. To be trapped in your full stop. Truth will mess you up."

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"A Moon Shaped Pool" von Radiohead ist per Download erhältlich. CD und LP erscheinen am 17. Juni auf XL Recordings.
Die Wahrheit wird dich über den Haufen werfen. Eine der vielen Botschaften am Album, das thematisch gleich an ein paar Strängen zieht: Die Abstumpfung der Gesellschaft ist da ein großes Thema ("Abandon all reason. Avoid all eye contact. Do not react. Shoot the messengers"), die zunehmende gesellschaftliche Paranoia und das Suchen nach Sündenböcken ("The ones you light your fires to keep away. Crawling out upon, expending. And all you have to do is say yeah.")
Thom Yorkes Lyrics führen die menschliche Misere ins Abstrakte. "And in your life, there comes a darkness. This spacecraft blocking out the sky. And there's nowhere to hide", wird auf "Decks Dark" gesungen und individuelle Herausforderungen als außerirdische Invasionen neuinterpretiert. "You run to the back and you cover your ears. But it's the loudest sound you've ever heard".

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"A Moon Shaped Pool" ist ein Meisterwerk geworden, auch im Vergleich zum restlichen, schon prinzipiell hochwertigen Output der Band. Radiohead fühlen sich spürbar so sicher in ihrem eigenen Sound, dass der Kreativität keine Grenzen gesetzt werden. Dissonanzen werden mit Verzerrungen, Übersteuerungen mit simplen musikalischem Understatement vermischt. Und was daraus entsteht, ist dieser einzigartige, mitreißende Sound der Band. Immer ein bisschen traurig, immer sehr emotional, immer wunderschön.