Erstellt am: 9. 5. 2016 - 19:00 Uhr
Schweigen ist Gold
Schon vor acht Jahren haben die burgenländische Musiker Hannes Moser und Bernd Supper mit ihrem Debüt "Sample Your Heartbeat To Stay Alive" bewiesen, dass man allein mit Schlagzeug, Klavier und Stimme eine unglaubliche Energie entwickeln kann. Ursprünglich vom Hardcore kommend, spielen sie sich bei Scarabeusdream mit vielerlei Genres.
Auf dem neuen Album "Tacet Tacet Tacet" bekommen wir neben punkigen Lärmexzessen genauso jazzige Momente oder auch kraftvollen Pop serviert, wie mit ihrer ersten Single "Don't Waste Your Tears".
Aber wie kommt es, dass die beiden Burgenländer ein derartig vielschichtiges Werk "tacet", also "Schweigen" betiteln?
Von Lügen und anderen Reduktionen
Der Titeltrack "tacet" präsentiert sich als atmosphärisches Instrumental. In den knapp zwei Minuten werden schräge Elektroniksounds geschichtet, schwebt ein unheilvoller Chorgesang im Hintergrund und eine langsam tickende Uhr scheint das Ende der Welt anzukündigen. Was hier mit viel Spannung aufgebaut wird, löst sich mit "Somehting For The Trumpet" mit einem krautrockigen Rhythmus etwas auf. Nachdem die besagte Trompete ein bisschen soliren durfte, setzt dann doch das schwere Schlagzeug ein und eine gewohnte Soundwand türmt sich auf.
Scarabeusdream
In diesem Anfang der neuen Scarabeusdream-Platte steckt schon viel von dem scheinbaren Konzept, das im Laufe der neun Tracks immer wieder zum Einsturz gebracht wird. Durchgehend auffällig ist der Mut zur Reduktion. Haben Hannes und Bernd bisher sich dem musikalisch brachialen Tun ergeben, so haben sie sich bei dieser Studio-Momentaufnahme bewusst zurückgenommen, was einiger Anstrengung und Disziplin bedurfte.
"Manchmal, wenn man Dinge weglässt ist es, als ob man die Hose runterlässt. Weil wenn man starke Sounds und Lärm produziert - also den Muskeln spielen lässt - dann versteckt man sich oft auch hinter einer Facette. Wenn man den eigenen Sound reduziert, wirkt die Musik und man selbst viel zerbrechlicher", so Schlagzeuger Hannes Moser.
Diese Zerbrechlichkeit hört man nicht nur bei der herzzerreißenden, minimalen Ballade "Echo", sondern auch bei dem emotionalen Herzstück des Albums "Leave Home". Zu schweren Klavierakkorden und schleppendem Schlagzeug berührt einen die zittrige und gehauchte Stimme von Bernd Supper zutiefst. Ein Song über jenen Moment, an dem realisiert, dass man sein Zuhause zurücklassen muss.
Das titelgebende "Tacet" ist eigentlich ein Begriff der Partitur-Schreibweise, der den/die MusikerIn anweist, zu schweigen. Das bekanntestes Stück, bei dem dies auf die Spitze getrieben wird, ist John Cage's "4'33''". Ein Pianist der auf die Bühne kommt, vor Publikum dieses Stück performt und vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden vordergründig nichts tut.
"Das ist für mich ein ganz starkes Symbol dafür, dass die Musik in diesem Fall keinen Besitzanspruch erhebt. Es ist nicht der Künstler, Interpret und Komponist der im Vordergrund steht, sondern das Auditorium und der Künstler selbst halten inne für diese viereinhalb Minuten und die Musik vielleicht von wo anders kommt. Also das Rascheln, Husten und das, was in diesem Raum so passiert", erklärt Bernd Supper.
Doch die Benennung ihres neuen Albums geht darüber hinaus. Kann doch das "Schweigen" als Zurückhalten von Information angesehen werden, um eine andere Realität oder schärfer gesagt eine Lüge entstehen zu lassen. Mit dieser politischen Dimension wird das "tacet" für die beiden österreichischen Musiker zum aktiven, aggressiven Akt des Verschweigens, was sich in der gegenwärtigen politischen Landschaft widerspiegelt.
Julia Sternthal
Mit Mut gegen den Algorithmus
Neben der schon erwähnten Popnummer "Don't Waste Your Tears" haben Scarabeusdream mit "Where Is My Life" einen weiteren, sehr zugänglichen Moment im Studio entstehen lassen. In teils verzweifelt wirkendem Gesang wird über das eigene Lebenskonzept nachgedacht und eine Alternative verhandelt. Auch dieser starke Song scheint in ganz kurzen Sequenzen an der Kippe zum Zerbrechen zu stehen. Genau dadurch erzeugt das eigenwillige Duo eine unglaubliche Spannung, die einen bei jedem Schlag und Ton hält. Erst recht, wenn mehr mit Harmonien und Sounds experimentiert wird, wie dem schiefen "Choose To Believe". Zwischen verdrehter Rhythmik, digitalisierten Samples und verhalltem Klavier entsteht durch seltsame Vocals und überraschendes Arrangement eine unheimliche Stimmung.
Scarabeusdream live:
- 12. Mai: ppc, Graz (mit Doomina)
- 13. Mai: Röda, Steyr (mit Hearts Hearts)
- 08. Juli: mukuku Festival, Kremsmünster
- 15. Juli: Ottensheim OpenAir
- 23. September: Redbox, Mödling (mit Fucked Up Electonic Madness)
- 14. Oktober: pmk, Innsbruck
Für Fans von Scarabeusdream mag das alles vielleicht weniger überraschend sein als für jene, die sich zum ersten Mal der Band nähern. Denn die Burgenländer sind vor allem dafür bekannt, ihre Songs live komplett anders zu spielen, als sie es im Studio machen. Leise Parts werden plötzlich zu Lärmorgien und die aufgenommenen Hardcore-Stücke werden in reduzierter Sanftmut dargeboten. So entziehen sich Scarabeusdream auch auf ihren neuen Album einer fixen Definition oder gar einer Wiederholung und gehen damit laut Hannes Moser einen alternativen Weg, nicht nur musikalisch:
"Irgendwann ist es fad, wenn man nur Soundwände produziert. Wir haben das Gefühl, uns immer wieder neu definieren und entwickeln zu müssen. Es ist keine Entwicklung, repetitiv den Loop immer weiter zu spielen. Das ist vielleicht auch das Problem mit unserem Kapitalismus, so wie auch Hollywood funktioniert. Dass man glaubt, man muss den Algorithmus immer wiederholen um am Ball zu bleiben. Da geht unsere Gesellschaft sicher in eine falsche Richtung."
Man darf gespannt sein, was Scarabeusdream auf der Bühne präsentieren, wenn sie ihr neues Album "tacet tacet tacet" promoten. Die Momente, die die beiden Burgenländer auf ihrer Platte festgehalten haben, sind wundervolle, schräge, verstörende, verzückende, bewegende und mutige Musikskizzen, die die Zeit auf alle Fälle überdauern werden
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