Erstellt am: 6. 5. 2016 - 13:00 Uhr
Vers-Punk
Noch bevor man Ann Cottens Buch aufgeblättert hat, schüttelt man schon zum ersten Mal ungläubig den Kopf: "Versepos" steht da auf der in Blau gehaltenen Titelseite. Als romanverwöhnter Leser ist man es nicht gewohnt, eine Geschichte in gereimten Strophen zu lesen. Zur Handlung: Die Hauptfigur, eine Moderatorin, hat eine Affäre mit der minderjährigen Tochter einer Kollegin. Die Sache fliegt rasch auf und die Moderatorin wird auf eine Insel verbannt.
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Cottens Epos setzt sich 403 (Pseudo-)Spenserstrophen zusammen. Die lose Handlung von "Verbannt!" driftet immer wieder in assoziative Gedankengänge ab, deren Interpretation oft nicht eindeutig ist. Woran man sich als Leser dann festhalten und orientieren kann, ist das feste Reimschema. Schon nach wenigen Seiten hat man sich an die ungewohnte Form gewöhnt und ein Rhythmus- und Sound-Gefühl stellt sich ein. Die Reime werden zu lustvollen Belohnungen, sind oft witzig und folgen keinen gängigen ästhetischen Reglementierungen. Beim Lesen entsteht so ein Flow, von Reim zu Reim wird man bei der Hand genommen und weitergezogen in eine schräge Welt.
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Suhrkamp Verlag
Verbannt! von Ann Cotten ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
Es ist eine seltsame Insel, auf der die Moderatorin strandet, genauso gut hätte man sie in den Kaninchenbau stoßen können. Matrosen und Bürgermeister Wonnekind haben im sogenannten Hegelland eine Männergesellschaft mit eigener Schraubenreligion und drei Zeitungen die sogenannten Säulen-Pressen aufgebaut. Als die Protagonistin auf den Bürgermeister trifft, verwandelt der sie in Hermes Wolpertinger, eine Art hohlen Gott, der alles überblickt und dessen riesiger, erigierter Penis als Aussichtsplattform dient. Wenig später bekommt die Insel weitere Bewohner. Pan Orama, ein Spion aus dem Internet, taucht auf, aus dem auch hochverschuldete Prothesen-Models auf die Insel flüchten und die gesellschaftliche Ordnung ins Wanken bringen.
Cotten mixt in ihrem Epos bildungsprachliches Vokabular mit österreichischem Dialekt und Fremdsprachen mit Begriffen aus der Popkultur wild durcheinander. In der immer gleichen Form der 403 Strophen, unterbrochen von Illustrationen der Autorin, bekommt "Verbannt!" so monumentalen Charakter. Cotten ist damit ein außergewöhnliches Sprachexperiment geglückt, schräg, sperrig, amüsant und schön.
Auf dich aufmerksam geworden bin ich durch dein Debüt bei Suhrkamp, die "Fremdwörterbuchsonette".
- Fremdwörterbuchsonette (2007)
Das war wie eine Patentidee, die plötzlich gut funktioniert hat. Sonette sind eine gute Denkmaschine. Ich fand das witzig, das mit verschiedenen Themen und Begriffen aufzuladen, die mich gerade interessierten. Durch diese dialektische Form im Sonett werden die Gedanken durchgearbeitet, also man kommt, ohne dass man sich selbst extra anzweifeln muss, durch die Sprache zur Multiperspektivität. Das passiert wie von selbst und hat nicht diese große kritische Geste.
Suhrkamp Verlag
Das Versepos als Gattung ist ja erzählend, braucht also eine fortschreitende Handlung. War es dann im Vergleich zur kurzen Form der Sonette nicht unendlich viel schwieriger, das auf 403 Strophen zustande zu bringen?
Wenn man sich die Vorlagen wie die Faerie Queene von Edmund Spenser ansieht, merkt man, dass man die Erzählung als Klamotte braucht, wie es bei Filmen ja auch ist. Es klingt erstmal ein bisschen daunting, seine Handlung in aller Komplexität so durchzuziehen. Wenn man es dann wirklich macht, merkt man aber, dass man nur ein ganz minimales Gerüst von Handlung braucht. Dazwischen kann man ad libitum ausschweifen und philosophieren. Andererseits war es für mich schon eine Challenge und es war zum ersten Mal so, dass ich mich mit dem Problem "Handlung" auseinandergesetzt habe, weil in der Prosa hat mich das nie interessiert. Aber in dieser Form, so als Klamotte, fand ich das ganz reizend.
Hattest du schon von Beginn an eine Idee zur Handlung?
Ich hab im Mülleimer, im Altpapier, dieses Lexikon gefunden: 22 Bände Meyers Konversationslexikon, da hat jemand die Bilder ausgerissen, um sie antiquarisch zu verkaufen, glaube ich. Ich dachte, dass man das irgendwie nutzen muss, sonst steht es ja nur da und ich freu mich zwar, aber man müsste es ja lesen auch. Dann dachte ich, es wäre cool, wenn eine Person auf eine Insel verbannt ist und dann nur dieses Lexikon dabei hat und immer nachschauen kann, wenn sie überleben möchte und Wissen braucht. Es folgten ein paar Versuche, das in Prosa zu schreiben, das fing aber immer so fad an, so: "Ah, ich sitze also hier auf einer Insel, blöd gell…" Und dann kam ich auf die Idee, das als Versepos zu machen, was ungleich lustiger war.
Neben Meyers Konversationslexikon als kleine abgeschlossene Ansammlung von Wissen, gibt es ja noch das Internet, das als zynischer Akteur auftritt. In einem Interview mit Paul Jandl hast du gesagt, dass du dem Internet keine Weisheit zutraust. Wie siehst du das Verhältnis zwischen Wissen und Weisheit? Ist das für dich ein Gegensatzpaar?
Ich versuche nicht an Gegensatzpaare zu glauben. Das Internet ist ein riesiger Speicher von Wissen, Nicht-Wissen, Halb-Wissen und Material…Wenn es eine Weisheit im Internet gibt, dann liegt die im Design, also in dieser Idee, in der es ursprünglich konzipiert wurde von Leuten, die für das amerikanische Militär arbeiteten und ihre Arbeit missbrauchten, um ein freies Internet zu schaffen. Da ist vielleicht das Weiseste am Internet. Und diese immense Toleranz, alles ist da. Du kannst alles hinstellen und es gibt keine Grenzen. Das könnte sich mit der Zeit als noch viel größere Weisheit herausstellen, als man sich vorstellen kann.
Könnte das Internet unsere ganze Welt abbilden? Als unendlicher Speicher?
Das zeigt ja eigentlich das Problem von Abbildung, weil die Zentralperspektive so ein Device ist, um die Abbildung auf eine bestimmte Ästhetik zu tunen, aber auch das sichtbar zu machen. Also wie ein Webseiten-Design. Das Internet bildet ab, aber ohne Perspektive. Durch die Unendlichkeit der Abbildung ist es keine Abbildung mehr, weil die Interpretation fehlt.
Taugt ein Autor oder eine Autorin dazu, einen Teil der Welt abzubilden? Versprachlichen ist ja auch interpretieren.
Das ist eben genau das Spiel mit Abbildung, dass es immer ein Entwurf oder Vorschlag ist, und eine Kohärenz anbietet und dadurch auch kritisierbar wird. Es wird aber dabei die Autorin kritisiert und nicht die Welt. Es ist wie ein Kartenspiel, etwas, das man zwischen sich auf den Tisch legt, um darüber sprechen und diskutieren zu können. Auf jeden Fall, Literatur taugt zur Abbildung und Abbildung taugt zur Diskussion.
Beim Lesen musste ich oft lachen, grinsend den Kopf schütteln und manchmal hab ich mich gar nicht ausgekannt, worum es denn gerade geht. Wie wichtig ist es dir, von einer Leserschaft verstanden zu werden?
Einerseits tu ich alles, um verständlich zu sein, obwohl die Gedanken manchmal komplex und abstrus sind, also wirklich faktisch abstrus. Wenn man sie nicht versteht, liegt das daran, dass man gesund ist, wahrscheinlich. Aber man kann sich erstaunlich viel vorstellen. Andererseits, wenn es mal geschrieben ist, nach bestem Wissen und Gewissen, interessiert es mich dann nicht mehr, ob das bei der Einzelperson funktioniert oder nicht. Ich weiß, ich hab mein Bestes getan – das klingt grade wie im Fußball –, wenn es dann wirklich verstanden wird, ist es super. Meistens verstehen die Leute das doch irgendwie und verknüpfen es mit ihren eigenen Gedanken, und es wird etwas anderes draus.
Leser und Leserinnen, die mit Versepen nicht so erfahren sind…
Also alle.. ich..
... hast du für die einen Tipp, wie man Verbannt! am besten lesen könnte?
Ich hab verschiedenste Sachen gehört. Einige sagen, das ist ein Kopfkino, die anderen lesen es gerne laut, wieder andere haben gesagt, erst wenn sie es laut vorgelesen bekommen haben, ist ihnen der Knopf aufgegangen. Ich glaube, es ist auf jeden Fall ein ziemlicher Trip, und das waren die frühen Versepen, glaub ich, auch. Seit dem Fernsehen hat man andere Sachen, die man macht, wenn man gerne abschalten und Hirnmassage haben möchte, aber es funktioniert auf jeden Fall auf der Ebene.
Stichwort Hirnmassage: Ich hab vorhin darüber nachgedacht, was der Reim beim Leser bewirkt. Jeder Reim ist eine kleine Befriedigung, fast wie eine Belohnung die einen weiterzieht….
Ich denke auch, es gibt ein bestätigendes Gefühl, ein Echo, das einem die Orientierung immer wieder bestätigt, und gleichzeitig ist es entspannterweise frei von Sinn. Man muss sich nicht immer fragen: Stimmt das jetzt eigentlich oder nicht? Reim kann nicht stimmen und kann deswegen auch nicht falsch sein, es klingt einfach.
Sollte es deiner Meinung nach mehr zeitgenössische Autoren und Autorinnen geben, die sich wieder auf Reim einlassen?
Das sollte man nicht forcieren. Weil dann kommt das raus, was man kennt, und was zum schlechten Ruf des Reims beigetragen hat. Aber das Reimen im Hip Hop zum Beispiel ist sehr reich. Man muss es mit Geschmack und ohne diese autoritären Charakterkrankheiten machen, die den alten Reim ein bisschen vergällt haben. Viele Leute, die sich jetzt mit Reim beschäftigen sagen: "Es muss halt immer reiner Reim sein und es gibt diese ganzen Regeln", es dürfe auch nicht zu interessant sein. So lebt das natürlich nicht, das ist tatsächlich schulmeisterlich.
Das machst du ja tatsächlich nicht. Du hast mal die vier selben Wörter hintereinander gereimt.
Es gibt eine ganze Strophe, wo alles auf "Sex" reimt.
Da macht es auch Spaß zu sehen, wie diese Konventionen in der Konvention absichtlich gebrochen werden. Das macht es punkig.
Ich weiß nicht, ob das in der Konvention ist oder außerhalb oder einfach nur ein Freak abseits ist vielleicht, aber Punk schon.