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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

6. 5. 2016 - 13:32

Voller Körpereinsatz

Fellmäntel und Langhaarperücken, Zittern unter der Aludecke, ein Klebebandkleid und eine Nebenrolle für den Performer-Penis. Dazu noch Beamtentum im Stadtcafé. Performances am Donaufestival in Krems.

Donaufestival Logo

Donaufestival

Donaufestival 2016:
29. April bis 1. Mai & 5. Mai bis 7. Mai, Krems.

Das gesamte Programm inklusive aller Infos findet man hier.

Wochenende zwei in Krems! Neben Musik und queerem Tanzvergnügen (mehr dazu bald an dieser Stelle) gibt es auch noch immer jede Menge Performance zu erleben. Das schlaue, schöne und immer interessierte Donaufestival-Publikum stellt sich schon ab Nachmittag an, um bei allen Performances dabei sein zu können.

Einiges ist gleich geblieben zum letzten Wochenende, neu ist "Dschingis Khan" von Monster Truck & Theater Thikwa, das ich mir gestern gleich als erstes angesehen habe.

Monster Truck & Theater Thikwa "Dschingis Khan"

Dschingis Khan

Heute, Freitag 18-19:30h Forum Frohner
Morgen, Samstag 16-17:30h Forum Frohner

Eine Performance, die im Vorfeld einiges verspricht: Nicht weniger als Rasse/Rassismus, Behinderung und Theater sollen gleichzeitig dekonstruiert werden!

Wir kommen in ein Wildwestpanorama, mit Kreuzen, Tumbleweed und Federkopfschmuck. Das wird vor unseren Augen abgebaut und umgeräumt zur mongolischen Wüste. Aus dem Übertitel "The Wild West Show" wird "The Mongolian Show".

Bühne wird aufgeräumt  - Performance "Dschingis Khan"

David Visnjic

Dann tritt neben den Darsteller_innen, die auf der Bühne Regie-Personen sind, die zweite Gruppe an Performer_innen auf: Sabrina, Johnny und Oliver haben Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt. Menschen mit diesem Gendefekt wurden (und werden vermutlich noch) umgangssprachlich wegen des Aussehens "mongoloid" genannt. Auf diese Tatsache spielt die Performance an, indem sie die drei Performer_innen in Langhaar-Perücken und Fellmänteln auftreten und vermeintlich "ursprüngliche" Verhaltensweise der Mongol_innen nachspielen lässt. Alles mit deutlich hörbaren Regieanweisungen einer Dame in beige. "Geht im Kreis!", "Schneller!", "Lauter grunzen" ist von ihr zu hören.

Performance "Dschingis Khan"

David Visnjic

Sichtbare Versuchsanordnung: Mongolischer Performer in der Mitte - Regie und Windmaschinen-Bediener rundherum

Die Szenen, in denen die angeblichen urwüchsigen Verhaltensweisen der Mongol_innen dargestellt werden, werden immer absurder und blöder.

Mein persönlicher Lieblingmoment ist der Auftritt als angeblich traditionelle Musiker_innen, bei der zu fröhlicher Playbackmusik Instrument-Atrappen scheinbar kunstvoll bedient werden. Ein böser Seitenhieb auf sämtliche "OK"-Orchester und wie sie alle heißen, bei denen Behinderte zur Schunkelmusik auftreten und vor allem fröhlich-grinsend präsentiert werden.

Performance "Dschingis Khan"

David Visnjic

Irgendwann, man ahnt es schon, kippt die Situation und die pseudo-mongolischen Hauptdarsteller_innen übernehmen die Kontrolle. Da wird zu Metal geheadbangt, das Publikum mit Laut- und Leiserdrehen der Musik gequält und mit Styropor-Schädeln beschossen.

Schuss mit Totenkopf

Irmi Wutscher

Hier fliegt der Totenkopf!

Interessant ist spätestens ab diesem Punkt die Reaktion des Publikums - ca. ein Drittel ist eh schon nach der ersten halben Stunde gegangen (ob es ihnen zu heftig war oder ob sie lieber zum Konzert nebenan wollten, weiß ich nicht). Ich höre tatsächlich eine Frau hinter mir das Wort "süß" flüstern. Vor mir dreht sich immer wieder ein Zuseher um, verzweifelt in die Richtung schauend, in die die weißen Regie-Menschen verschwunden sind. Am ärgsten finde ich aber, dass immer wieder Menschen beginnen mittendrin zu klatschen. Um ihr Wohlwollen trotz "Schlimmsein" auszudrücken? Um ein Ende der Performance zu erzwingen, weil "die Behinderten" können es ja nicht selbst wissen? Aber die Darsteller_innen lassen sich ohnehin nicht beirren.

Saint Genet - "Frail Affinities"

Saint Genet - "Frail Affinities"

Heute, Freitag 18:30-21h Kunsthalle Krems
Morgen, Samstag 17:30-20h Kunsthalle Krems

Was hören meine noise-geschädigten Ohren beim Eintreten in die Kunsthalle? Ein Streichquartett spielt - dazu Geräusche und Atmer von Ryan Mitchell, dem Leiter von St. Genet. Aaaahhhhh!

St Genet das Orchester

David Visnjic

Ryan Mitchell leitet das Opus Magnum an
Streicher bei St Genet

David Visnjic

Acht Menschen in cremefarbenen Kostümen stehen in der Leuchtstoffröhrenkonstruktion und wiegen sich in der Musik, Latex, dass ihnen wie Hautfetzen vom Körper hängt. Immer wieder entspinnt sich eine neue Szene oder synchrone Choreografie, fügt sich das Ensemble in kleine Gruppen. Eine lange Szene ist das Zittern unter der Aludecke - als Geräusch präsent aber auch als Bewegung.

Performer unter Aludecken

David Visnjic

Schon seit letzter Woche ist das Opus magnum von St. Genet namens "Frail Affinities" hier in Krems zu sehen. Opus Magnum deshalb, weil die Performance sieben jeweils zweieinhalb Stunden dauernde Teile hat. So bezieht sich die Performance doch auf die "Donner Party", eine Gruppe von Siedler_Innen, die 1846 auf dem Trek nach Kalifornien vom Winter überrascht wurden und mehrere Monate in Schnee und Kälte ausharren mussten - und die Menschen zum Überleben teilweise auf Kannibalismus zurückgreifen mussten.

Diese Performance arbeitet mit großen Emotionen: Verzweiflung ist spürbar, Panik. Die Emotionen werden durch die hervorragend eingesetzte Musik miterzeugt. Jedes Rascheln der Aludecke ist gezielt gesetzt, jeder Atmer, jedes Stöhnen. Wenn God‘s Entertainment sein Thema mit der dicken Farbwalze auf die Leinwand aufträgt, dann malt St. Genet mit dem Marderhaarpinsel: Das Thema ist ästhetisiert, abstrahiert und mit Konzept durchdesignt - dominierende Farben etwa sind Creme und Gold.

St Genet - Lichtinstallation und Performer_innen

David Visnjic

Man sieht, dass die Performer_innen ausgebildete Tänzer_innen sind, sie haben in jeder Bewegung Körperspannung bis in die kleinen Zehen. Sie können spielen, ihre Emotionen reichen von Schmerz, Wut und Ekel über Ergriffenheit und Trauer bis zu ekstatischer Freude. Sie berühren mich als Zuseherin im Innersten. So schrecklich und traurig das Gezeigte auch ist, es ist gleichzeitig auch "schön" im Sinne der Ästhetik und des Sich-Hineinfallen-Lassens.

Kunstinspektion Donau

Kunstinspektion Donau

Jeden Festivaltag 14-20h Anzeigenannahme, 18-20h gemütliches Denunzieren und Lamentieren.

Wem all das oben beschriebene zu artsy fartsy ist, der oder die kann sich darüber bei der Kunstinspektion DONAU beschweren. Julius Deutschbauer, David Jagerhofer und Barbara Ungepflegt residieren im Hinterzimmer des Stadtcafé Ulrich und halten an allen Festivaltagen Parteienverkehr ab.

Verschiedenste Beschwerden über das Festival sind da eingelangt, von immer gleichen Schnitzelsemmeln oder fehlenden Mistkübeln oder der Vermutung von gezinkten Taximetern bei den Taxiunternehmen in Krems.

Auch weniger lustigen Besuch gab es schon: Ein anonymer Anzeiger beschwerte sich über Flüchtlinge, die ihn 19.000 Euro im Jahr kosteten. "Verabschiedet hat er sich mit 'Heil Hofer'", sagt Jagerhofer und Deutschbauer fügt hinzu: "Und mit der ausgestreckten Hand, einer Geste, die man wiederum anzeigen könnte."

Elisabeth Bakambamba Tambwe - "Flèche"

Beim Lesen des Programms habe ich ganz blöd lautmalerisch bei flèche immer nur das englische "flesh" assoziiert - dabei heißt "flèche" auf Französisch Pfeil oder Turmspitze, was mich beim Verstehen der Perfomance, die von zwei Performer_innen aufgeführt wird, allerdings auch nicht weiterbringt.

Es beginnt mit ein bisschen Clownerie des männlichen Performers über Pina Bausch, Tanz und "Le Sacre du Printemps". Dann wird ein Plastikvorhang vorgezogen - die erfahrene DF-Besucherin denkt sich 'Aha!' - und tatsächlich: Schon ist der Performer hinter dem Vorhang nackt und wirft mit Erde.

Elisabeth Bakambamba Tambwe – „Flèche“

David Visnjic

Dann tritt Elisabeth Bakambamba Tambwe mit einem der besten Entrances auf, die ich mir vorstellen kann: zuerst hört man von hinten das knarzende Geräusch eines Paketbands, das abgezogen wird. Dann stöckelt Tambwe mit nur ebenjenem Paketband bekleidet und sich noch weiter einwickelnd durch die Zuschauer_innen nach vorn. Über unseren Köpfen hängt sie immer noch am Faden der knarzenden Klebebandspule.

Elisabeth Bakambamba Tambwe – „Flèche“

David Visnjic

Die Plane wird abgerissen und zu einem Kleid. Es gibt Tier- und Summgeräusche, eine Stimme beschwört die Wildheit der Natur und des Dschungels. Kleine Dramen zwischen Spielzeug-Tieren werden in einem Beet aufgeführt und auf die Leinwand projiziert. Auch der Schwanz des Performers darf eine Rolle übernehmen. In der Zwischenzeit simuliert Tambwe Sex mit einem Besenstiel.

Und schon beginnt die Audience Particiation: Tambwe - jetzt mit Dildo umgeschnallt - weint fast, macht das Publikum verlegen, bettelt um Aufmerksamkeit: "I have the Feeling that I’ve lost everybody." Schließlich muss ein Mann aus dem Publikum einen Text vorlesen, der sie zum Weitermachen bringt. Zum Schluss das Übergießen mit Wasser in einem Kinderpool.

Performancezeit am Donaufestival 2016:

Mehr dazu hier!

Um Manipulation und Zurichtung von Körpern soll es in "flèche" gehen. Dazu passt der Dschungel auf der Leinwand, der später mit Großaufnahmen des Haardschungels auf der (weißen) Haut ersetzt wird. Das Verändern und Erweitern des Körpers durch Klebeband, Besenstiel, Dildo. Mehr erschließt sich mir nicht. Aber der gute Auftritt, der bleibt mir im Gedächtnis!