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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

3. 5. 2016 - 12:22

Ein Leben für den Underground

"Das ZickZack-Prinzip. Alfred Hilsberg - ein Leben für den Underground" würdigt den großen Labelmacher der deutschen Independent-Musikszene.

Alfred Hilsberg gilt in der deutschen Musikszene als lebende Legende, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis einer auf die Idee kommen würde, eine Biographie des Underground-Papstes und Labelmachers Hilsberg zu schreiben. Im März war es soweit: "Das ZickZack-Prinzip. Alfred Hilsberg - ein Leben für den Underground" erschien auf dem Buchmarkt.

zick zack podiumsdiskussion

Dorothea Tuch

Alfred Hilsberg bei der Podiumsdiskussion im Hebbel-Theater in Berlin, u.a. mit fsk-Musikerin Michaela Melián, dem Poptheoretiker Diedrich Diederichsen und dem Autor Christof Meueler.

Anekdoten über Alfred, wie ihn alle MusikerInnen nennen, gibt es ja zu Hauf: Alfred, der seit über dreißig Jahren auf allen Gästelisten des Landes steht und nie zum Konzert kommt. Alfred, der Platten veröffentlicht, ohne jemals beim Konzert der Band gewesen zu sein, manchmal sogar ohne sich das Demo angehört zu haben. Alfred, der einen nachts um halb 4 anrief, weil er dringend die Telefonnummer eines Musikers brauchte, aber auch irgendwie in Plauderstimmung war. Alfred, der nie eine Abrechnung geschrieben hatte und seinen MusikerInnen zwar Verlagdeals und gutbezahlte Auftritte vermittelte, aber sonst nie irgendwas bezahlte.
Darauf bezieht sich auch ein schönes Zitat aus dem Buch:

Das ZickZack Prinzip Buchcover

Heyne

Christof Meueler: Das ZickZack-Prinzip. Alfred Hilsberg - ein Leben für den Underground. Wilhelm Heyne Verlag, München 2016. 384 Seiten, 22, 99 Euro.

"Das beste Label der Welt, mit der schlechtesten Zahlungsmoral der Welt", urteilt der österreichische Musiker Xao Seffcheque über das ZickZack-Label von Hilsberg. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es bei den sogenannten Indiependent-Labels eher eine Ausnahme ist, wenn Abrechnungen verschickt und die Musiker an den Plattenverkäufen beteiligt werden. In vielen Fällen bleibt im großen Firmenganzen eben nie etwas übrig. Insofern haben die Musiker, die Cds verkaufen, nichts von ihrem Erfolg, die Gewinne werden einfach weiterinvestiert. Verträge macht man meistens sowieso nicht- und der Musiker im Allgemeinen ist recht geduldig, bis er einmal aufmuckt und fragt, wo die Verkaufserlöse bleiben. Das ist - bis auf rühmliche Ausnahmen - leider bis zum heutigen Tage so.

Ganz ohne ironischen Anzug

Mein erstes Treffen mit Alfred liegt weit zurück in den frühen Neunzigern. Der Name Alfred war ein Begriff und wurde immer mit einer Mischung aus Verehrung und Verzweiflung ausgesprochen, jedenfalls bei den Indiejungs aus Hamburg in dieser Zeit. Ich stellte mir Alfred damals auch so vor wie einen typischer Vertreter der Hamburger Schule, gutaussehend, ironisch Anzüge tragend, redegewandt mit interessanter Frisur - als ich ihn dann endlich am Rande eines Festivals traf, war ich sehr überrascht, wie er so angenehm unprätentiös zwischen all den schicken Hamburger Musikern stand, gar nicht schnittig, und damals schon ein "älterer" Mann. Alfred Hilsberg ist auch nicht der Typ Labelmacher, der unbedingt dazugehören oder mit Musikern abhängen und saufen will.

1947 in Wolfsburg geboren landete der junge Alfred Hilsberg bald in Hamburg und arbeitet in Filmvertrieben für linke, experimentelle Filme, dann an Kunsthochschulen, wo er Geschichte des Dokumentarfilms unterrichtete.Er schrieb für die Musikzeitschrift "Sounds", organisierte Konzerte, gründete 1980 sein Label ZickZack und veröffentlicht allein in den ersten fünf Jahren über hundert Singles, Maxi-Singles und Alben. Die Do-it-Yourself-Kultur des Punk war seine Firmenphilosophie.

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Im Frühjahr 1980 werden die ersten beiden Platten auf ZickZack, Singles der Hamburger Bands Geisterfahrer und Abwärts, Palais Schaumburg, Andreas Dorau veröffentlicht. Bis heute sind mehr als 180 Platten auf ZickZack erschienen, die erste Platte der Einstürzenden Neubauten, Hits wie Andreas Doraus "Fred vom Jupiter" (1982) oder "Ich-Maschine" (1992), das Debütalbum von Blumfeld, aber auch viel Unverkäufliches.

Bloß der Held kommt nicht zu Wort

Das Buch "Das ZickZack-Prinzip" will nun die ganze Labelgeschichte und die Lebensgeschichte des Labelbosses erzählen, will Kulturgeschichte als Oral History sein und verliert zwischen diesen Vorhaben ein wenig den roten Faden. Namen über Namen stehen auf dem Cover, es gibt ein Riesen- Register, Gespräche mit über sechzig Weggefährten und ZeitgenossInnen findet man im Buch. Zunächst beginnt es wie eine konventionelle Biografie, dann werden immer mehr und immer längere Zitate eingespielt, was die Lektüre erschwert. Interessant sind natürlich die Klatschgeschichten und O-töne von Bandmitgliedern, die seit Jahren nicht mehr miteinander reden. Insgesamt werden aber zu viele Themen abgehandelt. Alle kommen zu Wort, außer Alfred selbst, der Held dieser Geschichte.

Das liegt an der etwas verworrenen Entstehungsgeschichte des Buches. Sie beginnt 2006, "Das ZickZack-Prinzip" soll eigentlich als Autobiografie Hilsbergs mit dem Journalisten Christoph Meueler als Koautor erscheinen. Das ursprüngliche Konzept einer "Kulturgeschichte von unten" sei aber "über den Haufen geworfen" worden, beklagt Hilsberg, was wiederum daran liegen könnte, dass er aus gesundheitlichen und anderen Gründen in 10 Jahren nicht viel beisteuerte. Und so ist es eine nicht autorisierte Biographie ohne Zitate des Porträtieren geworden.

zick zack podiumsdiskussion

Dorothea Tuch

Nichtsdestotrotz dieser Querelen waren aber letzten Mittwoch alle zur Diskussion auf der Bühne des Hebbeltheaters unter dem Titel: "Der unglaubliche Gestus der Neuheit" versammelt. Alfred Hilsberg war zur großen Überraschung aller tatsächlich gekommen und diskutierte mit der fsk-Musikerin Michaela Melián, dem Poptheoretiker Diedrich Diederichsen und dem Autor Christof Meueler hauptsächlich über die achtziger Jahre. Es ging um Klassenkämpfe in der Hamburger Markthalle beim von Hilsberg organisierten "Geräusche für die Achtziger"-Festival (1979) - und über die komplizierte Entstehungsgeschichte der Biografie. Diederichsen verglich Alfred Hilsberg sogar mit der Verlegerlegende Siegfried Unseld vom suhrkamp Verlag - wie jener habe Alfred hin und wieder, z.B. bei den Einstürzenden Neubauten und Blumfeld, den richtigen Riecher gehabt, das Richtige zur richtigen Zeit erkannt und getan.

Michaela Melián zeigte sich mit dem Buch nicht besonders glücklich - erzählte aber wie Alfred ihre Band fsk nach nur einem Telefongespräch gesignt hatte, wie groß sein Vertrauen in die MusikerInnen war. Außerdem war er einer der wenigen Nicht-Machos in der Musikbranche. Seine Labels brauchten keine Frauenquote, weil er Musikerinnen sowieso unterstützte und ihre Platten veröffentlichte.

Der Grandseigneur himself am Abend im HAU erklärte, er habe mit seiner "Publikationsweise des Alles-Raushauens eigentlich das Internet vorweggenommen". Und tatsächlich sind zwischen 1980 und 1983 bei ZickZack Records knapp 80 Platten erschienen, für ein Independent-Label ein ungeheurer Kraftakt. Von 1983 an betrieb Hilsberg zusätzlich What’s So Funny About Records.

Klassentreffen in der Theaterkantine

Und später, nachdem sich die Diskussion wie üblich in wirren Zuschauerfragen vertröpfelt hatte, zogen alle ins nahgelegenen Wau, zur Theaterkantine. Dort wurden nicht nur "What's so Funny about?"-Hits gespielt und alle waren da: Holger Hiller von Palais Schaumburg, Jochen Diestelmeyer von Blumfeld, Justus Köhncke, Michaela Melián und die jüngeren ehemaligen Hilsberg-Acts Jens Friebe und Ja, Panik. Es war ein schönes Klassentreffen des deutschen Pop und der Impressario Alfred Hilsberg war auch kurz dabei. Auch 2016 nicht ganz so schnittig wie die versammelten MusikerInnen und auch etwas älter, aber mit inzwischen fast 70 Jahren doch erstaunlich frisch.