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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

3. 5. 2016 - 17:00

No Surprises? Yeah Surprises!

Soeben ist ein neuer Radiohead-Song erschienen: Burn The Witch

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Burn The Witch

Am 3. Mai erscheint der erste neue Radiohead-Song, inklusive Video:

Briefe als Vorboten des neuen Albums?

Ganz schön spooky ist die Post, die man so als Radiohead-Fan bekommt: "Sing a song of sixpence that goes/ Burn the Witch/ We know where you live" steht in großen, schwarzen Lettern auf den Briefen, die übers Wochenende an verschiedenste Follower der Band gesendet wurden. Darunter das Logo der Band, darüber ein verwaschenes Stück Artwork. Die Zeichen sind klar: Es ist bald wieder Zeit für ein neues Radiohead-Album. Denn wenn ominöse Briefe in die Welt geschickt werden, arbeitet man hinter den Kulissen höchstwahrscheinlich auf Hochtouren am Marketingplan des neuen Releases.

Wie wichtig das Internet für Radiohead ist, weiß Thom Yorke schon seit langem: "Nach Live-Performances und Fernsehen ist was wir im Internet machen das allerwichtigste. Es ist chaotisch und unzusammenhängend. Aber es beschreibt uns", sagte er schon 2006 in einem Interview.

Die seltsame Post sollte aber erst der Anfang des Hypezyklus zum nächsten Album sein: Übers Wochenende verschwand langsam Radioheads gesamte Online-Präsenz aus dem Netz. Tweets wurden gelöscht, Facebook-Posts offline genommen und langsam verblasste auch die Website der Band bis nichts mehr übrig blieb als eine leere, weiße Seite. Radiohead ist im Nichts verschwunden. Das große Nichts vor dem vermutlich großen Comeback.

Radiohead auf Twitter ohne Tweets

Twitter

How to reappear completely

Ein Leider-doch-nicht-Song für James Bond, eine neue Thom Yorke-Kollaboration, ein angekündigtes Album, eine Tour: Wie geht's eigentlich Radiohead gerade so?

Solche Releasemuster sind dabei durchaus nichts Neues für die Band aus England: Spätestens mit der Abkehr von den Major Labels und der Veröffentlichung von "In Rainbows" im Jahr 2007 experimentierten die Musiker mit verschiedensten Formen des Releases. Für "In Rainbows" war das damals noch das Pay-What-You-Want-System, das von vielen im Wilden Westen des Internets als mögliche Zukunft gesehen wurde.

Neben Radiohead war um die Zeit herum auch Nine Inch Nails-Mastermind Trent Reznor ein besonders aktiver Vertreter des Zahl-Was-Du-Willst-Modells: Das von ihm produzierte Saul-Williams-Album "The Inevitable Rise and Liberation of NiggyTardust!" wurde per Website gratis oder für eine kleine Spende zur Verfügung gestellt, ähnlich war es bei dem NIN-Album "Ghosts I-IV". "The Slip" gabs darauf überhaupt gratis zum Download oder als limitierte CD-Edition zu kaufen.

Schon davor spielte Reznor mit Möglichkeiten des Marketings für seine Platten herum: Das Konzeptalbum "Year Zero" wurde per monatelangem Alternate Reality Game nicht nur beworben, sondern auch nach dem Release storytechnisch erweitert. Reznor sprach damals auch davon, dass das Ganze keine einfache Marketingaktion, sondern Teil der "Experience" des Albums sei.

Diese Erweiterung der eigenen Musik sorgt für Bands wie Radiohead und Nine Inch Nails nicht nur medial für mehr Aufmerksamkeit, sondern gibt deren Fans auch die Möglichkeit Teil einer Erfahrung zu werden, die weit über das simple Musikhören hinaus geht. Wenn Radiohead seltsame Briefe an ihre Fans senden, dann fühlen sich die auch als Teil eines größeren Ganzen, eines exklusiven Clubs. Und bauen damit auch eine speziellere Beziehung zur Band auf, die mehr ist als nur auf Konzerte zu gehen und Musik zu kaufen.

Radiohead auf Facebook ohne Posts

Facebook

Auch der gute, alte Pop hat dieses System mittlerweile für sich entdeckt: Wenn Lady Gaga ihre Fans "Little Monsters" nennt, Justin Bieber seine Anhänger "Beliebers" und Beyonce vom "Beyhive" spricht, steckt dahinter das Kalkül eine Gruppe zu schaffen. Ein Gefühl von Zugehörigkeit zu erwecken, dass dann wiederum Fans enger mit den Acts verbindet. Oder um das zynischer zu sagen: Zu einem kauffreudigeren Publikum zu machen.

Releases abseits der Ankündigung des Albums Monate im Voraus, mit häppchenweise Anteasern per Single-Releases und Promotour sind damit auch für Mainstreamartists immer interessantere Möglichkeiten des Musikmarketings. Beyonce hat das letzte Woche wieder demonstriert, genauso wie David Bowie schon im Jahr 2013 mit "The Next Day". Und vermutlich jetzt auch Radiohead mit einem neuen Album, das jede Minute aus dem Nichts erscheinen könnte.

Wie es nicht gehen sollte, demonstrierten U2 ganz gut mit "Songs of Innocence", mit dem Millionen von iTunes-User per "größtem Album-Release aller Zeiten" zwangsbeglückt wurden. Und auch Kanye West durfte sich kürzlich mit dem Tidal-Release seines neuen Albums "The Life of Pablo" nicht nur über positives Feedback freuen.

Ein neues Radiohead-Album das einfach so unmittelbar erscheint ist übrigens auch nichts neues: Ähnliches passierte schon 2011 zum letzten Album-Release von "The King of Limbs". Das wurde knapp vier Tage vor seiner Veröffentlichung erst offiziell angekündigt. Und selbstverständlich für eine Band wie Radiohead wurde auch damals die Internetkultur für die eigene Musikpromo zweckentfremdet: Das großartige "Lotus Flower"-Video von Garth Jennings wurde dank darin tanzendem Thom Yorke für Memes aller Art freigegeben und wurde dadurch zum "Hotline Bling" Jahre vor "Hotline Bling". Mit dem "Universal Sigh" wurde damals auch gleich zum Release von "The King of Limbs" ein eigenes Radiohead-Boulevard-Tabloid veröffentlicht, inklusive Artwork und Lyrics. Ein Zeitungsverkäufer Thom Yorke trug da sein Übriges zur Verinternetisierung der gesamten Sache bei.

Aktionen, wie sie Bands wie Radiohead praktizieren, sind aus vielerlei Gründen genial: Sie sind (zumindest für eine Band von einem gewissen Kaliber) unglaublich einfach umzusetzen, günstig und verglichen mit dem Aufwand extrem effektiv. Sie gehen auf die Hypekultur des Internets ein, ohne dabei zu gezwungen zu wirken. Und nutzen Technologien und deren Möglichkeiten auf neue, interessante Art und Weise. Vor allem demonstrieren sie aber eines: Wie konservativ die allgemeine Releasekultur immer noch ist, wenn solche Strategien als "mindblowing" gelten.

Der Release passiert in kleinen Schritten

Schritt 1: Es tut sich was auf der Website von Radiohead: Ein erster Teaser zum neuen Material wird gepostet, ein Vogel, der in einem fünfsekündigen Clip vor sich hin pfeift:

Schritt 2: Es gibt tatsächlich das erste neue Stück Musik der Band. In einem weiteren Clip wird per Holzfiguren das Titelthema "Burn the Witch" nachgespielt:

Schritt 3: Das Video zu "Burn the Witch" erscheint.