Erstellt am: 1. 5. 2016 - 15:58 Uhr
Das endlich offene System
One nation under one groove. Für das Jahr 2016 hat sich das Donaufestival unter anderem auf die, ähm, Fahnen geschrieben, einen so bezeichneten postkolonialen Blick auf die Welt werfen zu wollen. Eine Welt, die man oft nicht anders als eine Welt des Grauens wahrnehmen kann.
Hinsichtlich der musikalischen Programmierung meint dieser Versuch der Überwindung von Kolonialismus, Imperialismus und exploitativen Manövern dann beispielsweise, dass dieses Jahr ausdrücklich viele Künstler beim Festival auftreten, die ausdrücklich nicht unbedingt den üblichen, ewige Zeiten lang umpflegten, so genannten „westlichen“ Pop-Biotopen entstammen müssen.
Sondern vielleicht aus Afrika oder dem Nahen Osten kommen. Dass diese klare Herausstreichung eines versuchten, neuen, grenzenaufweichenden Blickes aber eben auch wiederum genauso die Lust an einer neuen Exotisierung mitbefördert oder mitbefördern kann, ist dabei schon mitgedacht.
David Visnjic
David Visnjic
Donaufestival
Donaufestival 2016:
29. April bis 1. Mai & 5. Mai bis 7. Mai, Krems.
Das gesamte Programm inklusive aller Infos findet man hier.
Am Freitag, dem Eröffnungstag des Festivals, war da beispielsweise die aus Kinshasa stammende Gruppe Mbongwana Star leuchtendes Emblem der Hybridisierung, Popmodell eines frischen Afrofuturismus, der in der Vergangenheit Erkenntnisse finden kann. Aber nicht unbedingt immer finden muss.
Unter dem programmatischen Titel „From Kinshasa“ haben Mbongwana Star im Jahr 2015 ein viel beachtetes Album veröffentlicht, das in vielerlei Hinsicht als Weichensteller dienen konnte: Zwischen den Generationen, nicht bloß innerhalb der 7-köpfigen Band selbst, zwischen Folklore, Mainstream und Avantgarde, zwischen den Kontinenten.
Hier entsteht ein vibrierendes Flickwerk aus traditionellem kongolesischen Soukous, tiefem Dub, metallenen, bisweilen fast schon industrialhaften Sperrmüllgeräuschen, elektronischen Tupfern und psychedelisch vernebeltem Sixties-Rock. In der Live-Darbietung beim Donaufestival ließen Mbongwa Star die Akribie im Klangdesign weitestgehend vermissen und präsentierten sich eher als bestens gelaunte Party-Band, und nicht die schlechteste, dem überbordenden Jamband-Gitarrensolo nicht abgeneigt. Und eben doch, man kann darüber nachdenken: Auch als Spektakel.
David Visnjic
David Visnjic
Weit überzeugender, wohl auch von geringeren Erwartungshaltungen begünstig und ein Highlight des Festivals bislang: Der ägyptische Musiker Maurice Louca, der an Elektronik und mit Überstützung zweier Bandkollegen an Bass und Schlagzeug eine wunderliche und zwingend, ja, groovende und tatsächliche Post-Musik entwickelte: Eine vielschichtige Musik, durchsetzt von folkloristischen Samples, nordafrikanischem Chaabi und vielstimmigen Sprachschnippseln.
Da wogte es geschmeidig von fast schon tortoise’schem, angejazztem und tiefbassigem Postrock mal dezent Richtung Rock, mal Richtung gerade im richtigen Maße ausgelassener Party-Elektronik, mal Richtung verspielter, vertrackter Stolper-Elektronika, die einen Produzenten wie Four Tet sicherlich auch nicht uninspiriert zurücklassen würde. Der schmückt ja seine Tracks immer wieder mal gerne mit akustischen Fundstücken aus Afrika, dem Nahen Osten, dem Fernen Osten. Eine Entdeckung.
Ebenso sehr gut: Der britische MC GAIKA, der sich der Legende nach nach einem südafrikanischen Klanführer benannt haben soll. Seine Musik ist die funkelndste Sauce aus dem Alupapier-Schmelztiegel der Großstadt: HipHop, Grime, Bass, Dancehall. Seine Texte handeln vom Widerstand, der Revolte und der prallen Laszivität, seine Performance ist Energie, Schweiß, Sex, Körperlichkeit. Autotune bis zum Anschlag, wie um die Entgrenzung und den Glauben an neue Utopien klar zu vertonen.
David Visnjic
David Visnjic
David Visnjic
Natürlich ist so eine thematische Losung bei einem Festival oft auch bloß eine weite Klammer, ein gut belastbarer Spielraum. So passten an den ersten beiden Tagen des Donaufestivals freilich auch Acts ins Themenfeld, die Transgression und Transglobalismus weniger explizit ausbuchstabieren, vielmehr in Form von überschäumender musikalischer Kombinationslust zum Ausdruck bringen - nicht selten unter den Vorzeichen „Clubmusik“.
Der aus Chicago stammende Produzent Hieroglyphic Being wob da in seiner Live-Performance einen gar mitreißendem Strom aus Techno, Acid, Krach, spirituellem Jazz und kosmischem Zwitschern, Hyperdub-Boss Kode9 ließ mit seinem rasanten Set Begriffe wie Grime, Dubstep, Footwork tatsächlich bloß noch Begriffe sein. Die an sich hochinteressante Künstlerin und Produzentin Fatima Al Qadiri hingegen blieb in erster Linie „interessant“ und an ihrem eigenen Laptop anscheinend nicht sonderlich interessiert. Sie wird wohl neue Pläne zur Verbesserung der Erde ausgeheckt haben, ganz ohne Zynismus. One world, one love, no nation.