Erstellt am: 1. 5. 2016 - 11:39 Uhr
Die vergessene Generation
Schwarz wird in diesem Text und in der Ausstellung groß geschrieben, als politischer Begriff für rassistisch diskriminierte Menschen
„How do you do?“ Nicht nur afroösterreichische Fußball-Nationalspieler aus Wien-Donaustadt beantworten diese Frage mit einem gequälten „Danke, gut.“ Fremd gemacht werden im eigenen Land - diese Erfahrung verbindet viele, deren Aussehen als „nicht-österreichisch genug“ eingestuft wird. Sie prägt auch die lebensgeschichtlichen Erzählungen von rund 20 ZeitzeugInnen, die jetzt im Wiener Volkskundemuseum größtenteils erstmals öffentlich zu hören und zu lesen sind.
Claudia Unterweger / FM4
Es ist eine spannende Reise zwischen damals und heute: Familienfotos und persönliche Objekte, Dokumente und Comics über alliierte Soldaten und deren Partnerinnen, Videobildschirme und Stimmen aus Kopfhörerstationen.
Auch Freddies Geschichte ist darunter. Freddie kam im Nachkriegs-Wien zur Welt. Seither ist das bohrende Frage-Ritual nach seiner „echten“ Herkunft (übersetze: nach seiner Hautfarbe) Teil seines Alltags. „Na geh, des gibt’s ned. Sie san wirklich a Wiener?!“
Lost in Administration
Geschätzte 350 bis 500 Personen wurden als Kinder Schwarzer GIs und österreichischer Mütter zwischen 1945 und 1956 geboren. Offizielle Zahlen dazu gibt es keine und von vielen hatte man die Spuren verloren.
„Lange Zeit sind wir davon ausgegangen, dass es kaum mehr Nachkommen Schwarzer Besatzungssoldaten in Österreich gibt. Denn es gab kaum Informationen darüber. Aber in afroamerikanischen Zeitungen der Nachkriegsjahre waren immer wieder Fotos von Schwarzen Kindern aus Deutschland und Österreich zu finden gewesen, die zur Adoption in die USA freigegeben wurden“, schildert Historiker Philipp Rohrbach einen der Ausgangspunkte der Recherche.
Lost in Administration
Weiße Forscher, Schwarze Beforschte
Zur Dokumentation von Lebensgeschichten der ZeitzeugInnen sucht „Lost in Administration“ weitere Menschen, die zwischen 1946 und 1956 als Kinder von Österreicherinnen und afroamerikanischen GIs geboren wurden und ihre Lebensgeschichte erzählen möchten. Gesucht werden auch Personen, die afroösterreichische Kinder im Rahmen ihrer Tätigkeit für eine soziale Einrichtung betreuten.
Kontakt:
office@lostinadministration.at
Gemeinsam mit den Künstlern Niko Wahl und Tal Adler kuratiert Rohrbach die Ausstellung SchwarzÖsterreich. Durch das Forschungsprojekt Lost in Administration gelang es ihnen, mehr und mehr Hinweise auf die erste Generation Schwarzer ÖsterreicherInnen nach dem Zweiten Weltkrieg zu sammeln. Über Zeitungsannoncen meldeten sich schlussendlich ZeitzeugInnen aus Übersee, aber auch aus Österreich.
Ginge es um eine Ausstellung zu Frauengeschichte, könnte ein rein männliches Kuratorenteam für Irritationen sorgen. Auf Nachfragen, ob bei dieser Schau die Einbindung Schwarzer ForscherInnen aus Österreich eine Überlegung war, verweist Kurator Rohrbach auf das Rahmenprogramm. Das wird zum Teil von fresh – Black Austrian Lifestyle mitorganisiert.
Gemeinsamkeiten in den Biografien
Lost in Administration
Die Lebensgeschichten Schwarzer ÖsterreicherInnen aus der Nachkriegszeit sind geprägt von Vereinzelung und vom Aufwachsen ohne ihre Väter oder andere Schwarze Bezugspersonen. Denn Heiratsansuchen Schwarzer GIs mit weißen Frauen ließ das damals segregierte, von Südstaaten-Kommandanten dominierte US-Militär häufig „verschwinden“. Es war keine Seltenheit, dass afroamerikanische Soldaten bei Bekanntwerden ihrer Beziehung nach Korea abgezogen wurden.
Oft übte das Jugendamt, damals Vormund unehelich geborener Kinder, Druck auf die meist alleinstehenden Mütter aus, die Kinder wegzugeben, in Pflegeheime oder zur Adoption in die USA. Nicht nur, weil die finanziellen Verhältnisse meist prekär waren. Auch tiefverwurzelte und durch den Nationalsozialismus verfestigte Überzeugungen spielten manchmal eine Rolle, so Rohrbach.
„Die Mütter waren gesellschaftlichem Terror ausgesetzt, oft von den eigenen Familien verstoßen, lebten in Armut. Manchmal war für die Fürsorgebehörden aber auch ausschlaggebend, dass man gesagt hat, Schwarze Kinder gehören zu Schwarzen. Die haben hier bei uns nichts verloren.“
Lost in Administration
Überlebensstrategien
Jene, die als Schwarze Kinder im Nachkriegsösterreich aufwuchsen, berichten in der Ausstellung von Beschimpfungen als „Besatzungskinder“, vom Verbot, eine höhere Schule zu besuchen, von offen rassistischer Diskriminierung durch die Nachbarn, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Aber sie entwickelten eigene Überlebensstrategien. So erkämpfte sich die spätere Wiener Bezirkspolitikerin Christine einen ihrer ersten Jobs als Hausmeisterin – gegen alle Widerstände:
„Der damalige Hausinspektor sagt zu mir: So eine wie ich kommt ihm nicht ins Haus. Auch wegen der Hautfarb‘. Daraufhin schreib ich an den Bundeskanzler Kreisky. Zwei Wochen später erklärt mir der damalige Bezirksvorsteher: Na, das war ja alles ein Missverständnis! Da brauchst ja nicht beleidigt sein. Dort unten ist eh noch was frei.“
Claudia Unterweger / FM4
Beim Blick auf die Dokumente in den Ausstellungsvitrinen fällt auf: die Familiennamen der ZeitzeugInnen sind - auf eigenen Wunsch - unkenntlich gemacht. „Wir wollten nicht, dass jeder, der die Geschichten spannend findet, zum Telefon greift und die Leute mit ihren Lebensgeschichten konfrontiert. Das war auch die Angst einiger InterviewpartnerInnen“, erklärt Kurator Rohrbach. Vieles bleibt ausgespart.
„Wenn es um Heimerfahrungen geht, um Missbrauch, um gesellschaftliche Ausgrenzung. Das hat uns sehr beschäftigt, uns zu überlegen: wie explizit soll man werden, wenn es darum geht, darzustellen, dass jemand keine gute Zeit gehabt hat?“
Claudia Unterweger / FM4
Verbindung zwischen den Generationen
Mit der Schau im Volkskundemuseum will man die Brücke zu jungen Schwarzen Menschen in Österreich schlagen. In Videoinstallationen erzählen sie Geschichten aus der Nachkriegszeit nach, eine Art symbolischer Oral History. „Was vielen Menschen der ersten Generation in den 50er und 60er Jahren widerfahren ist, bleibt nicht auf damals beschränkt. Bestimmte Erfahrungen gibt’s bei jüngeren Jahrgängen auch.“
Lost in Administration
Durch organisierte Treffen im Rahmen der Ausstellung sollen die verschiedenen Generationen Schwarzer Menschen in Österreich Gelegenheit bekommen, einander kennenzulernen. Wie wichtig der Weg aus der Vereinzelung ist, wird deutlich an der Schilderung der Zeitzeugin Rosemarie:
„Die jungen Leute, die sind ja so nett zu mir. Wenn’s braun oder gemischt sind, dann lachen’s mich oft an in der Tram, und ich lach zurück. Ich merk, da ist so eine Connection da.“
Die Ausstellung SchwarzÖsterreich soll nicht nur Öffentlichkeit für die verschütteten Lebensgeschichten der InterviewpartnerInnen erzeugen, erklärt Philipp Rohrbach. „Das ist de facto die erste Generation Schwarzer ÖsterreicherInnen in der 2. Republik, ein total ausgeblendetes Kapitel österreichischer Geschichte.“
Mein Österreich, dein Österreich
Die Ausstellung SchwarzÖsterreich - Die Kinder afromamerikanischer Besatzungssoldaten läuft bis 21. August 2016 im Volkskundemuseum in Wien.
Die Kuratoren wollen auch die Diskussion rund um die österreichische Identität vorantreiben, so Rohrbach. Wer wird als zugehörig gesehen und wer nicht? Auf welcher Grundlage wird das entschieden?
„Die österreichische Gesellschaft, wie sie sich mehrheitlich lange Zeit verstanden hat, hat so nie existiert. Von den frühen Stunden der 2. Republik haben Minderheiten dazu gehört ebenso wie Schwarze ÖsterreicherInnen. Das gehört stärker in die offizielle Geschichtsschreibung integriert.“