Erstellt am: 30. 4. 2016 - 13:22 Uhr
"Hier ist einer, der ist nicht eingeladen"
Mitarbeit: Kathi Seidler
Jedes Jahr am letzten Wochenende im April und am darauf folgenden im Mai verwandelt sich das Stadtbild von Krems für ein paar Tage. Dunkel gekleidete Menschen huschen durch die idyllischen Pflastersteingassen, glitzernde PerformerInnen mit hochhackigen Schuhen liegen im Stadtpark auf der Wiese und die Minoritenkirche wird nachmittags zweckentfremdet als Konzertbühne und Ausstellungsraum. Es ist Donaufestivalzeit!
Donaufestival
Donaufestival 2016:
29. April bis 1. Mai & 5. Mai bis 7. Mai, Krems.
Das gesamte Programm inklusive aller Infos findet man hier.
Gestern ist in Krems der erste von sechs Festivaltagen über die Bühne gegangen. Neben der Musik steht wie immer auch die Kunst und die Performance im Mittelpunkt. Hier ein paar Dinge, die es gestern schon zu sehen gab:
Hatsune Miku
Am Anfang werden wir - gefühlt - stundenlang darüber aufgeklärt, dass wir als Konsument_innen gerne so genannte secondary creations aus Hatsune und Kolleginnen erstellen dürfen, wenn wir nur gewisse Regeln befolgen (z.B. nicht zu Werbezwecken verwenden etc.). Denn der virtuelle Popstar ist – wie Kollege Burstup uns schon erläutert hat - mit dem Sprachsynthesizer Vocaloid erschaffen worden und kann von vielen Künstler_innen im Netz mit Freeware weiterentwickelt werden.
In der Minoritenkirche folgt viel Gebritzel und Gebratzel, wir werden von Bildern der mint-haarigen Anime-Schönheit beschossen. Und dann tritt endlich Hatsune auf (wenn man das so sagen kann): J-Pop auf Japanisch und anmutiges Gewackel mit den türkisen Zöpfen.
Schade, dass wir immer wieder aus der Illusion herausgerissen werden, die Figur sozusagen im Erschaffen gleich wieder dekonstruiert. Da erklären die Macher_innen von Hatsune Miku zum Beispiel, dass die Grenzen zwischen Komsument_innen und Produzent_innen jetzt aufgehoben sind.
Wie Burstup schon so schön bemerkte: Eine Projektionsfläche für die Wünsche der Fans…
David Visnjic
Roberta Lima "Queer Way"
Twerken auf dem Spiegellaufsteg im Kreuzgang des Klosters. Dazu läuft laute brasilianische Musik. Durch das wilde Tanzen des* Performers* und zwei sich drehende Spiegelobjekte wird die Vierkantigkeit des Kreuzganges bei der Minoritenkirche durch "Queer Ways" durchbrochen. Wie so oft hier in Krems hat man während der Performance allerdings ständig Angst, selbst in die Mitte geholt zu werden. Aber das gehört zum Verlassen der eigenen Komfortzone wohl dazu.
“Niemand hat euch eingeladen“
Der Titel dieser God’s-Entertainment-Produktion hat Thomas Zierhofer-Kin so gut gefallen, dass er ihn gleich für das Festival verwendet hat: "Im Laufe der Beschäftigung mit dem Festival und dem Thema und der leider gesellschaftspolitisch tragischen Realität fand ich diesen Satz ganz großartig. Weil der hängt in der Luft, der ist so bös und der trifft so viel!"
David Visnjic
Die Performance "Niemand hat euch eingeladen" von God's Entertainment ist Teil 2 einer Trilogie zum Thema "Neue Europäische Tragödie", die sich am Europa von heute abarbeitet. Teil 1 wurde bereits in Leipzig aufgeführt und handelte von Angst, Teil 2 jetzt also hier und zu Flucht.
"Wenn sie wegen dem Mitleid gekommen sind, sind sie hier falsch!", heißt es ganz am Anfang der Performance. "Und Flüchtlinge kriegen Sie hier auch keine zu sehen." Nein, hier geht es nicht darum zu zeigen, dass Flüchtlinge eh nett sind. Hier geht es um Österreich als (Nicht-)Willlkommensgesellschaft.
Ein bisschen vorhersehbar werden einzelne Zuseherinnen herausgepickt und gefragt, ob sie denn eingeladen sind. Ein schön absurder Moment, als die Polizei in Krems angerufen (fake oder echt sei dahingestellt) wird. Die Performerin beschwert sich "Hier sind lauter Leute und die sind alle nicht eingeladen." Und der Polizist meint, sie solle sie doch nicht reinlassen.
Danach folgen verschiedene Szenen und Anordnungen, die mehr oder weniger aufgehen. Österreichische Erde wird in der Halle eins aufgeschüttet und gedüngt – oder gespritzt? - mit antimuslimischem Christentum, österreichischen Werten und ein bisschen Refugees Welcome. Vor allem die Kirche bekommt ihr Fett ab mit zahlreichen Taufszenen, und eine Mauer wird auch quer durch den Raum eingezogen.
Wenn man danach die Zuseher_innen fragt, scheint jede_r eine andere Performance gesehen zu haben. Platt und unheimlich dick aufgetragen, findet der eine. Betroffen und hilflos hat sich eine andere gefühlt. Gewisse Bilder und Szenen, die schön lange ausgereizt wurden, bleiben mir im Gedächtnis. Und das Spielen mit Angst und Unsicherheit.
"Al Paradiso"
Gleich daneben außerdem zu sehen: ebenfalls von God's Entertainment die Installation "Al Paradiso". Sie thematisiert die Überfahrt übers Mittelmeer.
Sonst so: Fröhliches Lamentieren
Das ist aber noch längst nicht alles, ich werde heute zu Elisabeth Bakambambas Tambwes "Flèche" schauen. Auch ihre Installation namens "Charlie and the Angels" gibt es hier zu sehen:
Elisabeth Bakambamba Tambwe: Charlie & The Angels from digup on Vimeo.
Eine weitere Fluchtperformance von Saint Genet steht heute auf dem Programm und mit der Kunstinspektion DONAU werde ich gemeinsam schlechte Kunst denunzieren und fröhlich lamentieren. Genug zu tun!