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Trishes

Beats, Breaks und Tribe Vibes - oder auch: HipHop, Soul und staubige Vinyl-Schätze.

2. 5. 2016 - 06:06

Der finale Puzzlestein

Mehr als 10 Jahre nach seinem Tod ist endlich das verschollen geglaubte Solo-Album des einflussreichen HipHop-Produzenten und Rappers J Dilla erschienen. Ein guter Grund, sich seinem großartigen Katalog nochmal anzunähern und ihn als "Artist of the Week" zu feiern.

Posthume Veröffentlichungen sind eigentlich eine ganz schwierige Angelegenheit - schließlich hatte der/die Künstler_in nicht mehr die Möglichkeit, die Aufnahmen, Skizzen und Demos zu Ende zu denken. Jede Art der Fertigstellung - auch durch Freunde und Vertraute - ist also nur noch Annäherung: Wie hätte XY das gemacht? Oft schwingt zudem der schlechte Geruch der zynischen Geschäftemacherei mit.

FM4 Artist Of The Week

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Auch im Falle des Detroiter Über-Producers J Dilla sind seit seinem frühen Tod im Februar 2006 bereits einige halbseidene Projekte erschienen, wo alte Beats aus dem Archiv mit irgendwelchen Vokalist_innen zu neuen Songs wurden, die seiner eigenen Qualitätskontrolle wohl nicht genügt hätten. Ein wichtiger Puzzlestein in der umfangreichen Diskographie des höchst einflussreichen Producers und MCs blieb allerdings bisher in den Archiven verborgen: The Diary.

Das Majorlabel MCA hatte Dilla (damals noch Jay Dee) um die Jahrtausendwende als Solo-Künstler unter Vertrag genommen. Statt schön beseelten Produktionen mit befreundeten Künstlern wie Common, D'Angelo oder Q-Tip lieferte der Gute aber ein Solo-Rapalbum ab, das er großteils über Beats anderer Leute aufgenommen hatte, zum Beispiel Madlib, Pete Rock, Nottz - in einer frühen Version sogar noch mit einer Kanye West-Produktion. Ein Produkt, in dem 2002 wahrscheinlich zurecht nicht viel finanzielles Potenzial gesehen wurde - die Platte kam deshalb nie raus.

Als der ehemalige Stones Throw-Labelmanager Eothen Alapatt, der Dilla während der Zusammenarbeiten an Jaylib und der traurig-schönen Abschiedsplatte Donuts kennengelernt hatte, vor zehn Jahren mit der Leitung des künstlerischen Nachlasses von James D. Yancey betraut wurde, war eine seiner ersten Fragen die nach dem Status der mysteriösen Solo-Platte. Obwohl die Plattenfirma das Album bereits freigegeben hatte, sollte es sich ewig hinziehen, bis technische und legale Hürden zur Veröffentlichung überwunden waren - die Detail gibt es beispielsweise hier oder hier nachzulesen.

Die Platte selbst klingt dafür, dass sie 15 Jahre alt ist, erstaunlich frisch. Die mal samplebasierten, mal elektronischeren Beats sind stilsicher genug ausgewählt und weit genug vom damaligen Zeitgeist weg, als dass sie ihr Alter gleich verraten würden. Dafür räumen J Dilla's Raps mit einem durchaus weitverbreiteten Missverständnis auf: Nach seinem Tod wurde der Detroiter nämlich mitunter als messianische Figur verklärt, die noch den wahren/puren HipHop vertreten hätte. Auf The Diary zeigt Dilla aber sehr irdische Vorlieben: Autos, Diamanten oder Spirituosen zum Beispiel. Das schmälert sein musikalisches Vermächtnis nicht im Geringsten, sondern liefert uns im Gegenteil ein vollständigeres Bild von diesem Typen, der trotz seiner unfassbaren Produktionen eben kein Außerirdischer war. Und das ist, neben der sehr schönen Musik, ein großer Verdienst dieses letzten fehlenden Puzzlesteins.