Erstellt am: 2. 5. 2016 - 12:48 Uhr
What came first? The Music or the Misery?
Noch flüssiges Blut aufwischen, schon getrocknetes abkratzen. Während der Studioarbeiten an seinem Debutalbum jobbte Cullen Omori in einem Krankenhaus. Und das nicht (nur), um soziales Kapital anzureichern, sondern einfach, weil er vollkommen pleite war.
Sub Pop Records
Die Schule mit 17 Jahren geschmissen, war Cullen Omori seit 2009 mit seiner damals gegründeten Chicagoer Band, den Smith Westerns, unterwegs (wir haben hier berichtet). Unterwegs meaning: So richtig schön das hedonistische Rockstarleben führen, für das er Mathe, Latein und den Sportkurs hat sausen lassen. Verbittert, gelangweilt, vor allem aber komplett monetär wie psychisch abgebrannt stand der mittlerweile 26-jährige Sänger im Dezember 2014 dann da. Die Band hat sich aufgelöst, der Bruderzwist zwischen Cullen und Cameron (vor der Streiterei am Bass tätig) war dann doch nicht bei ein paar Bier beizulegen.
Cullen Omori hat bis zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben noch nicht viel gemacht, außer eben Frontman der Smith Westerns zu sein. What to do? AMS?
Cameron Omori ging an die Uni, Gitarrist Max Kakacek schnappte sich den Live-Drummer der Westerns, Julien Ehrlich, und gründete die sehr gute, eher Country-versierte Band Whitney.
Und Cullen?
Sub Pop Records
Dem ging es nicht allzu gut. Wie er selbst erzählt, wusste er nicht genau, wo oben, wo unten. Was wie die naive Beschreibung eines von diversen Substanzen abhängigen Vorhöllen-Daseins klingt, ist unterm Strich schlicht die erstmalige, wirklich ernsthafte Konfrontierung eines jungen Musikers mit einer für ihn schicksalsträchtigen Entscheidung. Nämlich die, solo weiterzumachen.
I like beautiful melodies telling me terrible things
Man könnte meinen, Cullen Omori schreibt nun, in dieser Phase des Verzweifelns, sich suchend, aber doch noch nicht so ganz findend, eine fragile, zerbrechliche Platte. Spoiler: Weit gefehlt.
Noisy. Das ist das Schlagwort auf "New Misery". Dabei trennt Cullen Omori auf interessante Weise Sound und Inhalt: Packt er noch einen Synthie-Teppich auf die schon nur so strotzende, ausufernde Klangwolke, in die alle Songs wie in einen Wattebausch gehüllt sind, wird jeder der Perser-Sammler neidig zucken. Alles ist noch dichter als bei den Smith Westerns, angefangen bei den Drumsets, die sich zu episch aufragenden Wall of Sound aufpeitschen, bishin zu den omnipräsenten Chören, die Cullen Omori offensichtlich heiß liebt. Gedoppelt ins scheinbar Unendliche tönt nicht nur seine unverkennbare, androgyne Stimme, sondern auch die seiner BackgroundsängerInnen. Dabei bleibt er, trotz der Gewalt dieses Albums doch der skinny Indieboy, der mit hoher Stimme und offenbar nie schwindender Jugendlichkeit die verträumte Highschool-Nostalgie gerne für sich und sein Image als Lonesome Rider nutzt.
Subpop Records
"New Misery" ist auf Sub Pop Records erschienen.
Aufgenommen in New York und produziert von Shane Stoneback (Sleigh Bells, Fucked Up) ist "New Misery" ein dröhnendes, schwer an die 80er Jahre angelehntes Hybrid aus verschiedensten Retrosounds. Glamrock, Synthie-Dreampop. Disko, Hall, Händeklatschen, Tränen wegwischen. Intensiver, lauter und kräftiger als alle drei vorigen Smith Westerns-LPs klingt das in der Umschreibung vielleicht zu sehr wie ein Gute-Laune-Kindergeburtstagsalbum. Aber "New Misery" ist sehr viel düsterer als das. Außerdem hat Cullen Omori ziemlich sicher sehr viel Chamber Strings, sehr viel Big Star gehört.
Im Zweifelsfall lieber komisch.
Dark Pop. This is what I wanted to do. Cullen Omori erzählt, er hätte sich darauf konzentriert, eine Popplatte zu schreiben, die die klassischen Zutaten mit sich bringt: eingängige Melodien, schöne Singalongs, viel Leid, aber auch viel Liebe. Nur, dass er während den Recordings draufgekommen ist, er kann das eigentlich nicht wirklich. It’s always more like a weird kind of pop. Hard to describe, but somehow awkward.
"No Big Deal", der Opener, stolpert und poltert in T.-Rex-Anleihe ähnlich dem Smith Westerns Debut von 2009 daher, Cullen Omori textet, sich selbst süffisant belächelnd "Creature of habit / Torn leather jacket / Chase the white rabbit / I think something’s wrong" über seinen rigorosen Lifestyle. Die poppigste, bunteste und schönste Single "Cinnamon" ist nur dem Namen nach süß: "I can hear you through the stall / Don’t you go and take it all". Koks auf der Herren- oder Damentoilette. Je nachdem.
Das Debut-Soloalbum von Cullen Omori kann man hier streamen.
"I am talking to myself and myself’s a jerk" oder "And I suppose I got it all wrong" (Sour Silk) sind mehr als nur das Statement eines selbstmitleidigen, trotzigen Mittzwanzigers. Der titelgebende Track "New Misery" beschließt das elfteilige Album, man wird das Gefühl nicht los, als hinge über Cullen Omoris Kopf immer noch eine ziemlich dunkle Gewitterwolke. Man möchte ihm am liebsten zuflüstern: Alles wird gut.
Mit einem Debut wie diesem unbedingt.