Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Abschiebeboote landen in der Türkei"

Michael Bonvalot

Politik. Zwischenrufe, Reportagen und Hintergründe.

28. 4. 2016 - 15:58

Abschiebeboote landen in der Türkei

Die Abschiebungen aus Griechenland laufen wieder an. Unter den Deportierten sind mehrere Kinder.

Am Dienstag kam neuerlich ein Boot mit abgeschobenen Flüchtlingen im türkischen Hafen Dikili an. An Bord waren auch drei Kinder, die Gesamt-Anzahl der diesmal deportierten Menschen ist unklar.

Ein Sturm fegt über Dikili

Dienstag morgen erfahren lokale FlüchtlingsaktivistInnen in der türkischen Küsten-Region von geplanten Deportationen aus Griechenland. Hasan, einer der Aktivisten, informiert mich, gemeinsam fahren wir zum Hafen von Dikili. Seinen vollen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, er sagt, dass es enormen Druck durch die türkischen Behörden gibt.

In der Nacht und auch am Morgen hat es stark gestürmt und geregnet, Hasan ist sehr besorgt über das Wohl der Menschen an Bord: "So heftig ist der Wellengang wirklich nur an sehr wenigen Tagen im Jahr." Er meint, dass private Boote und die regulären Fähren für Menschen mit dem richtigen Pass an diesem Tag kaum die Häfen verlassen würden.

wellengang

Michael Bonvalot

Die Mole, wo das Boot mit den Deportierten ankommen soll, ist gut bewacht. Über der Szenerie kreist ein Hubschrauber. Im Wasser treibt derweil einsam eine Schwimmweste. Ein Bild, das überall an der Küste zu sehen ist.

Besorgte Gesichter

Ich beobachte das Geschehen gemeinsam mit mehreren Fischern aus einigen Metern Entfernung. Sie schütteln zweifelnd die Köpfe, als das Boot am Horizont auftaucht und diskutieren miteinander. Hasan übersetzt und berichtet, dass auch die Fischer besorgt sind. Kein Wunder, die Wellen schlagen so hoch, dass das Boot auf dem Meer wie ein Spielball tanzt.

Schließlich kann das Boot nach etlichen Versuchen an der Mole festgemacht werden. Warum die Behörden gerade diesen Tag für eine Abschiebung ausgesucht haben, ist unklar. Die Überfahrt muss für die Zwangspassagiere eine Tortur gewesen sein. Viele der Menschen wirken sehr erschöpft, als sie festes Land betreten. An der Mole sind Zelte des Roten Halbmonds aufgebaut. Ob jemand medizinisch versorgt werden muss, kann ich nicht erkennen.

Fähre

Tanja Boukal, boukal.at

Drei Kinder mit an Bord

Als die Menschen von Bord geführt werden, bekommt jede deportierte Person mindestens einen eigenen Polizisten als Bewacher. Auch drei kleine Kinder werden aus dem Boot gebracht. Zwei werden von Polizisten geführt, das dritte ist wohl noch zu klein, um selbst zu laufen. Ein Polizist muss es tragen.

Ein Bub in einem knallgelben Pullover, höchstens sechs oder sieben Jahre alt, lächelt hin und wieder. Er versteht wahrscheinlich nur wenig davon, was hier gerade passiert. Das kleinste Kind in den Händen des Polizisten hingegen blickt immer wieder irritiert. Neben ihm geht ein Mann, der es später auch selbst tragen wird, möglicherweise sein Vater oder ein Verwandter.

Es wirkt, als gäbe es eine Order, dass die Polizei die Kinder führt. Verifizierbar ist das nicht, Behördenvertreter wollen nicht mit mir sprechen, die Flüchtlinge werden gut bewacht.

An der Mole stehen insgesamt gut dreißig Polizisten und andere Beamte. Während einige die Deportierten in das Hafengebäude bringen, stehen andere herum, plaudern, lachen. Für sie ist es offenbar business as usual. Die Flüchtlinge werden unterdessen von drei Journalisten aus nächster Nähe abgefilmt. Ein Kameramann und zwei Photographen halten auf der Suche nach dem besten Bild aus höchstens zwei Metern Entfernung auf die Kinder.

Michael Bonvalot

Unklare Angaben über die Anzahl der Abgeschobenen

Über die Gesamtanzahl der Personen, die am Dienstag nach Dikili deportiert wurden, gibt es unterschiedliche Angaben. Das türkische Nachrichtenportal Haberler berichtet über dreizehn Personen. Der ORF und NTV schreiben von zwölf Personen, Quelle ist in beiden Fällen offenbar die Deutsche Presseagentur.

Ein Beamter der örtlichen Hafenmeisterei in Dikili nennt mir gegenüber hingegen die Zahl von 17 Personen. Warum die Zahlen sich so unterscheiden, ist nicht zu klären. Falls die Anzahl 17 stimmt, die die Hafenmeisterei genannt hat, steht die Frage im Raum, warum die Behörden vier bzw. fünf Personen verschweigen. Nachdem auch einige sehr junge Burschen unter den Flüchtlingen sind, könnte die Differenz der Anzahl der Kinder und Jugendlichen unter den Deportierten entsprechen.

Der Bus fährt los – das Ziel ist unklar

Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Hafenmeisterei werden die Flüchtlinge zu einem wartenden Reisebus gebracht. Der Bus fährt bald los, bewacht von einem Führungsfahrzeug der Polizei. Wohin die Reise geht, ist vorerst unklar.

Hasan ist sich sicher, dass die Menschen nicht im Ort bleiben. In türkischen und internationalen Medien ist zwar immer wieder die Rede von einem Lager in Dikili. Vor Ort existieren aber bis jetzt keine Strukturen. "Dort, wo angeblich das Lager steht, ist bis jetzt nur ein Acker", so Hasan.

Bus

Tanja Boukal, boukal.at

Das Lager in Dikili existiert nur am Papier

Kurzfristig waren auch in Dikili Flüchtlinge untergebracht und lebten in einer Turnhalle. Nach Protesten aus der Bevölkerung wurde die Turnhalle dann aber wieder geschlossen. Hier an der Küste regiert der Hochpreis-Tourismus, Flüchtlinge sind schlecht für das Geschäft.

Etwas früher am Tag haben wir uns bei dieser Turnhalle umgesehen. Vor dem Eingang liegen immer noch Schwimmwesten, die zurückgelassen wurden. Ein Wächter war vor Ort, wollte uns allerdings nicht in die Halle lassen. Er erwähnte dann noch, dass er keine Flüchtlinge mögen würden, weil sie angeblich Krankheiten übertragen würden. Es ist aufschlussreich, wie deckungsgleich überall die gleichen Vorurteile geschürt werden. Ob eine solche Einstellung allerdings zu einer Tätigkeit in einer Flüchtlingsunterkunft befähigt, kann diskutiert werden.

Schwimmweste

Michael Bonvalot

Abschiebungen sogar nach Syrien

Mehr von Michael Bonvalot vor Ort:

Wir verfolgen den Bus auf dem ersten Abschnitt der Reise. An der Autobahnauffahrt biegt der Bus schließlich Richtung Norden ab. Für Hasan ist damit klar, wohin die Menschen gebracht werden: "Dieser Bus fährt sicher zum Lager Pehlivanköy, ein anderes Ziel gibt es in diese Richtung nicht." Dort, an der Grenze zu Bulgarien, wurde mit EU-Mitteln ein großes Lager errichtet. Pehlivanköy ist ein reines Durchgangslager vor der Abschiebung in die Herkunftsländer der geflüchteten Menschen.

Rechtliche Grundlage für all diese Abschiebungen ist das Abkommen zwischen der EU und der Türkei, das seit 20. März in Kraft ist. Nun werden sogar syrische Flüchtlinge in die Türkei deportiert. Es ist allerdings nicht einmal sicher, dass die abgeschobenen Menschen in der Türkei bleiben können. Amnesty International etwa berichtet, dass die Türkei seit Jänner bereits tausende Menschen in das Bürgerkriegsland Syrien verfrachtet hätte.

Auf der griechischen Insel Lesbos werden unterdessen Proteste der Flüchtlinge gegen geplante Abschiebungen gemeldet. Im Lager Moria nahmen Insassen den Besuch des griechischen Migrationsministers Giannis Mouzalas zum Anlass für Protestaktionen gegen die Unterbringungsbedingungen und gegen mögliche Abschiebungen.