Erstellt am: 2. 5. 2016 - 11:16 Uhr
"Das Beste, was wir tun können, ist nichts"
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Björn sitzt unter einem Birnbaum. Er blickt über goldgelbe Kornfelder in die Weite Brandenburgs. Rehe und Vögel kreuzen sein Blickfeld, die Sonne taucht die Szenerie in ein unwirkliches Licht.
Die Bank, auf der der deutsche Autor sitzt, steht am Rand seines kleinen Grundstücks im Oderbruch nahe Berlin. Sie ist nicht sein Zufluchtsort, sondern sein "Arbeitsplatz" geworden, der beste Ort der Welt, um erfolgreich nichts zu tun. Und das kam so...
Wolkenschau statt Sandburgenbau
Der im Südschwarzwald geborene Björn Kern hat in frühen Jahren eine gute Verbindung zu seiner inneren Stimme. Denn damals wusste er schon genau, was er wollte.
Nichtstun hat mich in meinem Leben immer sehr glücklich gemacht. Schon als Kind lag ich lieber im Sandkasten, als darin zu sitzen und schaute lieber in den Himmel, statt Sandburgen zubauen. Als Jugendlicher verbrachte ich ganze Sommer rücklings auf dem Steg eines nahen Waldsees. Ohne Weltschmerz, ohne Drogen, vor lauter Nichtstun war ich viel zu glücklich dazu. Im Grunde war mir damals bereits klar, dass Nichtstun meine Berufung ist, der mir vorherbestimmte Weg. Ich traute mich nur nicht, es mir einzugestehen.
Suskia
Dann kommt das, was wir alle kennen. Schule, Ausbildung, das Unterordnen und Übernehmen gesellschaftlicher Normen und schon geht’s mit Volldampf hinein ins wirtschaftsgetriebene Hamsterrad. Ein kleines Büro mit Kollegen in Berlin mieten - das "liebevoll" die Gruft genannt wird, da kaum Sonnenlicht hereinfällt - und sich als Freiberufler mit Auftragsfirmen herumschlagen, während das Highlight des Tages das gemeinsame Essen beim Chinesen um die Ecke ist.
Zwischen Schnäppchenjagd bei Tschibo und endlosen Telefongesprächen bei diversen Helplines entschließt sich Björn seiner ursprünglichen Berufung zu Folgen und fort an nichts zu tun. Koste es, was es wolle. Leichter gesagt als getan. Welchen Job sollte er dann machen? Wer soll das alles bezahlen? Und wie soll so ein soziales Leben aussehen? Der erste Schritt zur Veränderung ist der Kauf eines mehr baufälligen als bewohnbaren Hofs im brandenburgischen Oderbruch. Von da an gibt es kein Zurück mehr.
Die Kunst des Nichtstuns
Wer sich von "Das Beste, was wir tun können, ist nichts" einen Lebenshilfebuch erwartet, wird enttäuscht. Björn Kerns Mischung aus autobiographischer Erzählung und gesellschaftskritischem Manifest ist ein unaufdringliches, extrem witziges und unter der Oberfläche ungeheuer rebellisches Buch. Und damit man sein Anliegen nicht falsch versteht:
Nichtstun wiederfährt einem nicht nebenbei. Es bedeutet nicht, nichts zu tun zu haben. Gelingendes Nichtstun fordert Konzentration ein und bedarf eines magischen Quäntchens Glück. Im Grund ist Nichtstun nicht, was es behauptet, sondern ebenfalls eine Tätigkeit.
Fischer Verlage
Was paradox klingt, erläutert der Autor mit vielen Anekdoten, bei denen einen das Lachen im Hals stecken bleibt. Wer kennt sie nicht, die Spirale der Untätigkeit, wenn neu erworbene Dinge, die einem das Leben erleichtern sollen, so viel Aufmerksamkeit, Wartung und Reparatur erfordern, dass man im Endeffekt weniger Zeit zur Verfügung hat. Da wären zum Beispiel die berüchtigten "über 10.000 Dinge, die einen durchschnittlichen Haushalt vollmüllen". Björn Kerns mehrseitige Aufzählung jener Dinge, die klemmen und quietschen, tropfen und brechen, die hinter das Sofa rutschen und wieder hervorgeangelt werden wollen, im Winter spröde werden und im Sommer schnell austrockenen, lösen mannigfaltige Assoziationen aus und bringen einen unweigerlich zum Nachdenken, wieviel unnötige Sachen sich im eigenen trauten Heim hinter Kastentüren verbergen. Außerdem zeigt uns Björn Kern, wie man mit Nichtstun Geld verdient. Denn während er auf seiner kleinen Bank unter dem Apfelbaum sitzt, spart er sich die Taxifahrt zum Flughafen, den Flug ans Meer, sowie die Hotelkosten. Und da kommt schon was zusammen. Schöner Nebeneffekt: Durchs Nichtstun verringert sich der ökologische Fußabdruck ganz von alleine.
Der Autor stellt nicht sich in seiner Schrift jedoch nicht über Andere. Er demaskiert die Fallen unserer westlichen Konsumgesellschaft, indem er beschreibt, wie er selbst mit seinem naiven Aussteigerwillen immer wieder hineintritt. Die Folge ist ein unerbittlicher und gleichzeitig komischer Kampf für die eigene Freiheit, der beinahe sein Familienleben zerstört. Hilfe bietet ihm manchmal sein märkischer Nachbar im Oderbruch, indem er ihm die "richtige Einstellung" vorlebt. Da wird bei einem handwerklichen Missgeschick nicht etwa in die Notaufnahme gefahren, sondern die Haltung vertreten: "Wird schon rauseitern."
Björn Kern ist es gelungen, lebensphilosophische Betrachtungen, charmante Selbstironie mit gnadenloser Konsumkritik und provokativen Hypothesen zu einem unheimlichen Lesevergnügen zu verbinden.
Es ist nicht gut für die Wirtschaft, nichts zu produzieren und nichts zu kaufen. Das hat man mir auch beigebracht. Doch einfacher, als mit genesener Wirtschaft den Menschen zu schaden, wäre es vielleicht, mit geschädigter Wirtschaft als Mensch zu genesen. Das geht am einfachsten, indem man gar nichts tut.
"Das Beste, was wir tun können, ist nichts" kann uns darüber hinaus dazu bringen darüber nachzudenken, was uns wirklich glücklich macht. Die Antwort dazu liefert unsere innere Stimme, die wir bei aller Geschäftigkeit und Leistungsoptimierung nicht mehr wahrnehmen. Um sie wieder hören zu können, müssen wir nur eines tun, nämlich nichts.