Erstellt am: 25. 4. 2016 - 13:49 Uhr
Fährverkehr
Kuşadası an der türkische Küste, es ist acht Uhr morgens. Zuerst noch ein Frühstück im Hotel, dann ins Ticketbüro und Check-in für die Fähre auf die griechische Insel Samos. Gegen Vorlage meines EU-Passes wird das vorbestellte Ticket ausgedruckt. Der Preis für die Überfahrt, die etwas mehr als eine Stunde dauert, beträgt 35 Euro. Das ist der Vollpreis. Kinder bis zwölf zahlen die Hälfte, für kleine Kinder bis sechs ist die Fahrt gratis.
FM4 / Michael Bonvalot
FM4 / Michael Bonvalot
Genau hier, am Küstenabschnitt bei Kuşadası, liegen das türkische Festland und die griechischen Inseln am nächsten zueinander. Am engsten Abschnitt sind es gerade 2,5 Kilometer bis nach Samos. Dieser Bereich darf allerdings nicht befahren werden, die türkische Küste ist an dieser Engstelle militärisches Sperrgebiet.
Die Fähre muss also einen Umweg in Kauf nehmen. Das ist vielleicht auch ganz gut so, denn die Strömung an der Engstelle ist extrem stark und kann auch für größere Boote zum Problem werden. Das wird mir später ein Mitglied der schwedischen "Sea Rescue Society" erklären. Gemeinsam mit einigen seiner Kollegen ist er als Freiwilliger hierher nach Samos gekommen und versucht, Leben zu retten.
Nach dem Kauf des Tickets geht es weiter zur Hafenmole. Palmen sorgen für Urlaubsstimmung, darunter stehen überall Polizeiwagen. Ticket und Pass werden am Eingang zur Mole genau kontrolliert. Insgesamt sind es bis zum Betreten des Bootes sieben Kontrollpunkte, die zu passieren sind. Ohne den richtigen Pass oder ein Visum für die EU scheint es kaum möglich, auf das Boot zu gelangen.
FM4 / Michael Bonvalot
Im Hafengebäude sind viele nette kleine Kaffeehäuser und Geschäfte. Durch die schmalen Gänge schlendern in der Hochsaison jeden Tag Tausende TouristInnen, die mit dem Schiff in Kuşadası ankommen oder das Städtchen wieder verlassen. Wie praktisch, noch einige Kleinigkeiten und Souvenirs mitnehmen zu können. Flüchtlinge trennen sich vor der Fahrt in kleinen Schlauchbooten oft von den letzten Habseligkeiten, um die Boote leichter zu machen.
Es ist kurz vor neun Uhr, ich betrete die Fähre. Es ist ein geräumiges Boot, Sitzplätze gibt es für rund 250 Personen, Platz wäre sicher für die doppelte Anzahl von Menschen. Doch das Boot fährt heute fast leer, es sind gerade einmal 15 bis 20 Passagiere an Bord. Es ist angenehm, wenn das Boot so geräumig ist.
FM4 / Michael Bonvalot
FM4 / Michael Bonvalot
Überall an den Wänden sind Sicherheitshinweise angebracht. Was tun, wenn jemand über Bord geht, was bedeuten die verschiedenen Alarm-Signale, besondere Vorsicht im Außenbereich des Bootes bei stürmischem Wetter. Sicherheit wird hier groß geschrieben.
Unter den Sitzen liegen Schwimmwesten bereit, an der Reling hängen zusätzlich überall Rettungsringe. Flüchtlinge bekommen vor der Abfahrt in der Türkei immer wieder gefälschte Rettungswesten verkauft, die sich mit Wasser vollsaugen. Als ich selbst wenige Tage zuvor in der nahe gelegenen Millionenstadt Izmir Geschäfte photographieren wollte, die Westen, Motoren und Boote verkauften, wurde ich sofort von einem Verkäufer bedroht.
Auf der Fähre werden Tee und kalte Getränke verkauft. Die Atmosphäre an Bord ist fröhlich, die gut gekleideten Menschen freuen sich über den Trip. Auch die Überfahrt ist ruhig. Dennoch wird mir erst hier, auf der Hälfte des Weges, bewusst, wie fern die Insel Samos dann doch ist, wie hoch die Wellen sich türmen können, wie stark der Wind bläst. Einige Hundert Meter entfernt passiert uns ein Rettungsschiff einer Freiwilligen-Organisation. Es fährt in die entgegengesetzte Richtung, sein Ziel verliert sich hinter dem Horizont.
Schließlich fährt das Boot in die Bucht der Insel-Hauptstadt Samos ein. Die Häuser drücken sich die Hügel entlang nach oben, der Hafen strahlt im Licht der Morgensonne – fast das Klischee von Griechenland. Im Hafen liegen zwei Boote der deutschen Küstenwache aus Rostock, daneben an der Uferstraße steht ein rumänischer Polizei-Jeep.
Ich verlasse das Boot, beim Checkpoint der Grenzpolizei gehe ich zum Schalter EU und betrete danach das Territorium der Europäischen Union. Als erstes geht es auf einen Café frappé, neben Ouzo das heimliche griechische Nationalgetränk. Neben mir sitzt ein Flüchtling aus Syrien. Wir kommen ins Gespräch. Er erzählt, dass er auf der Überfahrt mit dem Schlauchboot mehrere Angehörige verloren hat.
Der Hafen ist blitzblank gereinigt. Überall wird gewerkt und neu gestrichen. Die Einheimischen bereiten sich auf die Touristen-Saison vor. Etwas weiter entlang der Küstenstraße liegen verstreut durchnässte Kleidungsstücke und Rettungswesten. Die Menschen, denen sie gehörten, haben die Überfahrt offenbar überlebt. Viele andere haben es nicht geschafft.
Allein an diesem Abschnitt der Küste zwischen der Türkei und den griechischen Inseln Samos, Chios und Lesbos sind mehrere Tausend Menschen ertrunken. Die Strömung treibt viele der überfüllten kleinen Boote auf die Nordost-Küste von Samos zu.
Die schwedischen Helfer nennen die schroffen Felsen von Samos die "Küste des Todes". Für die Überfahrt müssen Menschen auf der Flucht aktuell bis zu 1.000 Dollar bezahlen. Von Ermäßigungen für Kinder ist nichts bekannt.