Erstellt am: 24. 4. 2016 - 09:15 Uhr
Flimmern
Ist Kunst von Damien Hirst schlecht für unser körperliches Wohlbefinden?
Damien Hirst ist ein britischer Künstler, der sehr lange schon preistechnisch gesehen in der Oberliga spielt.
In der Redaktion spekulieren Boris Jordan und ich, ob er oder Jeff Koons der reichste zeitgenössische Künstler ist, Christian Rosa ist noch außer Konkurrenz. Damien Hirst, dessen Objekte man nachgebaut in chinesischen Ramschläden kaufen kann, während Jeff Koons seine Objekte dort findet, wurde in den 90er Jahren berühmt durch seine in Formaldehyd eingelegten Tiere.
APA/AFP/VALERY HACHE
Mit einem eingelegten Hai hat er ein Symbol für die Young British Artists oder Britart geschaffen, der von Kunstsammler Charles Saatchi geförderten und in den 90ern dominanten Kunstbewegung. Der Marketing-Professor Don Thompson hat es mit seinem Buch "The $12 Million Stuffed Shark“ zu einem Symbol für den absurden modernen Kunstmarkt gemacht. All das ist aber nicht annähernd so bizarr wie die Shark Episode von Led Zeppelin, die auch von Frank Zappa besungen wurde.
Wie dem auch sei, neben dem Namen Damien Hirst steht oft das Adjektiv kontroversiell, absolut lächerlich hat mensch die Led-Zep-Shark-Anekdote gelesen. Kontroversiell, weil es möglicherweise Menschen stört, dass Lebewesen konserviert in Museen ausgestellt werden, obwohl, das kann es nicht sein, ist es doch schließlich Prinzip jeder naturwissenschaftlichen Schau, und in jedem China-Laden gibt es Schlüsselanhänger mit in Kunstharz eingegossenen Insekten als überzeugenden Beweis der grausamen Dummheit der Spezies Mensch. Vielleicht weil die Hirst-Tiere in der Mitte durchgeschnitten sind?
Vielleicht ist es, dass Hirst-Werke eine Praxis des Umgangs mit Lebewesen in Frage stellen und viele auch nicht so glücklich sind, in Grundlagen ihrer Existenz in Frage gestellt zu werden. Kuh essen gut, Kuh durchgeschnitten in der Kunstgalerie dekadent und amoralisch. Vielleicht ist es auch einfach die Frage, wie kann etwas, dessen Sinn ich persönlich nicht verstehe, Kunst sein?
Auch ein Problem ist, dass Hirst sich mit Formaldehyd-Lösungen nicht auskennt und der erste für 12 Millionen verkaufte Hai sich aufgelöst hat und Hirst auf richterliche Anordnung sein Kunstwerk für den erbosten Besitzer rekreieren musste.
Hirst meint übrigens, er ist von gehäuteten Heiligen und Märtyrern inspiriert, genauso wie Nitsch und Pascal Laugier, Regisseur des grausamen Films "Martyrs".
Wie dem auch sei. Wer Damien Hirsts konservierte Tierkadaver als abstoßend empfindet, kann sich nun auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen: Rund um die Kunstwerke des britischen Künstlers sind erhöhte Werte des krebserregenden Stoffs Formaldehyd gemessen worden. An den Schaukästen einer Ausstellung in der Londoner Tate Gallery im Jahr 2012 seien Werte ermittelt worden, die deutlich über den gesetzlichen Grenzwerten lägen, heißt es in einer aktuellen Studie italienischer Forscher. Das Gas entweiche offenbar über die Dichtungen der mit Formaldehyd gefüllten Tanks. Akute Bedrohung für die Besucherinnen besteht nicht.
Apropos Tank.
Am 26. April 1986 wurde im Atomkraftwerk Tschernobyl ein vollständiger Stromausfall simuliert, der zu einem unkontrollierten Leistungsanstieg des Reaktors 4 und schließlich zu dessen Explosion führte. Ich war letztes Jahr in Tschernobyl. Jede und jeder kann dorthin, der 110 Dollar für den Tagesausflug in die Sperrzone zahlt.
natalie brunner
Dafür kriegt die Katastrophentouristin von Welt aber auch etwas geboten. Ich kann nicht wirklich sagen, was es ist, das Mensch geboten kriegt, Inszenierung, ein Themenpark, Ruinporn. Als fundierte Warnung, dass eine derartige Apokalypse sich nicht wiederholen darf, habe ich es nicht empfunden. Zu sorgfältig war der Weg mit drapierten, zerbrochenen Puppen und zerfledderten Büchern und gestürzten Lenin-Statuen gepflastert.
Sehr beeindruckt haben mich meine Mitreisenden. Ein finnisches Paar um die 40, ich schätze sie als 24/7 Counterstrikespielerinnen ein, ist in voller Kampfmontur erschienen. Auf dem einstündigen Weg von Kiev in die Sperrzone wurde einem bereits im Minibus ein Unterhaltungsprogramm geboten, das den unmöglichen dialektischen Brückenschlag zwischen pädagogischer Antiatomaufklärung und apokalyptischen Cheap Thrills versuchte. Nach dem gefühlt zwanzigsten Video einer ukrainischen Metal-Band, die den verlassenen Vergnügungspark von Prypjat gewählt hat, beruhigte sich mein Fluchtimpuls.
Zu den Highlights des Besuchs zählten für mich die um Futter bettelnden Fische im Kühlteich des Reaktors, in dem seit der Katastrophe offiziell nicht mehr gefischt wird. Zwei-Meter-Welse und andere ziemlich große Kiemen-Blinkies kamen, um Brötchen zu essen. Mich überfiel sofort der Gedanke, der mich im Jahrzehnte verlassenen Kindergarten und der Schule, wo die Objekte sehr sorgfältig arrangiert dystopisch herumlagen, nicht überkam: Was zur Hölle mache ich hier?
natalie brunner
Diese Frage stellen sich auch viele Schutzsuchende, die feststellen müssen, dass Europa seine Grundwerte bei Bedarf sehr schnell vergessen, umgehen oder einzäunen kann.
Der Aktivist und Künstler Sam Briddles hat im Jänner dieses Jahres die Flag for No Nation mit einem detaillierten Text vorgestellt. Die Fahne ist eine Isolierdecke, auch Spaceblanket genannt. Diese aus der Weltraumtechnologie stammende silber-goldene Decke, hat meine Mutter früher verwendet, um mir mein Wunschkostüm „Vampirprinzessin aus dem Weltraum" zu basteln. Sie wird Verletzten bei Autounfällen umgelegt und auch den lebendig in Europa angekommen Flüchtlingen.
APA/AFP/ARIS MESSINIS
Letzten Sommer war der Strand von Lesbos übersät mit Spaceblankets und so entstand die Flag for No Nation. Letzte Woche hat sie der Bürgermeister von Palermo Leoluca neben der italienischen und der sizilianischen Flagge am Rathaus aufgezogen. Solche moralischen und menschlichen Gesten der Solidarität machen Politiker zu Menschen und umgekehrt. Spaceblankets statt Stacheldraht!