Erstellt am: 23. 4. 2016 - 13:34 Uhr
Wirre Wohngemeinschaften
Auch wenn der Originalfilm jetzt nicht unbedingt zu meinen religiös verehrten Streifen gehört, bin ich doch bester Dinge, was das „Ghostbusters“-Reboot in der weiblichen Variante betrifft. Bevor die grundsätzlich grandiose Melissa McCarthy darin an der Seite von Kristen Wiig auf Gespensterjagd geht, inszeniert von ihrem Stammregisseur Paul Feig, kommt sie jetzt in einem derben Klamaukstreifen ihres Ehemanns Ben Falcone in unsere Kinos.
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„The Boss“ präsentiert die Brachialkomödiantin als self-made-Millionärin wie aus dem Karriere-Bilderbuch. Michelle Darnell, auf Platz 47 der reichsten Frauen Amerikas, aufgewachsen in diversen Waisenhäusern, verspeist ihre Konkurrenten zum Powerlunch, geht auch privat über Leichen und vermarktet ihr asoziales Verhalten in Ratgeberbüchern. Als die rücksichtslose Geschäftsfrau aber wegen einem Aktienskandal ins Gefängnis kommt, droht ihr der bodenlose Fall ins Karriere-Abseits.
Tatsächlich hat Darnell einige Monate später das gesamte Vermögen an Banken verloren und bettelt bei ihrer ehemaligen, alleinerziehenden Assistentin (Kristen Bell) um einen Schlafplatz. Die Finanzjongleurin benimmt sich in der neuen Wohngemeinschaft zwar grenzenlos daneben, bindet ihre Ersatzfamilie aber gewinnbringend in eine neue Geschäftsidee ein. Erst ein finsterer Konkurrent (Peter Dinklage aus „Game Of Thrones“) droht die seltsame Idylle zu zerstören.
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Lahme Sitcom mit grotesken Momenten
Man ahnt den Ausgang dieser Geschichte schon am Anfang. Schließlich sind selbst die absurdesten US-Komödien immer auch moralische Parabeln, die von Vergebung und Erlösung handeln. Bevor Michelle Darnell aber möglicherweise zu einem besseren Menschen wird, muss man noch durch diesen Film durch, der ununterbrochen Obszönitäten und Sentimentalitäten, Schmutz und Schmalz aufeinanderprallen lässt. Selbst wenn dieser Mix in anderen Filmen von Melissa McCarthy prächtig funktioniert, man denke nur an das Meisterwerk „Bridesmaids“, hier nervt er bald gewaltig.
Klar, es tut gut, die Hauptdarstellerin einmal nicht als proletarische Außenseiterin im White-Trash-Outfit zu sehen, sondern in einer ganz und gar konträren Rolle. Und dass hier zentrale Rollen von Frauen sämtlicher Altersstufen gespielt werden, ist im Bubengenre der zotigen Blödelei auch positiv zu vermerken. Leider fügt sich „The Boss“, der stilistisch oft wie eine lahme Sitcom daherkommt, aber in die zunehmend enttäuschende Filmografie von Melissa McCarthy nahtlos ein.
Es braucht anscheinend Regisseure wie Paul Feig oder Judd Apatow, um die komödiantische Urgewalt dieser Frau auf der Leinwand zu bündeln. Die paar herrlich grotesken Momente die "The Boss" zu bieten hat, reichen nicht um einen Kinobesuch anzuraten, man kann sie allesamt auch im Trailer sehen.
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Tragikomischer Ausflug in die 70er
Wirklich empfehlen kann man aber den neuen Film des eher unberechenbaren Dänen Thomas Vinterberg, der seine Karriere mit grobkörnigem Dogma-Realismus startete und immer wieder auch in bewusst artifizielle Bereiche abtauchte. Nach dem kontroversiellen und Oscar-nominierten "Jagten" ("Die Jagd") und einem Zwischendurch-Ausflug nach Hollywood ("Far from the Madding Crowd“) kehrt der Regisseur in gewisser Weise zu seinen Wurzeln und dysfunktionalen Familien zurück.
Im Gegensatz zu dem verstörenden Drama "Festen" (Das Fest), mit dem er Ende der 90er für Aufsehen sorgte, kommt Vinterbergs neuer Ensemblestreifen aber in einem milderen Tonfall daher. In "Kollektivet"("Die Kommune") lässt er auf tragikomische Weise die experimentierfreudigen frühen 70er Jahre in seiner Heimatstadt Kopenhagen aufleben.
Dabei erinnert der Beginn beinahe an die inflationären Haunted-House-Thriller, die seit Jahren in Hollywood am Fließband produziert werden. Wir folgen einer Familie beim Erforschen ihres neuen Eigenheims, einer mysteriös wirkenden, alten Villa. Allerdings spukt kein Geist in dem leerstehenden Gebäude herum, die Probleme mit denen sich dieser Film beschäftigt, sind überaus weltlicher Natur.
Erik (Ulrich Thomsen), ein erfolgreicher Architekt, hat das riesige Anwesen geerbt, gewaltige Schulden inklusive. Seine Frau Anna, eine bekannte Nachrichten-Sprecherin (Trine Dyrholm), überredet ihren Ehemann spontan, den Besitz mit anderen Bewohnern zu teilen, infiziert von der Aufbruchsstimmung der Ära, aber auch weil die Ehe an einem Punkt der Stagnation angelangt scheint. Erik willigt zunächst grantelnd ein, bald sind das reifere Paar und seine junge Tochter Freja Teil einer Kommune, wie es sie damals in Dänemark vielfach gegeben hat.
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Naive und zugleich erfrischende Wohn-Utopie
Das mag jetzt auf den ersten Blick fad klingen, aber man sollte sich keine Drogenexzesse oder Sexorgien im Gemeinschafts-Schlafraum von diesem Film erwarten. Anstatt Hippie-Klischees zu bedienen, zeigt „Die Kommune“ einen bürgerlichen Feldversuch mit Menschen, die das WG-Alter großteils überschritten haben. Neben der 14-jährigen Freja lebt nur noch ein kleiner Bub unter all den sich befreit gebenden Erwachsenen, der an einer unheilbaren Krankheit leidet.
Thomas Vinterberg bietet zugegeben auf visueller Ebene keine neuen Ansätze, die typischen Erdfarben dominieren, die anscheinen zu jedem 70ies-period-piece gehören. Aber er nimmt die aus heutiger Perspektive naiven und zugleich erfrischenden Träume der Kommunarden ernst, schildert bisweilen satirisch, meist aber liebevoll den Alltag hinter der Wohn-Utopie, zum Teil inspiriert von seinen eigenen Erfahrungen als Kind in einem solchen Haus. Vor allem gibt er seinen großartigen Schauspielern, angeführt von den skandinavischen Stars Ulrich Thomsen und Trine Dyrholm, jede Menge Raum.
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Spätestens als Erik eine Affäre mit einer Studentin beginnt und Anna in einem Anfall von Toleranz die junge Frau in die Wohngemeinschaft einlädt, scheint das bittere Ende vorbestimmt. An Eifersucht, Missgunst und stereotypen Geschlecherrollen sind große politische Programme schon ebenso gescheitert wie kleine Sozialidyllen. „Die Kommune“ erspart sich aber simples 68er-Bashing, setzt statt Gehässigkeit auf Ambivalenz. Ein komischer und zugleich melancholischer Blick auf die Antithese zur neoliberalen Individualisierung, stellenweise nostalgisch, öfter desillusioniert, auf jeden Fall sehenswert.