Erstellt am: 23. 4. 2016 - 12:22 Uhr
"Achtung Berlin"
In Berlin findet ja alle naslang irgendein Filmfestival statt, das größte darunter ist die Berlinale im Februar. Aber auch das arabische Filmfestival Alfilm, das jüdische, polnische, russische, französische, türkische Filmfestival sind in Berlin zu Hause. „Asianfilm“ heißt das asiatische Filmfestival, „Berlin Feminist Film Week“ das feministische, das australische nennt sich „Down Under Berlin“. Es gibt das „Fantasy Filmfest“, die „“Cinebrasil“, die „Afrikamera“, das „Fußballfilmfestival“, das „Studierendenfilmfestival“, ein „Porn Film Festival“ und viele mehr.
Achtung Berlin
Das regionalste aller Filmfestivals nennt sich „Achtung Berlin – new berlin film award“ und fand vom 13.- 20. April natürlich in Berlin statt. Bei „Achtung Berlin“ wurden eine Woche lang in verschiedenen Berliner Kinos neue deutsche Filme aus Berlin und dem angrenzenden Bundesland Brandenburg gezeigt. Das Programm versammelte große Spielfilm- Produktionen mit prominenten Schauspielern neben No- und Low- Budget Filmen. Gezeigt wurden Dokumentarfilme mit Lokalkolorit, der vom Untergang bedrohte „Mittellange Film“ bekam seinen eigenen Wettbewerb.
Und natürlich gibt es kein Filmfestival ohne Branchentagungen, Filmgespräche und anschließende Partys in den Berliner Clubs.
Sehr viel Unterschiedliches konnte man in dieser Woche sehen, etwa „Back to nothing“, einen denkwürdigen, etwas wirren Film über einen am Leben zerbrochenen Apokalyptiker, der mit einer Gruppe urbaner Nomaden auf der Flucht vor den Abrissbaggern durch die Stadtbrachen zieht. Weil seine Frau nur noch im Drogenrausch deliriert, verliert die Hauptfigur vollends den Verstand und beginnt mit Leichenteilen zu handeln. Man könnte den Film mit einigem Wohlwollen als eine interessante Mischung aus Grauen und Komik verstehen, mit dabei waren immerhin so bekannte Leute wie der Sänger Rummelsnuff, Meret Becker und Biro Ünel.
Miron Zownir
Die Premiere war leider nicht gut besucht, der Regisseur stand leicht bedröppelt vor dem roten Vorhang des Babylon, die Mitwirkenden waren verschwunden und so wollte auch das berühmte „Q and A“ nicht so Recht in die Gänge kommen.
Der Wolf in mir
„Wild“ von Nicolette Krebitz war in der Sektion Wettbewerb zu sehen und startete gleichzeitig in den Berliner Kinos. Es geht um eine junge Frau, die ein recht trostloses Leben in der ostdeutschen Stadt Halle führt. Alles ändert sich, als sie auf einer Brachfläche nahe ihrer Plattenbausiedlung einem Wolf begegnet. Es ist Liebe auf den ersten Blick, der Wolf wird betäubt, gefangen, in die Wohnung gebracht, gefüttert und gezähmt, während die Frau gleichzeitg immer mehr verwildert.
Der Film wurde von der Kritik hoch gelobt. Auffällig ist, dass Schauspielerin Lilith Stangenberg auch beim Koten auf den Schreibtisch und beim Brackwasser trinken nach Wolfsart immer noch aussieht wie der Diesel Street-Style Werbung entsprungen.
Ein anderer Wolff
Uli Holz
Unumstrittener Publikumsliebling des Festivals war Willy Wolff, Protagonist des Dokumentarfilms „Rabbi Wolff“. Der Film zeigt den Alltag des beinahe 90 jährigen Willy Wolff. Als Rabbiner der jüdischen Gemeinde Schwerins pendelt er zwischen Schwerin, Rostock und Greifswald, besucht Verwandte in Israel und entgiftet seinen Körper auf einer Kur in Bad Pyrmont. Am liebsten zieht sich der Rabbiner aber in sein Haus in England zurück - auch in seinem gesegneten Alter nimmt er alle zwei Wochen den Hin- und Rückweg zwischen Mecklenburg und England auf sich.
Als Jude im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges in Berlin geboren, floh Willy Wolff als Kind mit seiner Familie zuerst in die Niederlande und später nach Großbritannien. Bereits als kleiner Junge hatte Willy zwei Berufswünsche: Journalist und Rabbiner. Beide konnte er sich erfüllen. Nachdem er sein ganzes Berufsleben lang erfolgreich dem Journalismus unter anderem beim “Daily Mirror” gewidmet hatte, beschloss Willy mit beinahe 70 Jahren, noch einmal umzuschulen: Er will Rabbiner werden.
Flüchtlingsrecherchen
Letzten Sonntag wurden im Babylon Kino dann die „Fluchtrecherchen“ präsentiert. Studierende der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und der Bauhaus Universität Weimar haben 2015 begonnen, in einem von Regisseur und Drehbuchautor Michael Klier initiierten und betreuten Episodenfilmprojekt die Flüchtlingsbewegungen in Europa aus verschiedenen Perspektiven filmisch einzufangen. Herausgekommen sind elf filmische Skizzen, zusammengefasst in der Dokumentation „Research Refugees - Fluchtrecherchen“ .
FilmemacherInnen aus acht Nationen kreierten in „Fluchtrecherchen“ ein Bild des Deutschen Herbstes, der nach dem deutschen Spätsommer of Love kam.
Ein Berliner Ort der Schande, das Lageso und die Arbeit der freiwilligen Helfer wird gezeigt. Von dort aus geht es bis zu den griechischen Inseln. Es sind Geschichten vom Ankommen in Europa, von der Weiterreise und dem langen Warten dazwischen. Auf Lesbos wird ein Imbisswagen zur improvisierten und dann heillos überlaufenen Akkuladestation, er zeigt die Hilflosigkeit der Geflüchteten, aber auch die der von den Aufladewünschen überforderten Inselbewohner.
Essayistische Filmbetrachtungen widmen sich der eigenen Biographie und dem Zufall, der aus Menschen Flüchtlinge macht und uns in Westeuropa Lebenden ein sicheres Leben in relativem Wohlstand garantiert. Fazit: Kriege und Flucht sind kein Zufall, wo und wann man geboren ist schon.
Kitschfalle
Manche Filme wollen zuviel, da wird in „Wegweiser“ von Laura Laabs die europäische Geschichte an den Grenzen von Österreich und Deutschland mit der jüdischen Familiengeschichte, der Flucht der Großeltern aus Breslau, verwoben. Auch Braunau, Hitlers Geburtshaus, Bayreuth und Wagner dürfen da nicht fehlen, ebenso ein Runengrenzstein im Norden Deutschlands. Und zum Schluss stehen dann noch drei Geflüchtete arg symbolisch in goldene Kältedecken gehüllt vor dem Zaun und warten, wie die Könige aus dem Morgenland, auf ein Zeichen.
Das Genre „Geflüchteten-Film“, läuft eben manchmal auch Gefahr zum Geflüchtetenkitsch zu werden. Das zeigt sich auch im Beitrag „Umut“: Eine muslimisch gekleidete Frau mit sonnenverbranntem Gesicht und aufgesprungenen Lippen treibt auf einer Europalette übers Meer und landet in einem idyllisch menschenverlassenen Olivenhain. Dann klettert sie minutenlang mit bloßen Füßen über die scharfkantigen Felsen, bevor die Reise an einem überfüllten Touristenstrand endet.
Viel Beifall bekam der Film „Meinungsaustausch“. Mit einfachen Mitteln erreichte man große Wirkung: Die O-Töne der berüchtigten besorgten Bürger mit ihren Ängsten , Vorurteilen und rassistischen Klischees wurden den betroffenen Geflüchteten in den Mund gelegt.
So unterschiedlicher Qualität die Kurzfilme auch sind, zeigten sie doch in ihrer schnellen Reaktion auf die sogenannte „Flüchtlingskrise“ ein vielschichtiges Panorama der ganz nahen Vergangenheit.