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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

21. 4. 2016 - 16:23

The Ballad of Sadiq and Zac

Im Kampf gegen einen moslemischen Bürgermeister-Kandidaten klimpern die Londoner Konservativen auf Klavier der Phobien. Und greifen dabei gründlich in den Gatsch.

Lassen wir einmal die Geburtstage beiseite, reden wir stattdessen darüber, was in zwei Wochen passiert.

Genau, es gibt ja noch die andere Wahl am 5. Mai, hier bisher nur Anfang des Jahres einmal erwähnt.

Der Londoner Bürgermeisterposten ist frei, jetzt wo Boris Johnson anderweitig Karriere machen will.

Nur zwei Kandidaten haben eine Chance gewählt zu werden, und zwar der Öko-Konservative Zac Goldsmith, Sohn des exzentrischen Milliardärs Sir James Goldsmith, und Sadiq Khan, Sohn eines zum Geschäftsbesitzer aufgestiegenen Busfahrers.

Bis vor Beginn des Wahlkampfs galt Goldsmith als Kuschel-Tory, der heimliche Liebling grün-gesinnter Middle-Class-sonst-Labour-Sympathisant_innen.

Mangels Street Cred (sprich Ahnung vom Alltag der Plebejer_innen) hatte er aber von Anfang an keine besonders großen Chancen gegen den in der Disziplin Schnellreden herausragenden, sonst aber eher unauffällig in der Mitte der Labour-Straße reisenden Khan.

Nun hat sich, wie ich in oben verlinktem Text vom Jahresanfang ja schon anklingen hatte lassen, seither das Unvermeidliche angekündigt: Richtig, Khan ist Moslem. Da muss sich was machen lassen, dachte sich Team Goldsmith und griff ganz, ganz tief in den Kübel, pfeif auf die Manschetten.

Es begann damit, dass Goldsmith Khan „radikal“ nannte und von „Extremisten“ in der Labour Party sprach. Nicht, dass er selbst einer wär, das lässt sich Khan nun wirklich nicht nachsagen, aber für ein bisschen diffuse Stimmungsmusik reichte es, den Namen des Kandidaten in der Nähe dieser Worte zu platzieren.

Nun richtet sich dieser Text hier ja an ein Publikum in Österreich, wo Generalverdacht gegen eine Person aufgrund ihrer Herkunft auch in ehemals linksliberalen Kreisen wieder so salonfähig geworden ist, dass sowas niemand weiter aufregen wird.

In London aber, wo über 12% der Bevölkerung (also doppelt soviel wie in Österreich) moslemischen Glaubens sind, könnte man sich aber nicht leisten, einen liberalen Moslem (Khan unterstützt zum Beispiel „equal marriage“, nennt sich Feminist, verspricht, in London die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern zu schließen) einfach wegen seines Glaubens für unwählbar zu erklären. Hätte ich gedacht.

Sadiq Khans Unterstützungserklärung für #wearetheblackcap

Robert Rotifer

Unterstützungserklärung Sadiq Khans auf dem verbarrikadierten Fenster des unter kontroversen Umständen geschlossenen, legendären Gay Pubs 'The Black Cap' an der Camden High Street

Dann aber kamen die Flugblätter, in denen Team Goldsmith offensiv versuchte, das „ethnische“ Wahlvolk zu spalten.

Zum Beispiel, indem man Londoner_innen mit indischen und tamilischen Nachnamen Flugblätter schickte, die Khan unter anderem unterstellten, eine Steuer auf Familienjuwelen zu planen – eine besonders kühne Kombo aus Klimpern am Klavier der Phobien und Stereotypisierung der Leute, die man anwirbt (Hinduismus versus Islam, verbunden mit dem Klischee, dass indische Omas ihr Erbe in Schmuckform weitergeben).

Und dann mischte sich gestern im Unterhaus der Chef persönlich ein: David Cameron warf Khan vor, dass er mit einem Extremisten namens Suliman Gani, der Islamic State unterstützt, neun Mal „eine Plattform geteilt“ habe.

„Rassist“, klangen die Rufe von der Labour-Seite.

Passiert auch nicht jeden Tag.

„Ich glaube, die versuchen mich niederzubrüllen, weil sie diesen Punkt nicht hören wollen“, feixte Cameron zurück.

Nun ja: Der „Extremist“ Suliman Gani ist, wie sich herausstellt, der örtliche Imam in Tooting, dem Süd-Londoner Wahlkreis Sadiq Khans.

Gani forderte Cameron gestern auf, sein Statement außerhalb des Unterhauses zu wiederholen, damit er ihn wegen Diffamierung verklagen könne.

Ich will mich aber hier gar nicht erst damit aufhalten zu erklären, warum es ein Unterschied ist, ob Gani sich für islamische Staatsformen (mir definitiv auch nicht sympathisch) ausgesprochen hat oder Islamic State unterstützt (was er nicht tut).

Fakt ist, dass Khan als Parlamentarier natürlich bei Diskussionsveranstaltungen aufgetreten ist, wo der Imam als eine der einflussreichen Figuren des Wahlkreises mit dabei war.

Das allein kann aber selbst unter Konservativen noch nicht als verdächtig gelten, schließlich hat etwa auch die konservative Gesundheitsstaatssekretärin Jane Ellison schon mit ebendemselben Suliman Gani eine Plattform geteilt.

Ja, noch besser, es stellt sich heraus, dass sich der Imam bei den letzten Unterhauswahlen gegen Sadiq Khan und für den konservativen Kandidaten Dan Watkins aussprach, weil Khan für die gleichgeschlechtliche Ehe eintrat.

Unpassend, aber wahr: Der „Extremist“ ist ein Tory.

Es gibt sogar einen enthusiastischen Tweet von Watkins von einer Veranstaltung des Conservative Muslim Forum letzten November, wo er selbst GEMEINSAM MIT ZAC GOLDSMITH im Beisein Suliman Ganis auftrat (lässt sich alles auf dem Blog von Faisal Islam, dem Politikredakteur jener berüchtigten islamistischen Plattform.

Dass Cameron Khan als Draufgabe auch noch vorwarf, mit allerlei anderen schlimmen Fingern zu sympathisieren, weil er sie in seinem Brotberuf als Menschenrechtsanwalt verteten hat, war schließlich auch einem eingefleischten Charakter-Tory wie dem Journalisten Peter Oborne zu viel.

Er schrieb einen Blog (warum eigentlich für die Plattform „Middle East Eye“, wo es doch um London geht, ist eine andere Frage), in dem er den Wahlkampf Goldsmiths mit dem des Torys Peter Griffiths im Jahre 1964 vergleicht, der damals mit den Slogan "If you want a nigger for a neighbour, vote Labour" einen Wahlsieg in Smethwick in den Midlands einfuhr.

Oborne, von derlei Dingen ernsthaft angeekelt, kündigt an, aus Protest zum ersten Mal in seinem Leben den Labour-Kandidaten zu wählen.

„Wenn Goldsmiths Kampagne gewinnt“, schreibt Oborne, „dann sagt das allen britischen Muslimen, dass es im britischen demokratischen System nirgendwo eine Rolle für sie gibt.“

Das stimmt allerdings.
Die wahren Extremist_innen werden sich bedanken.