Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Trust your Technolust"

Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

24. 4. 2016 - 11:50

Trust your Technolust

Im Cyberpunk-Adventure Technolust treffen die Ideen aus "Neuromancer" auf die Ästhetik von "Bladerunner". Gespielt wird es tatsächlich in Virtual Reality, nämlich mit dem Oculus Rift.

Science Fiction als Genre der Literatur und des Films hat mittlerweile viele Facetten. An den beiden popkulturell wohl entgegengesetzten Polen stehen einerseits die Space Opera (also z.B. die "Star Wars"-Filme oder Ian Banks' "Culture"-Romane) und andererseits das Cyberpunk-Genre. Für zweiteres typisch ist das Szenario einer von mächtigen Konzernen beherrschten Welt, in der Hacker eine virtuelle Welt nützen, um gegen das autoritäre System zu rebellieren.

Iris VR

Die virtuelle Realität wird im 1984 erschienenen Roman "Neuromancer" als "Cyberspace" und "Matrix" bezeichnet - letztere Bezeichnung inspirierte 1999 auch den gleichnamigen Kinofilm. In "Snowcrash" heißt die virtuelle Welt "Metaverse". Jetzt im April des Jahres 2016 ist mit Technolust also ein Videospiel erschienen, das tatsächlich mittels eines VR-Headsets rezipiert wird.

Iris VR

Das Game beginnt in einer Matrix-artigen, schwarz-grünen Umgebung, in der man sich als Hacker herumtreibt, um der mächtigen Orion Corporation Software zu entwenden. Orion ist in "Technolust" das Sinnbild für Bestechung und Korruption, für das rigide Copyright-Regime und den außer Kontrolle geratenen Polizeistaat. Der Konzern hat unter anderem durchgesetzt, dass die Pläne für elektronische Geräte aller Art einem strengen Patent- und Urheberrecht unterliegen und die private Benutzung von 3D-Druckern quasi illegal ist.

Nach dem Intro in der Matrix geht es in einem Apartment weiter. Ich schaue aus dem Fenster: Gigantische Wolkenkratzer erheben sich in den Himmel, Neonlichter strahlen in allen Farben. Auf riesigen Bildschirmen ist die Werbung der Mega-Corporations zu sehen. Fliegende Autos rasen durch die Luft. Ich drehe mich um. In der Wohnung herrscht Unordnung: Modernstes Computerequipment liegt neben einer alten Atari-Spielkonsole und einem Röhrenfernseher.

Iris VR

Die Toaster der Zukunft haben ein Tastenfeld und können sprechen: Was "Technolust" großartig gelingt, ist die Verbindung aus alt und neu. Tastaturen sehen immer auch ein bisschen nach Registrierkassen oder Homecomputern der achtziger Jahre aus. Der befreundete Hacker, der mit uns per Video kommuniziert, erinnert an Max Headroom. Viel Zeit für Gespräche ist allerdings nicht, wir müssen aus der Wohnung fliehen. Die faschistischen Handlanger des Polizeistaats haben bemerkt, dass wir bösartige Software des Orion-Konzerns entdeckt haben – ein Computervirus, das die Gehirne widerspenstiger Hacker befällt. Wie in "Neuromancer", "Snowcrash" und anderen Cyberpunk-Settings geht man immer wieder zurück in die virtuelle Parallelwelt, um Sicherheitssysteme zu knacken und Daten zu stehlen.

Iris VR

"Technolust" gelingen mehrere wahnwitzige Gratwanderungen: Es ist zwischen herkömmlichem Videospiel und zukunftsweisendem VR-Erlebnis angesiedelt, es spielt gleichzeitig mit Sci-Fi-Avantgarde und Retrofuturismus - da fragt ein Computerterminal schon auch mal wie im Kinofilm War Games: "Shall we play a game?". Auch die Musik des Producers Crushfield macht einen Spagat, wenn sich DX7-Bässe mit Dubstep-Wobbles vermischen. Dort, wo im Spiel die Musik ertönt, steht oft eine Boombox mit Kassettendeck herum, die zugehörigen Tapes kann man aufsammeln. Man streift auf den Straßen der Megacity umher und wähnt sich in William Gibsons Sprawl-Megacity oder dem düsteren Los Angeles aus Bladerunner. Androiden verkaufen Ramen oder bieten ihre Körper an. Englische und chinesische Neonreklame leuchtet grell, in den U-Bahn-Tunnels sucht man nach Elektronikbauteilen, in den Hochhäusern trifft man befreundete Hacker.

Iris VR

Das Spiel hat keine komplizierten Rätsel, die zu lösen sind, aber es hat Minigames: In einer Arcade stehen Spielautomaten herum, mit denen man in die Virtual-Reality-Versionen diverser Games aus den achtziger Jahren gerät - von "Space Invaders" bis "Tetris". Diese Versionen aber spielen sich in gigantischer Größe rund um dich ab – und wollen zum Teil gelöst werden, um die Handlung voranzubringen. Auch wenn man das Abenteuer zu Ende gespielt hat, behalten die fünf Minigames ihren Reiz.

Iris VR

Technolust ist nicht besonders lang – man kann es an zwei bis drei Abenden durchspielen. Es ist aber eines der seltenen Adventure-Games, die ich nach dem Ende noch einmal von vorne gestartet habe. Viele der subtilen Hinweise und Anspielungen fallen mir erst jetzt beim zweiten Mal auf. Das per Crowdfunding auf Kickstarter finanzierte Indiegame ist eines der aktuell beeindruckendsten Beispiele für die neue Virtual-Reality-Technologie. Beim Tragen eines Oculus Rift erscheint das Spiel rund um dich in den Größenverhältnissen der physischen Welt. Es gibt keinen Bildschirm mehr, du bist mitten drin. Davon haben viele beim Lesen von "Ready Player One" geträumt. Der kanadische Gamedesigner Blair Renaud hat das Spiel fast im Alleingang designt - die Kürze des Spiels sei ihm also verziehen. Aber ich will mehr. Renauds nächstes Projekt hört sich auch interessant an: Es ist eine Kooperation mit einem anderen Virtual-Reality-Visionär, nämlich David Cronenberg.