Erstellt am: 20. 4. 2016 - 18:17 Uhr
Auf dem Pfad der Dämmerung
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Wer wenig weiß, muss vieles glauben, mag vielleicht gar vieles glauben, und bekanntlich verlangen der Glaube, die Religion, welcher Art auch immer, den Gläubigen nicht selten so einiges an Vertrauen, blinder Zuversicht, Gutgläubigkeit ab.
In einer zentralen, ausdrücklich mit Deutungsoption und Philosophierangebot geladenenen Szene der kürzlich angelaufenen Show "The Path" hadert Hauptfigur Eddie - erratisch und zerrissen dargestellt von Aaron Paul, nahezu wie eine ein bisschen erwachsener gewordene Variante seines Jesse Pinkman aus "Breaking Bad" - wieder einmal mit seinem Glauben, seinem Wertesystem: Wäre es denn nicht ohnehin egal, sollte die spirituelle Bewegung, die Sekte, der er und seine Familie folgen, nur bloßes Lügenkonstrukt und Hokuspokus sein? Die Gemeinschaft, die sich so flauschig und liebevoll um ihre Mitglieder kümmert, bloß aus Hoffnung und Zukunftswillen gezimmertes Luftschloss? Und: Machen es nicht sowieso auch mehr oder weniger alle anderen Menschen auf der Welt ähnlich, in ihrem jeweiligen Biotop?
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Die Serie "The Path" beäugt das nebulöse Treiben einer kleinen, fiktiven Sekte, die sich so gar nicht als Sekte oder gar Kult bezeichnet wissen will: Das System des sogenannten "Meyerism" sei ein "Movement", so seine Beweger.
Das Meyerism-Movement präsentiert sich in der Realität der Show bislang nach außen hin noch als harmlos, weltoffen, friedensorientiert. Die Gruppe hat sich in Upstate New York eine eigene Kleinstadt errichtet, eine Gated Community, in der die Werte Familie und Einheit hochgehalten werden.
Die Meyeristen bauen keine prunkvollen Kathedralen, sie bauen, wie sie selbst sagen, lieber Familien. Kümmern sich ökologisch vorbildlich um Selbstversorgung und schrauben an der Verbesserung der Erde. Gemeinsam wird gegrillt und opulent gegessen, Regeln und Vorschriften gibt es zwar, in der Öffentlichkeit aber verstrahlen die Meyeristen die Aura freundlicher Hippies.
Noch recht unauffällig wird missioniert, die Meyeristen scheinen um das Gute bemüht. Uniformen wie einheitlich türkise Polo-Shirts und Khaki-Hosen, wie man sie aus anderen Sekten-Darstellungen kennt, gibt es hier nicht: Die Meyeristen pflegen in Karo-Hemden, Jeanshosen und wallenden Kleidern eher einen rustikalen Holzfäller- und Naturfreunde-Look.
Während Vordenker und Erfinder Dr. Steven Meyer aus nicht näher geklärten Gründen in Peru im Koma liegt und wohl auch kaum wieder erwachen wird, gibt Hugh Dancy den undurchsichtigen, auf seine Anhänger merkwürdig charismatisch wirkenden de facto Anführer der Meyeristen: In privaten Situationen ist seine Figur wortkarg und scheint ähnlich gebeutelt und gepeinigt wie Dancys Will Graham in "Hannibal", in seinen Motivationsvorträgen, man darf sie sicherlich "Predigten" nennen, wird dieser Mann, in dessen Vergangenheit verlässlich ein ungutes Geheimnis schlummert, zum bildreich und lustvoll argumentierenden Überzeuger.
Der Meyerism bemüht die alten Bilder von Dunkelheit, Schatten und Licht, gar Platons Höhlengleichnis. Wenn die Welt dann demnächst zugrunde gehen sollte, würden die Glaubenden über einer Leiter - das Erlösungssymbol der Meyeristen - aus der Gefangenschaft des irdischen Lebens in einen, ja, Garten gelangen.
Man ahnt es: Unter der Oberfläche des Meyerism-Movement brodelt es unangenehm, bislang noch langsam, sehr langsam. Hier liegt eine Stärke von "The Path". Nach vier Episoden ist noch nicht auszumachen, was die tatsächlichen Absichten des Kults sind, wird bei allem nicht selten formelhaften Umgang mit dem Sujet, nicht alles zu Ende buchstabiert.
Dass hier aber nicht ausschließlich verblendete Weltverbesserer am Werk sein dürften, wird nicht erst in den Momenten klar, in denen sich Michelle Monaghan in der Rolle von Aaron Pauls Ehefrau und als gar fanatische und regelkonforme Followerin ein bisschen sehr eifrig für die meyeristischen Bestrafungsrituale und die per Einkerkerung absolvierten Bußdienste starkmacht. Intrigen, Machtkämpfe und kriminelle Aktivitäten, nicht die harmlosesten, dringen behäbig an die Oberfläche.
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Einen besonders neuen Dreh gibt "The Path" den alten Themen von Sekten, Lebensgestaltung und finsterer Esoterik bislang nicht, köchelt bei aller immer wieder bemühten Klischeehuberei den Faktor Thrill auf betont schwacher, dafür eindringlicher Flamme.
Die Serie lebt von kleinen Verschiebungen - in der Hierarchie der Meyeristen, im sozialen Gefüge, im Familiären, in den Motivationen und - immerhin zur Schau gestellten - Positionen der Figuren.
Alles bleibt mit Absicht zähflüssig und beklemmend, der ewige Sermon von den Motiven Schatten und Licht schlägt sich demonstrativ in der visuellen Umsetzung nieder: Immer wieder tänzeln dunkle Scherenschnittfiguren über Wände, driften Charaktere nach und nach in einer unausgeleuchteten Mauernische Richtung Nichts oder erstrahlt ein vermeintlicher Bösewicht im allerhellsten Hell.
Dazu erklingt ein unwirtlicher Score: Karge Spukelektronik, schiefe Töne fallen aus dem Klavier, Ambient, für die ganze Familie grade noch zu verdauende Drones. Da und dort ist man kurz davor, auch selbst an die Macht außerweltlicher Kräfte zu glauben.