Erstellt am: 20. 4. 2016 - 14:04 Uhr
Ansprüche
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Wenn man ein Zimmer in einer WG sucht, muss man sich unzähligen Castings stellen. Die Mitbewohner entscheiden dann, ob man in ihr "Wohnkonzept" passt. Man muss interessant und lustig sein. Man muss putzen und für die Mitbewohner kochen wollen. Man muss einen spannenden Beruf bzw. Studium haben. Man muss die Miete immer pünktlich zahlen können. Man muss auch Zeit haben, mit den Mitbewohnern Sachen zusammen zu unternehmen - zum Beispiel "Mensch ärgere dich nicht" zu spielen.
Ich habe mehrere solche Castings durchgemacht. Ich habe mich als lustig und interessant vorgestellt. Ich habe einige Witze und lustige Geschichten aus meinem Leben erzählt. Die Mitbewohner haben gelacht. Danach wurde ich nie genommen. Ich erinnere mich an eine Wohnung im siebten Bezirk. Dort hatten die Mitbewohner eine Liste von Fragen zusammengestellt. Sie fragten mich, ob ich Alkohol konsumiere. Und danach: "Wie viel Prozent von dem Alkohol, den du konsumierst, hat einen Alkoholgehalt über 18%?" Diese Frage hat mich tief verunsichert. Ich fing an zu rechnen. Gut in Mathe war ich noch nie. Ich verlangte ein Stück Papier und einen Stift. Die Mitbewohner schauten mich streng an. Wahrscheinlich, weil ich keinen Stift mithatte. Meine Hände fingen an zu zittern. Ich fiel bei der Frage durch.
Ein anderes Mal war ich bei einem Casting, bei dem die jungen Leute mit einer Webcam aufgenommen wurden. Ich habe in einigen Filmen mitgespielt, aber das war neu für mich. Die Mitbewohner machten kurze Videos und wollten so die passende Person für ihre WG aussuchen. Ich fragte sie, ob sie nicht doch eine Rockband seien und nach einem Sänger suchten. Niemand lachte hinter der Kamera. Ich fragte, ob im Film, den sie machen, auch Cate Blanchett mitspiele und ich mit ihr das Zimmer teilen dürfe. Hier bin ich endgültig beim Casting durchgefallen. Da Technik für junge Leute immer zugänglicher wird, schlage ich vor, dass bei WG-Interviews auch Lügendetektoren eingesetzt werden.
Ich hatte mir gesagt, dass, falls ich mir einmal Mitbewohner aussuchen müsste, ich sie nie so erniedrigen würde. Ich suche mir ja Mitbewohner, keine Lebenspartner. Doch die ersten Menschen, die sich dann ein Zimmer in meiner WG anschauten, kamen mit Heften, die voll mit Fragen waren. Ich wurde wieder interviewt. Obwohl ich es dachte, war ich gar nicht auf der anderen Seite der Barrikaden angelangt. Ich musste antworten, ob ich lustig und interessant bin, ob ich putze und ob wir zusammen kochen. Ob ich meine Miete pünktlich zahle. Ob wir zusammen "Mensch ärgere dich nicht" spielen. Die Kandidatenmitbewohner schrieben alles sorgfältig in ihre Hefte und auf ihren Tablets mit. Danach bekam ich Mails, dass ich deren Ansprüche nicht erfülle. Hinter all den Fragen sah ich, dass eine Person aus Osteuropa nicht so vertrauenswürdig ist.
Endlich fand ich einen Mitbewohner. Ein Student aus der Türkei. Er sah sich das Zimmer an, die Miete kam ihm leistbar vor. Ich habe ihn nicht gefragt, was er von Erdogan hält und ob er "Mensch ärgere dich nicht" spielt. Wir schüttelten uns die Hände. Vorgestern ist er eingezogen.