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Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Politik, Alltägliches und andere Kuriositäten.

19. 4. 2016 - 19:02

"Köln war keine Überraschung"

Yilmaz Atmaca bildet junge Männer zu "Heroes" aus, die in Schulworkshops patriarchale Strukturen und Rollenbilder beleuchten und hinterfragen. Zehn Jahre nach der Einführung in Deutschland soll es "Heroes" ab 2017 auch in Österreich geben.

fm4.ORF.at: Wie schaut denn so ein Workshop von den Heroes aus?

Yilmaz Atmaca: Es gibt ja zwei Workshops: Zum einen gibt es das Training mit den Jungs, die zu Heroes ausgebildet werden. Die gehen dann in Schulen und Jugendzentren, wo unsere Jungs einen Workshop leiten. Bei diesen Workshops nehmen Jungs und Mädchen teil.

Yilmaz Atmaca

ylmz.de

Yilmaz Atmaca (*1970) ist u.a. Schauspieler, Theaterpädagoge und Trainer für Interkulturelle Kompetenz an der Landespolizeischule Berlin.

Er trainiert die "Heroes", die ab 2017 in Salzburg Workshops anbieten.

Und was versucht man da zu vermitteln?

Es gibt zum Beispiel mehrere Rollenspiele. Durch diese Rollenspiele werden die TeilnehmerInnen dazu angeregt, über Gleichberechtigung, Demokratie, die Rolle der Frau und des Mannes in der Gesellschaft, Jungfräulichkeit, Ehre usw. zu diskutieren, ihre Meinung zu äußern.

Diesbezüglich werden unsere Jungs auch trainiert, dass sie die richtigen Fragen stellen und die Beteiligten in die Diskussion einladen. Dass jeder einen Raum bekommt, seine Meinung zu äußern, egal wie die lautet.

Es geht dabei ja offenbar häufig darum, patriarchale Denkmuster zu hinterfragen und aufzubrechen, richtig?

Genau. Wir versuchen eben diese patriarchalen Strukturen in Frage zu stellen. Wir versuchen auch, den Beteiligten andere Perspektiven und Alternativen anzubieten. Und wichtig ist, dass sie sich persönlich beteiligen. Oft ist es ja so, dass Jugendliche sagen: "Ich hab mal gehört…" und dann sagen sie etwas, womit sie emotional nichts zu tun haben. Wir laden sie dazu ein, ihre Meinung mitzuteilen und auch darüber zu diskutieren.

Wie groß ist denn in ihren Augen das Problem dieser alten Denkmuster und patriarchalen Strukturen in migrantischen Familien?

Wenn Sie jetzt "migrantische Familien" sagen, möchte ich Sie korrigieren. Es geht nicht um migrantische Familien alleine! Es geht um alle Familien, wo diese Strukturen da sind; wo z.B. die Menschen nicht die Möglichkeit haben, aufgrund ihres Geschlechts sich für einen anderen Lebensentwurf zu entscheiden, als es die Gesellschaft von ihnen erwartet. Das möchte ich klarstellen.

Ich bin auch ein Migrant sozusagen, lebe seit 29 Jahren in Deutschland und hier gibt es viele junge Leute – Migranten und jene, die hier geboren und aufgewachsen sind – die Ehre, Gleichberechtigung anders definieren, als jene in patriarchalen Strukturen. Aber es gibt eben auch viele, die sich in dieser Gruppe nicht trauen, das auszusprechen. Ihnen wollen wir vermitteln: "Jungs, Mädchen, ihr seid nicht allein. Es gibt von uns noch mehr."

Natürlich auch jene, die knallhart bei ihrer Meinung bleiben, gegen Gleichberechtigung sind und für patriarchale Strukturen, versuchen wir dazu zu bringen, nachzudenken, ihre Haltung in Frage stellen, beziehungsweise zu argumentieren. In der Diskussion kommen viele drauf, dass sie mit ihrer Argumentation nicht weiterkommen – in der Folge auch sie selbst als Individuum nicht weiterkommen.

Gewisse Leute in Deutschland sagen, dass Sie aus einer Mücke einen Elefanten machen und das Problem nicht so groß ist.

Wenn ich das höre, dann kann ich auch sagen, dass jene, die das Projekt kritisieren, das Problem unter den Teppich kehren. Wir wollen keine populistischen Aussagen machen, es ist einfach die Tatsache.

Unser Projekt existiert seit neun Jahren und erst dieses Jahr hat man gesagt: "Oh Gott, oh Gott, die Männer!" – ich rede von den Ereignissen in Köln zu Silvester. Das war ja keine Überraschung, was da in Köln passiert ist! Die Haltung dieser Männer stellen wir in Frage und das geschieht in der Begegnung. Es sind ja zum Teil Menschen, die hier aufgewachsen sind und unsere Mitbürger sind. Daran müssen wir uns auch interessiert zeigen und etwas dagegen unternehmen. Es funktioniert nicht, jemanden dazu zu zwingen. Einige haben Themen wie Gleichberechtigung oder Demokratie nie erfahren und deshalb nicht verinnerlicht.

Unser Projekt wird häufig als Integrationsprojekt dargestellt, aber dagegen wehre ich mich. Integration ist nämlich nur ein kleiner Teil dessen, was wir den Jugendlichen in unseren Workshops vermitteln wollen.

Wenn man jetzt klischeehaft denkt, würden sicherlich nicht wenige sagen: "Aus Kulturkreisen, wo der Islam vorherrscht, gibt es solche patriarchalen Denkmuster." Glauben Sie, dass diese Denkmuster nicht auch noch in Österreich weit verbreitet sind?

Ich glaube das nicht nur, ich bin mir sicher! Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich in Österreich bin und wir haben auch das Glück gehabt, mal einen Workshop nur mit österreichischen Jugendlichen durchzuführen. Da kam zum Vorschein, dass, was die Rolle der Frau in der Gesellschaft angeht, die Haltung gegenüber fremden Personen ebenfalls ähnlich sind. Nur wenn Sie jetzt patriarchale Strukturen sagen: Da geht es eher um die strenge Rollenverteilung in der Familie, in der Gesellschaft.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie Unterdrückung in solchen Familien funktioniert?

In solchen Familien ist es zum Beispiel sehr schwierig, dass Männer und Frauen in Kontakt kommen. Allein diese Begegnung ist schon ein Riesenproblem. Die Unantastbarkeit der Frau ist sehr hochgestellt. Der Freiraum für Männer hingegen ist größer und breiter, und wenn sie Loyalität zeigen, haben sie die Möglichkeit ihr Leben unterschiedlich zu leben.

Sie meinen, man erarbeitet sich so Respekt innerhalb der Familie?

Naja, Respekt… Was bedeutet Respekt? Wenn wir in den Schulen fragen, dann antworten die meisten, dass er ihnen sehr wichtig ist. Wenn wir dann aber ein bisschen tiefer gehen, zeigt sich, dass damit nur der Respekt vor dem Alter gemeint ist. Da spielt Angst eine Rolle: Die Jungen merken, dass sie in der Hierarchie ganz unten stehen und die Rolle der älteren Personen nicht in Frage stellen und alles hinnehmen. Auch das wird in unserem Workshop hinterfragt.

Kommen wir zu etwas anderem: In Wien waren alle Weichen für das Projekt gestellt. Vier Stunden vor der Fixierung hat das Bildungsministerium per SMS die Absage geschickt. Worauf führen Sie das zurück?

Hinweis:

Dieser Webartikel ist ein Auszug aus insgesamt zwei Interviews, die wir mit Yilmaz Atmaca geführt haben.

Zu hören auch am 19. April in der FM4 Homebase (19-22h) und anschließend im 7-Tage-Player.

Ich glaube, das sind wiederum diejenigen, die uns vorwerfen, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Ich glaube, die Problematik ist bei manchen einfach noch nicht angekommen.

Es geht hier nicht um Millionen, es geht um 100.000 Euro pro Jahr. Das ist aber kein fester Preis und wir bezahlen mit dem Geld mehrere Personen, Material etc. für ein Jahr. Wir wissen ganz genau, dass in viele andere Projekte viel investiert wird, und damit erreicht man überhaupt nichts. Ich will nicht sagen, dass Heroes das einzige Projekt ist, mit dem wir unsere Ziele erreichen. Im Gegenteil: Es ist eines von vielen Projekten. Es ist schade, dass es in Wien nicht geklappt hat. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

In Salzburg soll es das Projekt ja nun 2017 geben. Wie ist da der aktuelle Stand?

Es war ein langer Prozess in Salzburg. Wir sind mit vielen Sozialarbeitern und Lehrern in Kontakt gekommen. Zum Glück ist bei ihnen das Projekt nicht so angekommen, als ob wir aus einer Mücke den Elefanten machen, sondern es ging darum, ihre Schüler zu bewegen und zum Nachdenken zu bringen. Auch in Graz gibt es viel Bewegung und auch dort hat man sehr viel organisiert, dass das Projekt dort zustandekommt. Leider ist es noch nicht dazu gekommen, aber ich hoffe, dass es demnächst auch in Graz oder sogar in Wien stattfindet.