Erstellt am: 19. 4. 2016 - 18:41 Uhr
Wenn Argumente nicht mehr zählen
Ingrid Brodnig ist am Mittwoch, 20. April, von 17 bis 18 Uhr zu Gast in FM4 Connected und spricht mit Esther Csapo über Hass im Internet.
- Die Nummer zum Mitdiskutieren: 0800 226 996
In der aktuellen Diskussion um Flüchtlinge in Europa wird sichtbar, wie Hass und Hetze im Internet funktionieren. Im Laufe einer monatelangen politischen Debatte wird auch die Diskussionskultur im Netz immer verbitterter. Radikale Gruppen nutzen dieses Klima aus, um mit Aggression statt Argumenten auf sich aufmerksam zu machen. Ingrid Brodnig, Redakteurin beim Nachrichtenmagazin Profil, beschreibt nicht nur die Vorgangsweisen von Hassgruppen, sondern auch ganz gewöhnlicher Trolls.
Ihr Buch gliedert sich in drei Teile. Zuerst liefert Brodnig wissenschaftliche Erklärungen, warum im Internet so hart diskutiert wird, warum so schnell Schimpfworte fallen und wieso die Gestaltungsweise von Websites oft das Diskutieren so schwer macht. Zweitens liefert die Autorin eine Typologie untergriffiger User - sie unterscheidet dabei zwischen "Trollen", die sich am Leid anderer Menschen erfreuen, und "Glaubenskriegern", denen zum Verbreiten ihrer Ansichten fast jedes Mittel recht ist. Drittens gibt Brodnig Tipps, wie sich Falschmeldungen frühzeitig erkennen lassen, wie rhetorische Übergriffe entlarvt werden können, welche Möglichkeiten zur Deeskalation es gibt und wie man sich zur Not auch mit juristischen Mitteln wehren kann.
Brandstätter
Fehlende Empathie
Nonverbale Signsale wie Augenkontakt, Mimik und Gestik und die Stimme des Gegenübers fördern nachweislich Empathie - doch bei der schriftlichen Kommunikation im Internet fehlen sie. Man sieht und hört den Gesprächspartner im Forum nicht. Das ist ein Grund, warum Menschen Äußerungen eintippen, die sich kaum jemandem direkt ins Gesicht sagen würden. Ein weiterer Grund für die Enthemmung im Internet: Asynchronität. Wer einen hasserfüllten Kommentar verfasst, bekommt kein unmittelbares Feedback.
Echokammern
Ingrid Brodnig beschreibt auch das Phänomen der "Echo Chambers" - Foren oder Websites, in denen Nutzer hauptsächlich jene Inhalte eingeblendet bekommen, die ihre Meinung bekräftigen. Anhänger von Verschwörungstheorien bunkern sich besonders gerne in solchen Echokammern ein: Sie regen sich über ein Komplott auf und darüber, dass der Rest der Welt dieses Komplott beharrlich ausblendet. Echokammern erleichtern Radikalpositionen: Je seltener man Andersdenkende trifft, umso weniger muss man seine eigenen Argumente hinterfragen.
Social Media können diese Tendenz verstärken. Vielen Usern ist nicht bewusst, dass Facebook auf Basis von Algorithmen eine Auswahl für sie trifft und nur einen Bruchteil der Beiträge und Meldungen von Freunden, denen sie folgen, einblendet. Der nüchterne Austausch von Information wird unter Umständen erschwert - Personen und Statusmeldungen mit mehr Likes werden von der Software bevorzugt. Populistische Politiker und radikalere Gruppen, die ständig schimpfen, ernten mehr bestätigende Klicks und werden deshalb umso mehr Usern eingeblendet.
Trolls und Glaubenskrieger
"Hass im Netz - Was wir gegen Hetz, Mobbing und Lügen tun können" von Ingrid Brodnig ist erschienen im Verlag Brandstätter.
Trolls lieben es, andere User zur Weißglut zu bringen. Sie geben sich in Katzenforen als Katzenhasser aus, sie lenken Diskussionen absichtlich in nutzlose Bahnen, sie reagieren überzogen pedantisch auf Postings (z.B. auf Tippfehler), sie fingieren Bedrohungen oder schockieren mit Worten, Bildern und Videos, die Moralvorstellungen der anderen User verletzen. Die Autorin beschreibt die ganze Bandbreite des Trollens bis hin zum äußerst verletzenden Mobbing. Der Psychologe Delroy Paulhus veröffentlichte 2014 die Studie "Trolls just want to have fun", in der er untersuchte, inwieweit Trolle zu Sadismus, Narzismus, Machiavaellismus und psychopathischen Tendenzen neigen. Wesentlichster Aspekt seiner Studie, so Ingrid Brodnig: Die Trolle weisen eine Affinität zu diesen Eigenschaften auf, wobei der mit Abstand stärkste Grund für Trollen Sadismus ist. Trolle erfreut es, wenn sie anderen seelischen Schmerz zufügen.
Brodnig beschreibt auch, wie in der Diskussion um Trolle oft die Opfer zu Tätern gemacht werden. Nicht Trolle seien dann das Problem, so die Verteidiger der Aggressoren, sondern "biedere Adminstratoren" - denn Trolle, werde behauptet, würden "Internetdiskussionen zur Eskalation bringen" und somit die "Buntheit des Lebens" widerspiegeln und zur Einführung von Verhaltensregeln, also zu Selbstreinigungseffekten im Internet führen. Für die Autorin ist das pure Verharmlosung: Aggression habe nichts mit "Buntheit" zu tun, sondern führe eher zu einer getrübten Diskussionskultur - auch ußerhalb des Internets würden wir unnötiges Provozieren und Aufwiegeln kaum akzeptieren. Auch dem Argument von der Selbstreinigung durch Trolle schenkt Brodnig keinen Glauben: Nach dieser Logik könnten wir auch Einbrechern dankbar sein, dass es als Folge ihres Verhaltens Gesetze gegen Einbrüche gibt.
Ingo Pertramer/Brandstätter Verlag
For the Lulz
Wenn Trolle kein emotionales Feedback erhalten, ziehen sie weiter und suchen sich ein leichteres Opfer. Aus diesem Grund, so Brodnig, sei die Strategie "Don’t feed the troll" nur bedingt wirksam. Ein ambitionierter Troll finde in den Weiten des Internet garantiert das nächste Opfer - wie etwa jene Internetuser, die sich einen Spaß daraus machten, die Kondolenzseiten verstorbener Teenager aufzusuchen und dort Gehässigkeiten über die Verstorbenen zu verbreiten. Bei derart extremen Formen des Trollens sei Schweigen zu wenig und eher eine Anzeige das probate Mittel. In den vergangenen Jahren kam es auch verstärkt zu Gerichtsverfahren in solchen Fällen.
Haben Trolle auch etwas mit der politischen Debatte rund um Flüchtlinge zu tun? Wohl kaum, denn Trollen geht es nicht um inhaltliche Anliegen, sondern um die eigene Belustigung. Deshalb unterscheidet Brodnig sie von jenen Usern, die sie "Glaubenskrieger" nennt.
Viele Leserforen der Websites von Zeitungen und Magazinen sind chronologisch gereiht. Der jeweils neueste Kommentar erscheint ganz oben. Das wird oft bewusst von Menschen ausgenützt, die lauthals ihre Meinung verkünden, ohne an einer Diskussion orientiert zu sein. In Extremfällen posten diese User ihre Meinung Dutzende mal. Das aufdringliche Verhalten wird genutzt, um Hass zu säen und Andersdenkende niederzutexten. Brodnig nennt diese Menschen "Glaubenskrieger", weil sie von ihrer Idee restlos überzeugt sind, keinen Widerspruch mehr dulden und aggressiv gegen alle vorgehen, die eine andere Meinung haben.
Vier Faktoren zeichnen für Brodnig die Glaubenskrieger aus: Unbeirrbare Überzeugung (Glaubenskrieger agieren nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie glauben, die "Wahrheit" zu kennen), Heldenmythos (es geht um ein Komplott, dass die Eliten und die Lügenpresse schönreden, aber der Glaubenskrieger ist besser informiert), Abschottung (je stichhaltiger ein ihnen unliebsames Argument untermauert ist, umso mehr fühlen sich Glaubenskrieger bestätigt, dass die vermeintliche Verschwörung bereits vorangeschritten ist), aggressive Tonalität (Glaubenskrieger haben wenig Empathie gegenüber Andersdenkenden).
Sowohl Trolle als auch Glaubenskrieger lenken von sprachlichen Provokationen im Internet ab, indem sie so tun, als seien sie die wahren Opfer der Auseinandersetzung. Sie berufen sich auf ihre Meinungsfreiheit und beschimpfen andere als Zensoren. Sichtbar wird diese Strategie oft im Zusammenghang mit den Angriffen auf selbstbewusste Frauen im Internet. Als die Kanadierin Anita Sarkeesian im Jahr 2012 Geld für eine Youtube-Serie über Sexismus in Videospielen sammelte, wurde sie zum Feindbild für aggressive Gamer und erlitt monatelang Beschimpfungen, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen.
Einmal erhielt Sarkeesian 157 verletzende Tweets innerhalb einer Woche. Als Twitter-Chef Dick Costolo schrieb "Wir sind echt schlecht im Umgang mit Übergriffen und Trollen auf der Plattform" und ankündigte, das zu ändern, erntete er Kritik: "Wer braucht denn schon Meinungsfreiheit?", schrieb ein User. Brodnig erinnert daran, dass die Meinungsfreiheit so weit reicht, bis die Rechte anderer verletzt werden - wozu das Recht, sich nicht bedrohen oder verunglimpfen lassen zu müssen, selbstverständlich gehört. Das ständige Pochen auf die Meinungsfreiheit seitens der Trolle und Glaubenskrieger stelle den Versuch dar, für die eigenen Worte nicht geradestehen zu müssen - und nicht aus einem Diskussionsraum hinausgeworfen zu werden. Diese Taktik funktioniert oft.
Umgekehrt stellen die Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen eine Frau, die Kurzfilme über Sexismus in Videospielen produzieren will, den Versuch dar, Menschen so lange einzuschüchtern, bis sie nicht mehr das Wort ergreifen. Auch deutsche Feministinnen bekommen E-Mails zugeschickt, in denen fiktive Vergwaltigungsszenen detailliert beschrieben werden. "Silencing" wirkte, schreibt Brodnig. Frauen würden Workshops und Vorträge absagen und sich mitunter dreimal überlegen, ob sie sich zu bestimmten Themen online zu Wort melden.
Sich nicht mundtot machen lassen
Hass sei nicht gleichmäßig auf die Gesellschaft verteilt - und er nehme unterschiedliche Formen an, je nachdem, welche Gruppe er beträfe. Bei Frauen sei die Aggression häufig sexualisiert, bei Flüchtlingen werde Empathie zur Mangelware. Das allerwichtigste sei, sich nicht von zentralen Orten der politischen Debatte wegdrängen zu lassen. Gerade in den stark frequentierten Leserforen und Facebook-Seiten großer Medien sei es äußerst bedenklich, wenn eine besonders lautstarke Minderheit den Umgangston zunehmend harscher macht und eine Verzerrung der öffentlichen Debatte bewirkt. Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) etwa bezeichnen sich gerne als schweigende Mehrheit, sind aber weder schweigend, noch eine Mehrheit. Sich gegen "Silencing" zu wehren heiße also auch, solche bewussten Verzerrungen in der öffentlichen Debatte zu verhindern.
"Bahnhofsklatscher"
Mit gehässigen Begriffen wie diesem machen sich Menschen über jene Mitbürger lustig, die Empathie gegenüber Flüchtlingen zeigen. Doch warum soll Einfühlungsvermögen für Asylwerberinnen und Asylwerber eine schlechte Eigenschaft sein? Forumsposter unterstellen den "Bahnhofsklatschern" die Schuld an Terroranschlägen. Der Begriff und der Vorwurf werden häufig wiederholt, denn je öfter wir bestimmte Wörter und Sätze hören, umso mehr verfestigt sich diese Information in unserer Denkstruktur.
Als Gegenmaßnahme empfiehlt die Autorin, die eigene Sicht der Welt nachvollziehbar zu machen. Argumente seien besonders dann überzeugend, wenn sie an Werte appelieren, die andere Menschen teilen. Sie empfiehlt, Negation ("Nein, die Erderwärmung ist keine Erfindung") zu vermeiden und stattdessen affirmativ den eigenen Standpunkt darzustellen ("Die Erderwärmung ist messbar".) Sie empfiehlt in besonders schweren Fällen von Verhetzung, Mobbing, Bedrohung und Beleidigung juristische Schritte zu setzen.
Den Abschluss des Buchs bildet ein Plädoyer für mehr Aufmerksamkeit und Verantwortung. Gerade die Flüchtlingsdebatte habe ins Bewusstsein vieler Menschen gerückt, dass es unserer Demokratie nicht guttun kann, wenn politische Diskussionen im Netz ständig von Aggression geprägt werden, und wenn eine von ihrer Weltsicht sehr überzeugte Minderheit besonders laut auftritt und versucht, den Ton vorzugeben. Es gehe auch um die Erkenntnis, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich stark von der Digitalisierung profitieren und das Internet auch zur Aggression gegenüber Menschen eingesetzt wird. Es läge in unserer gesellschaftlichen Verantwortung, die Würde von Menschen im Netz zu schützen und bessere Umgangsformen zu finden.
Ingrid Brodnig zu Gast im Studio
Ingrid Brodnig ist am Mittwoch, 20. April, von 17 bis 18 Uhr zu Gast in FM4 Connected und spricht mit Esther Csapo über Hass im Internet.
- Die Nummer zum Mitdiskutieren: 0800 226 996