Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Niemand hat uns eingeladen!"

Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

26. 4. 2016 - 19:13

Niemand hat uns eingeladen!

Wir kommen aber trotzdem. Diese Woche startet das Donaufestival in Krems, hier eine Rundschau durchs Musikprogramm.

Donaufestival Logo

Donaufestival

Donaufestival 2016:
29.April - 1.Mai &
5. Mai - 7.Mai, Krems.

Das gesamte Programm inklusive aller Infos findet man hier.

"Kunst, wenn wir sie ernst nehmen, ist die fundamentale Aufhebung des Normativen, die sinnliche wie intellektuelle Erfahrung einer anderen möglichen Welt. Indem sie uns die Nicht-Norm, den radikal anderen Blick auf die uns umgebende Welt ermöglicht, stellt sie einerseits das gesamte System unseres Denkens, Empfindens und Handelns in Frage und eröffnet andererseits utopische Möglichkeitsfelder, die das Potential einer grundlegenden Neuausrichtung von Denken und Handeln in sich tragen."

Wer könnte besser ausdrücken als Tomas Zierhofer-Kin, was das Programm des letzten Donaufestivals unter seiner Leitung in seinem Publikum bewirken will? Immer mehr hat sich das Lineup des Festivals in den letzten Jahren diesem Motto angenähert, dem Aufbrechen von verkrusteten Hörgewohnheiten, dem Neuordnen von Denksystemen: Redefining arts.

Stefan Frauenberger mit Staubwedeln in den Ohren

Johanna Magdalena Guggenberger

Stefan Fraunberger

Zwischenbereich/Jenseits

Avantgardistische Performance-Kunst und markerschütternde Musik bestimmen auch diesmal das Programm der sechs Kremstage und -Nächte. Als roter Faden zieht sich diesmal ein Fokus auf sogenannte "postkoloniale Musik" durchs Lineup, also auf Klangkunst, die sich etwa auf arabische oder afrikanische Musikkulturen bezieht. Der österreichische Künstler Stefan Fraunberger wird hierbei das Auftragswerk "barzakh" (Zwischenbereich/Jenseits) präsentieren, in dem er arabische Texte aus dem 12. Jahrhundert in transzendentale Klangwolken aus dem persischen Saiteninstrument Santur und Field Recordings der Jetztzeit einbettet.

Zu Besuch kommen außerdem der syrisch-kurdische Popstar Omar Souleyman mit seiner Mischung aus traditionellen, orientalischen Dabke-Rhythmen und Elektronik, Islam Chipsy als Botschafter der ägyptischen Tanzmusik Electro Chaabi oder die Band Mbongwana Star aus Kinshasa, die ihren Sound aus Afrobeat, elektronischen Bässen und Gitarren generiert.

Jamal Moss alias Hieroglyphic Being

Celesete Sloman

Hieroglyphic Being

Jamal Moss alias Hierglyphic Being beschwört den Geist des großen Afrofuturisten Sun Ra, Fatima Al Qadiri schickt westliche Vorstellungen orientalischer Kulturen ins gesellschaftskritische, überdigitalisierte Selbstbespiegelungskabinett. Der Londoner Produzent und Rapper Gaika fusionert dunklen, kühlen Cyborg-Grime, abstrahierten Hip Hop und futuristischen Dub mit Lyrics über Rassismus, Diskriminierung und Polizeigewalt.

Der südafrikanische Künstler Angelo Valerio alias Angel-Ho vertritt das von ihm gegründete Label und Kollektiv NON Records aus Musikerinnen und Musikern aus Afrika sowie aus der afrikanischen Diaspora. "Sound dient als das primäre Medium, um die sichtbaren und unsichtbaren Strukturen auszudrücken, die die Zweigeteiltheit der Gesellschaft bedingen. Und in weiterer Folge wird aus diesem Sound Kraft geschöpft", heißt es sinngemäß in der Eigendefinition von NON Records. "Die Silbe NON gibt Einblick in den Fokus des Labels - es geht darum, Sound zu kreieren, der dem zeitgenössischen Kanon widerspricht."

Mehr über Hatsune Miku erzählt am Mittwoch Nachmittag Christoph Weiss in FM4 Connected und auf diesen Seiten.

Die vollkommene Loslösung vom klassischen Konzert-Erlebnis findet beim diesjährigen Donaufestival bei der Performance "Still be here" mit Hatsune Miku statt, wenn ein körperloser Stimm-Synthesizer durch die großartige New Yorker Elektronikerin Laurel Halo zum Leben erweckt wird und als Hologrammfigur durch die Minoritenkirche tanzt. Das muss man sich erst einmal vorstellen.

If you ain't got no swag, then this conversation's over

Juliana Huxtable

Juliana Huxtable

Juliana Huxtable

Neben all dem Mitdenken bei der Verfremdung, Um- und Neu-Deutung von Codes im globalen Kontext darf man beim Donaufestival aber nie aufs Tanzen und Loslassen vergessen. In den allerleuchtendsten Farben und im größtmöglichen Stil-Eklektizismus setzen etwa am 6.Mai Lotic, Le1f oder Juliana Huxtable rohe Energien aus der Kombination von politischer Message, Style, Swag und Spaß frei.

I'm sweet but I'm deadly
Just like Coca-cola
I'm hotter than a hot spring
Hotter than Bikram yoga
Boy, come try your luck, four leaf clover
If you ain't got no swag, then this conversation's over

(Le1f - "Koi")

Der Abschlusstag des Donaufestivals führt diesmal mit Sets von etwa DJ Koze, Pantha du Prince und seinem neuen Album "The Triad" oder dem Techno-Hohepriester Rødhåd endgültig zurück in die Mitte des Club-Dancefloors.

Gelegenheit zum Innehalten und In-der-Musik-Versinken hat man etwa bei den großen schottischen Postrockern Mogwai, die am 1. Mai im Stadtsaal ihr aktuelles Album "Atomic" aufführen werden. Mogwai, eine Band die sich auch sehr für Fußball und Essen interessiert, haben diesmal eine Doku über die Schrecken des Nuklear-Zeitalters vertont. Politische Musik von größtmöglicher Schönheit.

"Niemand hat euch eingeladen" God's entertainment

Rolf Arnold

Den Titel der Performance von God's Entertainment bitte nicht allzu wörtlich nehmen.

Dean Blunt, Formenwandler zwischen verschlafenem Hip Hop, Dub und Hustensaft-Pop, kommt nach einem Besuch in seiner früheren Duo-Formation Hype Williams und einer weiteren Soloshow 2014 am 5.Mai bereits zum dritten Mal nach Krems. Nach einer ganzen Reihe an veröffentlichter Musik zwischen Soundcloud und ominösen Mixtapes, die nach kurzer Zeit wieder aus dem Internet verschwinden, hat er diesmal unter seinem neuen Alter Ego Babyfather ein weiteres, offizielles Album mit dabei.

Teil dieses neuen Werks mit dem tollen Namen "BBF: Hosted by DJ Escrow" ist auf einem Track die unglaubliche Mica Levi. Mit ihrer Band Micachu & The Shapes schließt die britische Musikerin seit sieben Jahren zauberhaften Bastel-Pop mit noisigem Indie, Rumpelbeats und Staubsaugergeräuschen kurz; dazwischen schickte sie dem Publikum als Urheberin des unfassbaren Soundtracks zum Film-Meisterwerk "Under the Skin" im wahrsten Sinne des Wortes Schauer unter die Haut. Im vergangenen Herbst ist mit "Good Sad Happy Bad" das neueste, insgesamt vierte Album von Micachu & The Shapes erschienen und hat sich auf rästelhafte Weise als (vorübergehender?) Bandname durchgesetzt. Eine kleine, feine Gesangsmelodie, ein dubbiger Rhythmus, ein wasserfarbenes Wabern.