Erstellt am: 19. 4. 2016 - 17:20 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 19-04-16.
#demokratiepolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
1
"Österreich auf dem Weg zum autoritären Staat" steht am Profil-Cover - so wird Herausgeber Christian Rainers Leitartikel angeteast. Und da steht dann: Die Regierung vergreift sich doppelt an der Verfassung, um nachzuschärfen. Sie umgeht (erstens) im Eilverfahren den parlamentarischen Brauch der Gesetzesbegutachtung, damit (zweitens) durch Konstruktion eines Notstands das international verbriefte Asylrecht ausgehebelt werden kann.
Und weiter: Man fragt sich: Was täten diese Politiker, wenn ein echter Notstand einträte? Was wäre, wenn diese Politiker andere wären, wenn aus den relativ harmlosen Roten und Schwarzen relativ unberechenbare Blaue würden?
2
Rainers angedeutete Meta-Analyse erhebt sich weit über den "Derfen Sie denn des?"-Betroffenheits-Journalismus ebenso wie über den pseudoobjektiven He said, he said-Abbildungsjournalismus der Branche. Denn natürlich stehen weder Empörung noch denkfreie Begleitung, sondern das Weiterdenken, das Ausloten der Konsequenzen von politischen Handlungen im Zentrum der eigentlichen journalistischen Aufgaben; die in Österreich kaum noch betrieben werden.
In Österreich ist nicht mehr nur das national-patriotische Denken, der Rechtspopulismus zum gesellschaftspolitischen Mainstream geworden - auch die Gesetzgebung hat sich angepasst. Ungarn und Polen, bald auch die anderen Visegrád-Staaten machen das vor, was Semi-Autokratien wie die Türkei oder Russland schon hinter sich gelassen haben: Verfassungen ändern, aushebeln, austricksen, dass man sich nicht mehr an die großen (weltweit unterfertigten) gesellschaftlichen Vereinbarungen oder geltendes EU-Recht halten muss, ist der letzte Schrei.
3
Dass sich Österreichs Polit-Establishment in einer Art vorauseilendem Gehorsam gegenüber nationalistischer Strömungen anschließt, war nicht unbedingt zu erwarten: Die Logik, FP-Leitlinien rechts zu überholen, hat die Strategie von SP und VP zwar schon die letzten Jahre angetrieben - jetzt aber im gesetzlichen Bereich Maßstäbe zu setzen, die es künftigen Regierenden eine noch weniger zimperliche Verwendung ganz leicht machen wird, ist von allen unbedachten Handlungen eines umfragegetriebenen und visionslosen Polit-Betriebs die weitaus zukunftsbeschädigendste.
Dass aktuell nicht diese Öffnung einer möglichen (weiteren) Pandora-Büchse, sondern weitaus weniger maßgebliche Angelobungs-Szenarios von potentiellen Bundespräsidenten als wichtige politische Fragen durch die medialen Dörfer getrieben werden, erzählt nicht nur viel über einen an der Zukunft (auch seiner eigenen) desinteressierten Journalismus, sondern auch einiges über die Verlagerung rechter, nationalistischer, populistisch bis extremistischer Inhalte in eine gesellschaftliche Normalität, eine neue Mitte-Position.
4
Frank Witzel ist Musiker, Autor und deutscher Buchpreisträger für Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969.
Dieses "Sich-an-der-Verfassung-Vergreifen", von dem Rainer spricht, ist ein wesentlicher Machtfaktor für die Nationalisten, den politischen Arm der Identitären, für die besorgten Bürger und neuen Patrioten. Der Autor Frank Witzel hat es unlängst in der Zeitschrift Volltext so formuliert: "... dieser Spruch 'Man wird doch wohl noch sagen dürfen ...' - in Wirklichkeit heißt der: 'Warum sagen nicht alle dasselbe wie wir? Warum gibt es überhaupt andere Meinungen als unsere?' Und vielleicht ließe sich hier sogar eine generelle Unterscheidung zwischen den alten Mustern von links und rechts aufmachen, dass die Rechte schon die Existenz des Gegners als persönliche Kränkung empfindet und dann entsprechend auf eine völlige Vernichtung, Ausrottung, Ausgrenzung drängt."
5
Übertrieben düster formuliert, sicher. Wenn die Demokraten der österreichischen 2. Republik potentiellen Visegrad-Anhängern aber jetzt schon die gesetzliche Rutsche für die problemfreie Aushebelung von immer mehr und weiteren verfassungsmäßigen Rechten/Verpflichtungen legen, dann ist diese Sorge aber legitim.
Vor allem in europäischen Zeiten, in denen die neue Linke dringend den Kapitalismus retten will, sich zu einem neuen Verfassungspatriotismus bekennt und somit als Bewahrerin eines vielleicht leicht justierten bestehenden Systems hinstellt. Visionen hat sie, die Linke, schön längst keine mehr. Sein ist nur noch dagegen, gegen den rechtsextremen Nationalismus.
Der wiederum ist die aktuell einzige politisch visionäre Kraft, die einzige, die sich nicht mit dem Erhalt von Erreichtem begnügt oder in Gegenwehr zu etwas anderem erstarrt, sondern etwas befürwortend anspricht, die einzige Kraft, die sowohl prononcierte (visionsgetriebene) Jugendkulturen als auch den Mainstream der Jungen ansprechen kann.