Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die neue Drastik"

Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

18. 4. 2016 - 16:43

Die neue Drastik

Max Gruber alias Drangsal ist unser Artist Of The Week. Wie er mit schönen Sounds und strengen Worten den deutschen Pop aufwirbelt.

FM4 Artist Of The Week

Empfehlungen der FM4 Musikredaktion

Angry young men stehen derzeit nicht gerade hoch im Kurs. Sie säen Hass, machen Terror und irgendwann werden einige von ihnen alte Despoten. Angry young men stemmen sich gegen den Lauf der Zeit, denn ihre Zeit läuft ab. Angry young men ahnen das, deshalb werden sie noch zorniger. Nur in der Popkultur lässt man sie gelten, wie viele aktuelle US-Serien zeigen. Auch in der Musik. Dort hatten sie immer schon eine Berechtigung und eine Zukunft.

Drangsal

Christian Lehner

Max Gruber alias Drangsal, Berlin März 2016

Max Gruber wohnt in einem schmucklosen Mietshaus im schmucken Schöneberg in Berlin. Das abgelebte Interior lässt auf eine Vergangenheit als Pensionistenbleibe, Durchreiche oder ewige WG schließen. Max teilt sich die Wohnung mit einem Bandkollgen und einem Freund. In seinem Zimmer stehen mehrere Gitarren herum und viele Kartons. Fotos, Plastikrosen und Erinnerungsstücke zieren das Fensterbrett. Daneben ein verstaubter Spiegel. "Ich mag mich nicht wirklich einrichten und auch jederzeit die Möglichkeit haben, wieder schnell abzuhauen", erzählt Max.

Dennoch bezeichnet sich Gruber als "Drinni", als einer, der viel Zeit zwischen den eigenen vier Wänden verbringt und sich lieber in Themen, Künstler und Musik vergräbt, als nächtelang durch den hedonistischen Kosmos Berlin zu irren. Diese Art der Ausschweifung macht ihn unrund. Genauso wie U-Bahn-Fahren und große Menschenansammlungen. "Wenn ich zuviel mit anderen Leuten konfrontiert bin, dann werde ich traurig, weil mich bereits Kleinigkeiten kirre machen. Und das Ergebnis sind dann aggressive Texte, wo man sagt: "Ich zünd‘ euch an!" Gruber ist ein Antistädter in der großen Stadt. Es ist nicht die einzige Ambivalenz im Leben und Schaffen des 22-Jährigen.

Drangsal live

  • 23.11. Rockhouse (Salzburg)
  • 24.11. B72 (Wien)

Dagegen zu sein, ist zu einfach

Als Musiker nennt sich Max Gruber Drangsal, ein schönes, allmächlich aus dem Sprachgebrauch verdrängtes Wort, das für Leiden und Seelennot steht. Diese Drangsal verschafft sich Geltung durch Drastik. So heißt es in dem Stück Hinterkaifeck: "The one and only answer, shoot every petty dancer. Now! Now! Now!" Der Song handelt von Grubers Adoleszenz in der pfälzischen Provinz. Dort wollte er weder zu den Alternativangeboten Moped-Rocker oder Clubkid gehören.

Was macht also so einer, der ahnt, dass selbst der Rand für ihn zu breit sein könnte? In ungeordneter Reihenfolge: Er sticht sich Tattoos, lernt beim MTV-Glotzen Englisch, entwickelt eine lebhafte Fantasie, zieht spontan von Herxheim nach Berlin, dann nach Leipzig, dann wieder nach Berlin, entdeckt Marilyn Manson als Superhelden, dann Typen wie Henry Rollins und Boyd Rice und schließlich den ewigen Morrissey. Er schließt Freundschaft mit den Jungs, die später einmal Sizarr sein werden. Er geht auch mal mit der Gitarre in die Garage und holzt drauf los. Er erkennt aber bald, dass das heute so nicht mehr funktioniert.

"Dagegen zu sein, ist zu einfach", sagt Gruber. "Drastisch zu sein auch. Ein Vergewaltigungstext, wie das etwas Whitehouse gemacht haben, ist zu einfach. Ich glaube, dass ich einen Nerv treffe, weil ich mich der breiten Masse zuwende." Deshalb macht Max Gruber etwas, das für deutsche Verhältnisse noch immer Ungewöhnlich ist. Er macht als Indie-Künstler Pop. Nicht den mit Adidas-Jacke und Nickelbrille. Auch nicht den sperrigen oder den nach Schnaps und Selbstmitleid riechenden. Und schon gar nicht den ironischen. Seine Frohbotschaften sind Drohbotschaften. Sie kommen allerdings wie ein De Sade im rosa Einband. Und sie wollen die Umlaufbahn des Gewohnten verlassen. Alles soll möglich sein. Und das Mögliche präsentiert sich bei Drangsal derzeit als lupenreiner Achzigerjahre-Pop. Die Kunst ist frei. Laut Gruber wissen das aber nicht alle.

Fick die Indie-Polizei

"Fick die Indie-Polizei", sagt Max mehr gütig als wütend. "Ich hasse das. Das sind die Leute, die dir sagen, dass es guilty pleasures gibt und dass man bestimmte Sachen nur ironisch hören darf. Man darf alles hören und gut finden, was man gut finden will. Natürlich gibt es Grenzenfälle, wo Musik zum Beispiel politisch motiviert ist und man das nicht unterstützen sollte. Aber selbst da: man darf alles!"

Die Revitalisierung der Schulterpolster-Ära im Popkontext ist an sich weder besonders neu noch innovativ. Doch Drangsal betreibt nicht nur Stilanreicherung wie so viele Bands seit dem Post-Punk und Wave-Revival Mitte der Nullerjahre, sondern unverschämte Einverleibung. Diesseitiger die Achziger nie klangen. Auf dem Drangsal-Debüt Harieschaim findet sich kaum ein Sound, den man beim ersten Hinhören der Gegenwart zuschreiben würde. Die Produktion von Markus Ganter (Tocotronic, Casper, Dagobert) türmt transatlantische Synths auf gated Drums und noch mehr transatlantische Synths. Harieschaim ist eine Autodromfahrt durch den Trockennebel der Achziger und knallt doch in die Gegenwart wie kaum eine andere Platte deutscher Herkunft. Gruber selbst nennt es "Brachialpop".

Positive Drangsal-Referenzen, die in einem einstündigen Gespräch genannt wurden:

The Smiths, Aztec Camera, Echo & the Bunnymen, Die Haut, Now, Der Plan, Palais Schaumburg, Prefab Sprout, Blixa Bargeld, Die Tödliche Doris, Whitehouse, Peaches, Kleenex, LiLiPUT, Die Heiterkeit, Sizarr, Joachim Witt, Ina Deter, Klaus Lage, Rob Zombie, Marilyn Manson, Marco Michael Wanda, Misfits, Residents, Malaria, DAF, David Bowie, The Aphex Twin, Primus, Ulrich Seidl, Hermes Phettberg, Paddy McAloon, Stephan Eicher, Wolfgang Wondratschek, Cliff Burton, Falco, Markus Ganter, Dagobert, Das Messer, Sonic Youth, Hans-A-Plast, Henning Gronkowski, Glue, Fad Gadget, Anti Climax, Infest, Man is the Bastard, Boyd Rice, GG Alin, Henry Rollins, Jim Rakete, Morrissey, Metallica, Münchner Freiheit, Cocteau Twins, Kolossale Jugend, Big Black, Scritti Politti, Kansas, Hubert Kah, Einstürzende Neubauten, Ideal, Iceage, Mark Reeder, Andreas Dorau, Xmal Deutschland, Östro 430, Extrabreit.

Drangsal

Christian Lehner

Und er sieht sich als Instinkt-Künstler: "Ich habe immer schon Musik aufgenommen, aber ich wollte immer klingen wie ... Und lustigerweise klang es das erste Mal, als ich mir nichts vorgenommen habe, sondern einfach auf Aufnahme gedrückt habe, irgendwie nach Achziger. Im Englischen nennt man das self fulfilling prophecy: Es klang nach Achziger, also habe ich damit begonnen, mich für die Achziger zu interessieren, weil wenn das von allein rauskommt, dann muss es auch in mir verankert sein."

Das gilt auch für die rants in den Texten wie etwa in dem Stück Will Ich Nur Dich. Da heißt es in den ersten Zeilen: "Ich hab den Kopf voll mit Pflastersteine /Weil du nie kapierst, was ich meine
/Hab die Hosen voll gebroch'ner Beine /Wünsch mir insgeheim, es wären deine". Gruber dazu mit einem Ausdruck zwischen Amüsiertheit und Verwunderung: "Erst jetzt, wo das Außenstehende auf mich zurückspucken, fällt mir auf, was da eigentlich steht. Und ich muss mir jetzt Gedanken darüber machen, obwohl es so kopflos passiert ist." Schließlich ist es ein Liebeslied mit dem Chorus "Und doch will ich nur dich /
Und doch will ich nur mit dir sein".

Das Verhältnis von Dominanz und Ausgeliefertheit, Schuld und Sühne zieht sich als nicht selten erotische Komponente durch Drangsals Debütalbum. Im Video zum Überhit Allan Align spielt Jenny Elvers einen gefallenen Engel, während Max einen Priester mit Hang zur Selbstgeißelung gibt. Am Ende steht die Erlösung durch die fleischliche Liebe. Die kommt aber in Form eines relativ unschuldigen Kusses und einer Umarmung. Gruber liebt symbolische Spielchen wie dieses.

Er flirtet mit seinem androgynen Image, mit den Projektionsflächen, die seine Pop-Drastik aufreißt und die daraus resultierenden Verunsicherungen. Spannend wird sein, wer sich wie aus diesem nach allen Richtungen offenen Zeichenhaufen bedienen wird.

FM4 Homebase Spezial mit Drangsal
    The Smiths Big Mouth Strikes Again
    Drangsal Love Me Or Leave Me Alone
    Kleenex Nice
    Drangsal Wolpertinger
    Drangsal Hinterkaifeck
    Drangsal Will Ich Nur Dich
    Prefab Sprout Machine Gun Ibiza
    Drangsal Allan Align
    Drangsal Zur Blauen Stunde