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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

25. 4. 2016 - 06:00

Artist Of The Week: PJ Harvey

PJ Harvey veröffentlichte kürzlich ein neues Album. Aus diesem Anlass tauchen wir in das spannende, bisherige Werk der Britin Polly Jean Harvey ein. PJ Harvey von den frühen 1990er Jahren bis heute.

FM4 Artist Of The Week

Albumcover PJ Harvey 2016

Island

"The Hope Six Community Project" ist im am 15. April 2016 bei Island erschienen.

Die Britin Polly Jean Harvey macht seit Anfang der 1990er Jahre als PJ Harvey Musik und ist damit sehr erfolgreich. Die inzwischen 46 Jahre alte Sängerin, Songschreiberin und Multiinstrumentalistin veröffentlichte kürzlich ihr bereits neuntes Studioalbum. "The Hope Six Demolition Project" ist ein sehr komplexes, politisches Album, mit Schauplätzen wie Afghanistan, dem Kosovo oder Washington D.C., der Hauptstadt der USA - Orte, die Polly Jean Harvey in den letzten Jahren besucht hat. "Ich hatte mich nie getraut, politische Songs zu schreiben, obwohl mich so vieles, das auf der Welt geschieht, zutiefst berührt", sagte PJ Harvey in Interviews zu ihrem letzten Album, "Let England Shake", das vor fünf Jahren erschienen ist, und in dem es um alte Kriege geht, vor allem um den Ersten Weltkrieg.

Art-Rock-'Aktivistin'

Auf ihrem neuen Album, "The Hope Six Demolition Project", stehen die Kriege und Krisenschauplätze der Gegenwart - oft angezettelt von der US-Außenpolitik, wie Polly Jean Harvey meint - im Mittelpunkt. PJ Harvey ist nach wie vor eine der interessantesten und ambitioniertesten KünstlerInnen der Gegenwart. Von ihren Anfängen bis jetzt – von "Dry" über "Down By The Water" oder "Good Fortune" bis zu "The Wheel", PJ Harveys faszinierende Story so far.

Live

Am 8. Juli spielt PJ Harvey am Harvest Of Art Festival in der Wiener Marx Halle.

Die Musik von PJ Harvey ist oft harsch, rau und laut, aber sie ist immer wieder leise, zart und wunderschön. Man weiß nicht immer, worum es in den Texten von PJ Harvey geht, außer Polly Jean klärt in Interviews auf. Interviews gibt die vor 46 Jahren im südwestenglischen Yeovil geborene und dort auch aufgewachsene Polly Jean Harvey heute, so scheint es, insgesamt lieber als früher. In ihrer Anfangszeit war die sehr dünne junge Frau mit den dichten schwarzen Haaren abseits der Bühne schüchtern und zurückhaltend. Schon nach dem ersten Album, "Dry", 1992 beim jungen Londoner Independent-Plattenlabel Too Pure erschienen, und dem nächsten Longplayer, dem vom US-Musiker und Produzenten Steve Albini produzierten "Rid Of Me", war PJ Harvey mit "To Bring You My Love" ein Name, der aus dem Alternative Rock nicht mehr wegzudenken war. Grunge war damals noch am Leben, und das Heftige in PJ Harveys ersten Platten dem wohl geschuldet.

Soulmate John Parish

Davor hatte die junge Polly Jean Harvey schon Erfahrung in Bands gesammelt, etwa in einem Bandprojekt des englischen Musikers John Parish, das mehr intellektueller Avantgarde zuzuordnen war als schnödem Grunge-Lärm. Und genau dieser John Parish ist mit Polly Jean Harvey bis heute eng verbunden. Parish produzierte ihr neuestes Album, "The Hope Six Demolition Project", wie er schon in der Vergangenheit PJ-Harvey-Platten produzierte, oder zumindest ein Musikinstrument darauf spielte. Polly Jean Harvey nennt John Parish ihren "soulmate", ihren Seelenverwandten und ihren musikalischen Lebensmenschen. John Parish macht auf dem neuen Album von PJ Harvey auch den Männerchor, aber auch der jamaikanische Spoken-Word-Poet Linton Kwesi gastiert auf "The Hope Six Demolition Project", nämlich im Song "The Ministry Of Defence".

Album PJ Harvey 1998 "Is This Desire" 2 Fotos von ihr - schwarzweiß

Island

"Is This Desire" von PJ Harvey, 1998

PJ Harvey über John Parish: "We met when I was just 16 or 17 and we have established a string friendship that goes into our work as well."

John Parish, ein höflicher, dezenter Mann, ist dann eben auch der Mensch, den Polly Jean Harvey als erstes anruft, wenn es darum geht, dass sie wieder ein neues Album in Angriff nehmen möchte. Unter dem Namen PJ Harvey & John Parish gab es außerdem zwei Longplayer, die noch mehr waren als eine Zusammenarbeit für eine PJ-Harvey-Platte: "Dancehall At Louise Point", 1996 erschienen, und dann 13 Jahre später das Album "A Woman A Man Walked By", das voll war mit eleganten, hoch poetischen und ebenso höchst verworrenen Love Songs, besessen von einer unglaublichen Intensität.

Ein anderer Mann, mit dem Polly Jean Harvey einmal zusammenarbeitete, nämlich mit ihm ein Duett sang, ist Thom Yorke von Radiohead, auf ihrem 2001er Album "Stories From The City, Stories From The Sea". Ein Duett gab es einmal auch mit Nick Cave, dem großen Australier, der in England lebt, und zwar den Song "Henry Lee" für Nick Caves Album "Murder Ballads".

Die Presse spekulierte, ob Polly Jean Harvey und Nick Cave eine Liebesaffäre oder gar eine Beziehung hätten. Ach was, das geht uns nichts an. Polly Jean Harvey sagte in den 90er Jahren zwar einmal, dass sie irgendwann gerne Kinder hätte, aber nur zusammen mit einem Mann, der eine ganz große Liebe für sie sein würde, und ob sie so jemanden je finden würde, fragte sich Polly Jean Harvey damals.

Albumcover White Chalk PJ Harvey 2007 England FRau (die Musikerin) in weißem Kleid, sitzend, Haare nach hinten gebunden, dunkle Haare

Island

"White Chalk" von PJ Harvey, 2007

PJ Harvey ist eine tolle Sängerin, woran man jedes Mal wieder erinnert wird, wenn sie ein neues Album veröffentlicht. Sie spielt Gitarre und Klavier, und im Alter von elf bis achtzehn Jahren spielte Polly Jean Harvey Saxofon. "Ich konnte es, im Gegensatz zu den anderen Instrumenten, richtig gut", erzählte PJ Harvey in Interviews zu ihrem letzten Album "Let England Shake". Polly Jean hatte sogar Preise gewonnen mit ihrem Saxofonspiel. Auf "Let England Shake" packte sie es seit über zwanzig Jahren wieder aus, und auch am neuen Album ist das Saxofon wieder mit dabei, aber, eh klar, wieder nicht als elegantes 80er-Jahre-Instrument, mit dem man stylishe Soli spielen kann, sondern vielmehr dient es etwa dazu, bei gefinkelten Soundeffekten mitzuhelfen.

Als musikalische Einflüsse gibt Polly Jean Harvey unter anderen Bob Dylan und Neil Young an. Über Letzteren sagt sie, dass er einfach ein fantastischer Songschreiber ist, und dass er nie aufgehört macht, Musik zu machen, fasziniert sie, die - so hoffen wir - ebenfalls nie aufhören wird, Songs zu veröffentlichen und Bühnen zu betreten.

I'm Your Fan

Patti Smith ist wohl die Künstlerin, die Polly Jean Harvey am meisten verehrt: "Whenever she's performing, I want to see her, because she's so energizing to see and so passionate with what she's doing and so wonderfully vocal and eloquent. She's somebody that will just continue to cut her path and to go after what she believes in until she drops, and that's inspiring."

Auf dem 2000er Album "Stories From The City, Stories From The Sea", dem New-York-Album der PJ Harvey, ist der Einfluss von Patti Smith auf Polly Jean vielleicht am stärksten zu hören.

Albumcover Let England Shake britische Musikerin PJ Harvey 2011 - schwarz weiß, Aufschrift, kein Foto von ihr

Island

"Let England Shake" von PJ Harvey, 2011

Aber auch Filme sind ein wichtiger Einfluss auf die Songs von Patti Smith, mehr denn je. Für ihr letztes Album, "Let England Shake", tauchte Polly Jean Harvey etwa in das Werk des verstorbenen US-Regisseurs, Drehbuchautors und Produzenten Stanley Kubrick ein - von "A Clockwork Orange" bis zu "Full Metal Jacket".

PJ Harvey über Stanley Kubrick: "I watched almost all of his films. It is something about what is not said in his films. There's so much space, there's so many things that are silent, and somehow in that space and silence everything becomes clear. With every film he seems to capture the essence of life itself."

Und sollte PJ Harvey tatsächlich einmal keine Musik mehr machen wollen, was (zum Glück) kaum vorstellbar ist, dann könnte sie selbst Regisseurin werden, oder Lektorin der Cultural Studies, oder vielleicht das Studium der Bildhauerei nachholen, für das Polly Jean Harvey in London damals bereits eingeschrieben war, aber dann, ja dann, kam die Musik dazwischen.