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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

16. 4. 2016 - 13:02

"Fifty Shades of Merkel"

Der Berliner Veranstaltungskalender führt auch die alteingesessene Berlinerin manchmal auf seltsame Wege. Zum Beispiel zu einer Lesung in die Räume der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Der Titel des Buches "Fifty Shades of Merkel" hatte mich neugierig gemacht. Die deutsche Kanzlerin durfte ja in den letzten Monaten einen ungeahnten Imagewandel durchleben. Wegen ihrer Ablehnung einer Obergrenze für Asylsuchende wurde sie von den eigenen ParteifreundInnen und vielen BürgerInnen angefeindet, aber viele Linke entdeckten plötzlich ihr Herz für die Kanzlerin. Seit dem umstrittenen Abkommen mit der Türkei hat die linke Merkel-Euphorie allerdings etwas nachgelassen. Und der Titel "Fifty Shades of Merkel" versprach neue Einblicke.

Buchcover "Fifty Shades Of Merkel"

Hoffmann und Campe

Julia Schramm: Fifty Shades of Merkel, Hoffmann und Campe 2016

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung residiert im Verlagsgebäude des "Neuen Deutschland". Das wiederum steht in der Gegend um den Berliner Ostbahnhof. Dort, wo hinter den DDR-Plattenbauten noch viel Platz ist für Gewerbebauten und große Parkplätze, dort, wo auch das berühmte Berliner Berghain steht.

Das ist das Faszinierende an Berlin: Nach dreißig Jahren in derselben Kreuzberger Straße kann man nur zwei Kilometer entfernt, einen erstaunlichen Ort finden, an dem man noch niemals zuvor war.

Das "Neue Deutschland"

Das Verlagsgebäude des "Neuen Deutschland" wurde in den Siebzigern, also zu DDR-Zeiten, als Sitz des SED-Zentralorgans, der Tageszeitung "Neues Deutschland" gebaut.

1974 stand dort eine der modernsten Druckereien Europas und nicht nur das "Neue Deutschland", die "Neue Deutsche Bauernzeitung", die Rätselzeitung "Troll" sondern insgesamt acht verschiedene Tageszeitungen, 19 Wochenzeitungen, 48 Betriebszeitungen und diverse Publikationen der SED wurden hier hergestellt. Von den Zeitungen hat einzig das "Neue Deutschland" überlebt. Heute ist das Verlagsgebäude auch Sitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Kommunistischen Partei Deutschlands, der DKP Berlin, der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR (ISOR).

Das Verlagsgebäude "Neues Deutschland" in den 70er Jahren

Bundesarchiv, Bild 183-Z0810-307 / CC-BY-SA 3.0

Bundesarchiv, Bild 183-Z0810-307 / CC-BY-SA 3.0

Von außen betrachtet eher unspektakulär, im sogenannten "internationalen Stil", also funktionalistisch, gebaut, fallen der Besucherin doch sofort die Schriftbänder entlang der Außenfassade auf:

„Die soziale Revolution kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft. Karl Marx“

Um das nächste Zitat zu lesen, muss man die ganze Fassade abschreiten:

So kommt der Schreibende auf einem Umweg über den Zerfall und die Machtlosigkeit zum Schreiben, und jedes Wort, mit dem er eine Wahrheit gewinnt, ist aus Zweifeln und Widersprüchen hervorgegangen. Peter Weiss“

Für das Luxemburg-Zitat, es ging um Wiedergeburt, hatte ich leider keine Zeit mehr, ich wollte ja pünktlich zur Lesung kommen.

Auf der Suche

Ungefähr fünfzehn Doppeltüren, natürlich war nur die allerletzte offen, führten in ein gigantisches Foyer. Dort, hinter einer großen Infotheke saßen zwei lethargische Pförtner oder Service-Mitarbeiter, die nur unwillig ihr Gespräch unterbrachen und mich missmutig und argwöhnisch anblickten, als ich sie ansprach.

Auf einmal schien ich in das Jahr 1985 in die DDR zurück versetzt! Genau genommen herrschte aber diese grenzenlose Lethargie und Melancholie bei wartenden und überwachenden Berufen also bei den Pförtnern, Garderobieren, Hausmeistern, Türstehern, Bedienungen und Rezeptionsangestellten in vielen sozialistischen Ländern vor. Unwillig gab man mir die Anweisung, mich zur Lesung zum Willi Münzenberg-Saal (kommunistischer Verleger, gest. 1940) eine Treppe höher zu begeben.

Oben angekommen taten sich kilometerlange, menschenleere Gänge auf, allerdings überlaut beschallt von einer schnarrend dozierenden Stimme. Ich öffnete eine Tür und sah ungelogen einen halbvollen Saal von 75- bis 90-Jährigen mit schneeweißen Haarkränzen oder Glatzen, die - ihre Gehhilfen an den Stühlen angelehnt - interessiert einem älteren Herrn auf der Bühne lauschten.

Das kann doch nicht die Kundschaft von "Fifty Shades of Merkel" sein? dachte ich. Die Autorin Julia Schramm ist doch so eine junge, hippe, feministisch-netzaffine Politikwissenschaftlerin?

Neues Deutschland heute

CC BY-SA 3.0 Mangan2002 via Wikicommons

CC BY-SA 3.0 Mangan2002 via Wikicommons

Ich ging wieder ein paar Gänge entlang und Treppenfluchten nach unten, die stoischen Mitarbeiter an der Information waren verschwunden. Aber eine Tafel klärte auf, dass es im Münzenberg-Saal um materialistische Geschichtstheorien ging und am 16. April um 10:30 Uhr dort eine Veranstaltung zum 70.Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD zur SED stattfinden würde.

Endlich bei der Lesung

Endlich wieder oben, ein paar Treppenfluchten und Gänge weiter im richtigen "Salon" angekommen, saßen dort auch zwei Dutzend wesentlich jüngere Besucher und der Moderator stellte die Autorin vor: Julia Schramm, Jahrgang 1985, schreibt regelmäßig einen Merkel-Blog und hat eine Merkel-Kolumne in der linken Wochenzeitung Jungle World. Bis 2014 war sie Mitglied der Piratenpartei, saß zeitweise dort auch im Bundesvorstand. Heute arbeitet sie als Fachreferentin für Hate Speech bei der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Die Autorin las das Kapitel "Hosenanzug" vor, in dem es um Kleiderordnungen, Etikette-Fragen und den Hosenanzug als geschlechter-nivellierendes Kleidungsstück geht: Ein Must-Have für Frauen, die nach oben wollen.

Julia Schramms Buch besteht aus 50 Kapiteln. Die Kapitelüberschriften benennen fünfzig Facetten, aus denen sich die Merkelsche Persönlichkeit zusammensetzt: Handy, Mundwinkel, Vatermord, Israel, Pflaumenkuchen, Moskau, Außenseiterin, Feinde, Kinder, Mecklenburg usw. Leider erfährt man daraus nur Binsenweisheiten, und noch nicht mal interessanten Klatsch und Tratsch, das heißt der Text langweilt schnell. Immer, wenn die Autorin in einen allzu schwärmerischen Tonfall gerät wird reflexhaft daran erinnert wie fatal die Merkel-Politik der letzten Jahre doch war. Und mit welchen Mitteln es der einst unbekannten Physikerin aus der DDR gelang, zu einer der mächtigsten Frauen der Welt zu werden, das hatte man woanders auch schon lesen können.

Bücher auf FM4!

fm4.orf.at/buch

Das Beste an dem Buch ist eigentlich der Titel. Eine Freundin habe sie beim lustigen Brainstormen darauf gebracht, erklärte die Autorin im Gespräch nach der Lesung. Der netzaffinen Autorin dürfte es aber nicht entgangen sein, dass die Daily Mail bereits 2012 und das Wirtschaftsblatt bereits 2015 einen Artikel über die holländische Grafikdesignerin Noortje van Ekelen mit "50 Shades of Merkel" übertitelt hatten. Die Designerin hatte in ihrem Projekt "Spectacle of tragedy" aus den neunzig Shades der Merkelschen Hosenanzüge einen Pantone-Farbfächer gebastelt.

Bei der Diskussion nach der Lesung wurden die üblichen wirren, sinnlosen Zuschauerfragen gestellt. Lustig war, als ein Zeitzeuge berichtete, Angela Merkel hätte in ihrer Zeit als Oppositionspolitikerin gerne kleine Gedichte, in einer Art Büttenrede vorgetragen.

Die alte Weisheit 'Manches was ein Blog war, hätte auch ein Blog bleiben können' hat sich auch im Falle "Fifty Shades of Merkel" bewahrheitet. Das Buch ist arg oberflächlich und die Autorin ein bisschen recherchefaul, aber ihre Jungle-World-Kolumne liest sich ganz gut.

Wir können an dieser Stelle also keine Buchempfehlung aussprechen - aber wer etwas von Geist und der Atmo der alten DDR erfahren möchte, der sollte beim nächsten Berlinbesuch unbedingt eine Lesung oder Ausstellung im Verlagsgebäude des Neuen Deutschland einplanen!