Erstellt am: 16. 4. 2016 - 11:02 Uhr
Ludum Arcanum
Am schönsten sind Geschichten dann, wenn sie uns inspirieren, aber nie alles preisgeben. So bleiben in der Erzählung immer Lücken, die man mit eigenen Ideen und Interpretationen füllt. Manchmal gehen Autorinnen und Autoren noch einen Schritt weiter und lassen uns völlig im Unklaren: Wer wir sind, welche Welt das hier ist und worum es überhaupt geht. Nichts genaues weiß man nicht. Aber ist das dramaturgisch sinnvoll?
Was in einem Film oder Roman erst mal Desinteresse verbreiten würde, funktioniert in einem Computerspiel umso besser. Denn dort kann man umherstreifen und sich durch Ausprobieren mit der Welt vertraut machen. Das funktioniert auch sehr gut in einem aktuellen, visuell besonders ansprechenden Indie-Game namens "Hyper Light Drifter".
Stilsicher in die Dystopie
Unsere Welt ist von übermächtigen antiken Wesen erschüttert worden und trotz unserer Kampfbereitschaft müssen wir uns dieser immensen Kraft beugen - zumindest vorerst. Unser Charakter ist eine Kriegerin oder ein Krieger, stilsicher gekleidet in einer Tunika, einem roten Cape und einem unkonventionellen Helm. Wir sehen das Geschehen von oben und laufen mit unserer agilen Figur umher, die per Knopfdruck kurz in eine Richtung losrasen kann und ebenso flink mit dem Schwert ist.
Alles hier in "Hyper Light Drifter" ist schön anzuschauen und gleichzeitig höchst geheimnisvoll. Bis auf wenige Steueranweisungen gibt es im ganzen Spiel keine Schriftsprache - zumindest keine, die man lesen könnte. Stattdessen sehen wir seltsame Runen, antike Piktogramme und andere mysteriöse Zeichen. Sprechen wir mit diversen Figuren, die wir treffen, werden deren Geschichten und Erlebnisse nur durch Bilder erzählt. Auch die Landkarte ist schwer zu entziffern und stellt einen in manchen Situationen vor neue Rätsel anstatt alte zu lösen.
Heart Machine
Dafür ist die Spielmechanik schnell verstanden: Wir laufen, kämpfen und rasen mit unserer Dash-Attacke über kurze Abgründe hinweg und an gefährlichen Projektilen der Gegner vorbei. Die meisten Feinde sind für sich genommen schwach und schnell besiegt, doch "Hyper Light Drifter" lockt uns immer wieder in kleine Arenen und sperrt dann die Ausgänge zu. Dann schwirren oft rund ein Dutzend der vormals harmlosen Gegner auf uns zu und bringen uns ordentlich ins Schwitzen. Diese Passagen kommen meist unverhofft und sind anfangs etwas unübersichtlich: Es kommt schon vor, dass man die eigene Figur im Eifer des Gefechts nicht mehr wiederfindet - und wenn es dann soweit ist, wurde sie meist schon niedergestreckt. Manche Kämpfe benötigen viele Anläufe, doch die Save Points sind fair, und mit Konzentration und Geistesgegenwart lassen sich vormals übermächtig wirkende Passagen bald schon geschmeidig meistern.
"FEZ" und "Hyper Light Drifter" haben ihre Soundtracks vom selben Musiker: Disasterpeace
"Hyper Light Drifter" hat einen beeindruckenden Grafikstil und spielt sich sehr flüssig. Es bedient sich audiovisuell, spielerisch und erzählerisch bei einigen jüngeren Indie-Game-Klassikern. Am augenscheinlichsten ist "FEZ", aber auch Titel wie "Towerfall: Ascension" oder "Superbrothers: Sword & Sworcery EP" kommen ins Gedächtnis. Trotz einiger dieser Referenzen ist "Hyper Light Drifter" ein eigenständiges, charakterstarkes Spiel, dem eine besondere Aura innewohnt.
Heart Machine
"Hyper Light Drifter" ist für Windows und Mac als Download erschienen, die Versionen für PS4 und Xbox One folgen in Kürze.
Der einzige Wermutstropfen ist das mitunter planlose Herumlaufen. Weil die Landkarte nur mäßig hilfreich ist, muss man recht viel hin und her rennen, bis man alle Schalter findet, die man braucht, um weiterzukommen. Wer in solchen Momenten nicht ungeduldig wird und nicht allzu streng mit dem Spiel bzw. seinem Entwicklerteam ins Gericht geht, wird begeistert sein von dem obskuren Indie-Game.