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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

14. 4. 2016 - 11:45

Ein Blick hinter die Kellertür

"Cellar Door" ist Theater, Installation und Game in einem. Das Schauspielhaus Wien wird ab heute Nachmittag 504 Stunden lang non-stop bespielt. Steuerbar via Internet und mit beklemmenden Fritzl-Anleihen.

Mit einem Knirschen öffnet sich die Kellertür und ich steige hinter einem kichernden Bunny mit Smartphone vor den Augen die Treppe hinunter. In einem altmodischen Esszimmer tanzt ein Cheerleader, um die Ecke liegt ein dunkler Gang. Sofort schmeißen sich sogenannte Fighter an mich heran - unterwürfige Goth-Kids in Netz und Leder mit Kriegsbemalung. Sie wollen wissen, ob ich ihnen Eddings zum Sniffen besorgen könnte.

Hier unten regiert Königin Acetonia. Ihr Reich ist voll von Inzest, Gewalt und Missbrauch. In einem Raum erniedrigen drei sadistische Schwestern junge Männer, im nächsten versteckt eine Hausfrau Waffen, Drogen und einen Menschen. Hier unten kommt zum Vorschein, was in den Haushalten an der Oberfläche unterdrückt wird.

Performance Cellar Door, Schlafzimmer in Pink, Mädchen in Highheels und Shorts sitzt am Bett

Matthias Koslik

Cellar Door läuft von 14. April bis 5. Mai im Schauspielhaus Wien.

Hier ist der Link zum Online-Game.

Dunkle Geheimnisse im Theaterlabyrinth

Schöpfer dieses düsteren Theaterlabyrinths ist der Installationskünstler und Regisseur Thomas Bo Nilsson. Die Spezialität des Schweden und seiner beiden deutschen Co-Regisseure Jens Lassak und Julian Wolf Eicke ist "site-specific theatre" – ein Format, das hauptsächlich von der vorhandenen Architektur und den dazu designten Bühnenbildern lebt. "Wir lassen uns immer von den Gebäuden inspirieren", sagt Nilsson. "Im Schauspielhaus haben wir diese langen dunklen Gänge vorgefunden, die waren perfekt für unsere Idee."

Bereits im Jänner haben die Umbauarbeiten begonnen. Im Schauspielhaus wurde ein gesamtes Dorf errichtet, dessen Räume über ein unterirdisches Tunnelsystem verbunden sind. Eingerichtet ist diese ganz eigene Welt mit Möbeln, Fotos und Kleidung, die das Team aus Haushaltsauflösungen bezieht oder von der Straße sammelt: Ausgewaschene Stofftiere auf abgesessenen Sofas, Familienfotos an kitschigen Tapetenwänden, am Teppichboden ein angenagtes Hundekörbchen. Ein Ensemble wie in jedem x-beliebigen Kleinstadt-Haushalt, bewohnt von Figuren, die alle ein schmutziges Geheimnis haben.

Performance Cellar Door, Frau in Unterwäsche beugt sich über jungen Mann

Matthias Koslik

Österreichische Kellerräume

Nilsson spielt ganz bewusst mit dem Image österreichischer Kellerräume. Vor allem der Trailer, der eine Art Prolog zum Geschehen im Schauspielhaus liefert, erinnert an Fälle wie Kampusch oder Fritzl. Soll "Cellar Door" ein spezifisch österreichisches Setting nachstellen? "Ich glaube, dieser Gedanke geht eher vom Publikum aus", sagt Nilsson. "Bei uns sind die Geschichten von Gefangenschaften anders angelegt. Aber natürlich waren diese Vorfälle für uns Thema. Während unserer Konzeptionsphase wurde in Schweden ein Haus mit Folterkammer gefunden. Noch bevor man etwas über die Hintergründe wusste, war das Netz schon voller Mythen und Gerüchte. Diese Reaktionen haben uns inspiriert. Ein weiterer Ausgangspunkt war die wachsende Bashing-Kultur im Internet."

Online-Gaming und interaktives Theater

Die Online-Game-Version ist daher ein wichtiger Bestandteil des Projekts. Lebende Drohnen vor Ort – wie das kichernde Bunny zu Beginn – streamen die Abläufe über Handykameras live und sorgen dafür, dass die Anweisungen der UserInnen umgesetzt werden. "Über unsere Web-Plattform kann man sich mit den Drohnen verbinden und direkt auf die Aktionen im Schauspielhaus Einfluss nehmen", sagt Nilsson. "Sie fungieren als menschliche Erweiterung von den SpielerInnen im Internet direkt hinein in die Installation." Die Story entwickelt sich auf diese Weise ständig weiter. Jedes Publikum wird eine andere Performance sehen.

Performance Cellar Door, Mann und Frau betrachten sich im Spiegel und filmen sich mit Handykamera

Matthias Koslik

Wer Erfahrung mit interaktivem Theater hat, wird bei "Cellar Door" auch an Projekte von Machina Ex oder Nesterval denken, die im öffentlichen Raum oder elektronisch manipulierten Settings Rätsel aufgeben. Auch Vergleiche zu Paulus Mankers Alma sind nachvollziehbar – ein Stück, das simultan an verschiedenen Schauplätzen stattfindet und das man sich selbst zusammenstellt, indem man sich Szenen und Zimmer selbst aussucht. "Cellar Door" ist alles davon und noch viel mehr.

Das besondere Erlebnis in diesem innovativen Theater-Setting ist es, seine eigene Rolle als ZuschauerIn zu finden. Auf welche Figuren lässt man sich ein? Welche Aufträge führt man aus? Oder bleibt man doch lieber stille/r BeobachterIn? Man sollte sich jedenfalls von der Komplexität des Projekts nicht einschüchtern lassen und muss auch keine besondere Game-Affinität mitbringen. Denn das Urteil der ersten Menschen, die Thomas Bo Nilssons bizarres Universum betreten konnten, fällt durchwegs positiv aus: "Das ist etwas ganz Neues", sagt Besucherin Lena. "So etwas habe ich noch nie erlebt!"