Erstellt am: 12. 4. 2016 - 18:24 Uhr
Im Dschungel der Zeit
Fast fünfzig Jahre ist es mittlerweile her, seit Walt Disney mit "The Jungle Book" Filmgeschichte schrieb. Die Story des Waisenjungen Mowgli, im Dschungel von Wölfen groß gezogen, der mit Bären und Panthern gegen Tiger kämpfend auf Abenteuer geht, war aber auch wirklich die perfekte Vorlage für das familienfreundliche Disney-Animationskino. Tatsächlich erlaubte sich das Unternehmen einiges an Spielraum bei der Aufarbeitung der von Rudyard Kipling 1894 veröffentlichten Story. Damals im Jahr 1967 und auch jetzt wieder, mit der diese Woche erscheinenden Live-Action-Adaption der Geschichte.
Dabei könnten die Aufarbeitungen der Story kaum konträrer sein: Auf der einen Seite steht das typisch klassische Disney-Kino der 60er mit Gesangseinlagen, bunten, einladenden Zauberwelten voller Naivität, Einfachheit und Familienfreundlichkeit. Auf der anderen eine Verfilmung aus der Post-Dark-Knight-Filmindustrie. Die mit dunkleren Tönen ein komplexeres Bild malt, mit imposanten Actioneinlagen, überwältigendem Orchestersoundtrack und ernsterem Grundton.
"The Jungle Book" startet am 14. April in den Kinos.
Als Mischung aus Live-Action und CGI-Animation ist der diesmal auch in der deutschen Version "The Jungle Book" betitelte Film eine besonders wichtige Produktion für Disney. Nicht nur aufgrund der Bedeutung der klassischen Marke, sondern auch als Testobjekt für die neue Generation von Disney-Animationstechnologie. Regie führt Jon Favreau, der Cast protzt mit hochkarätigen Hollywood-A-Listern: Bill Murray spielt Baloo, Ben Kingsley Bagheera und Idris Elba den Oberbösewicht Shere Khan. Eine zeitgemäße Aktualisierung hat sich Jon Favreau bei der Besetzung des Films auch nicht nehmen lassen: Die Schlange Kaa wurde als weiblicher Charakter neu konzipiert. Der originale Film war ein bisschen zu "male-heavy", so Favreau.
Die zahlreichen Neuauslegungen der Geschichte sind dabei gar nichts Unbekanntes für das Dschungelbuch und es gibt kaum eine Adaption, die der Story tatsächlich genau entspricht. Zu breit kann die Geschichte auch interpretiert werden, zu viele Metaphern in den zentralen Plot hineingelesen werden. So auch in der allerersten filmischen Umsetzung der Geschichte aus dem Jahr 1942, umgesetzt von den ungarischen Korda-Brüdern, die aus der Story eine fantastische Fabel erschufen, in der Schatzsuchen und Hexenjagd eine zentrale Rolle spielten.

Disney
Über die Jahre wurde das Dschungelbuch in verschiedensten Ländern auf verschiedenste Arten aufgearbeitet. Ende der 60er Jahre beispielweise als ernstere Behandlung der Story in der UDSSR unter dem Namen "Adventures of Mowgli", in den späten 80ern als japanischer Anime namens "Jungle Book Shōnen Mowgli".
So richtig bizarr beschäftigt sich aber, wie so oft, die Comicwelt mit der Geschichte. Als Teil des DC Comics Elseworld-Universums entstand die Geschichte "Superman: The Feral Man of Steel". Darin wird der Superheld storytypisch von Wölfen großgezogen, bevor er gemeinsam mit Bagheera und seinen anderen tierischen Urwaldfreunden von Lex Luthor entführt wird. Richtig herrlich kitschig geht es auch in Bill Willinghams "Fables"-Comics zu, in der Mowgli und Schneewittchen aufeinander treffen.

Disney
Woher kommt jetzt aber diese Freiheit, die sich Autoren und Produzenten mit der Geschichte nehmen? Und woher die Faszination an der Story, die uns all diese unterschiedlichsten Adaptionen bringt? Die Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Frage danach, wieviel an uns tatsächlich menschlich ist, wieviel angeboren und was konditioniert ist, an dem was uns zu Menschen macht, ist hier ein ganz zentraler Faszinationspunkt.
Ein Waisenkind, von Wölfen im Dschungel großgezogen, ist das ein Wolf oder ein Mensch? Gibt es da einen Hebel, der einfach umgelegt wird, sobald das Kind wieder mit Menschen in Kontakt kommt und "zivilisiert" wird? Die verschiedenen Versionen des Dschungelbuchs behandeln diese Thematik auch ganz unterschiedlich. In der neuesten Umsetzung kommt Mowgli beispielsweise ganz von selbst drauf, wie ein Mensch Werkzeuge zu verwenden. Eine Fertigkeit, die von den Tieren mit Argwohn beobachtet wird.
Aber auch die Welt des Dschungels an sich, gefährlich und einladend zugleich, mysteriös und unbekannt, bietet reichlich Platz für Interpretationen und fantastische Geschichten. Als bester Repräsentant dafür eignet sich im Dschungelbuch die Schlange Kaa, die je nach Version mal gut, mal böse, mal irgendwas dazwischen ist. Und jetzt eben, gespielt von Scarlett Johansson, zum ersten Mal weiblich.
Twin Films
Auch "The Jungle Book" ist ein Vertreter dieser Filmgattung: Bereits 2018 erscheint eine weitere Live-Action-Adaption mit Christian Bale und Benedict Cumberbatch.
Gemeinsam mit King Louie, gespielt von Christopher Walken, und Bill Murrays Baloo sorgt die Schauspielerin auch für ein echtes Highlight des Films. Als Referenz auf den klassischen Film, von dem auch dieses Reboot nicht so ganz wegkommt, dürfen die Gesangseinlagen der Originalversion nämlich nicht fehlen. Über die Credits performt Johansson die hypnotische Loungenummer "Trust in Me", Bill Murray singt das legendäre "The Bare Necessities", Walken den Song "I Wanna Be Like You". Und damit erlaubt sich der Film dann auch diese kurzen Familienfilmmomente, die bunten Mitsinglieder und einladenden klassischen Disney-Momente. Denn ganz ohne geht es auch in diesen düsteren Kinozeiten nicht.